Predigt zum 30. Sonntag im Lesejahr C 1992 (Lukas)
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25. Oktober 1992 - St. Evergislus, Bonn Bad Godesberg
1.
- Der Jesuit Karl Rahner musste sich immer wieder den Vorwurf
gefallen lassen, seine Theologie sei so abstrakt. Es könne
doch alles viel einfacher gesagt werden. Darauf ließe sich viele
erwidern. Er selbst hat in einem Interview schlicht gesagt:
"Nur Gott weiß das, und wie ich als Theologe vor ihm stehe, ist sein
Geheimnis"
- Dies erinnert sehr an den Vers aus dem 1. Korintherbrief. Paulus schreibt: "Ich bin
mir zwar keiner Schuld bewusst, doch
ich bin dadurch noch nicht gerecht gesprochen; der Herr ist es, der das
Urteil über mich zu sprechen hat." (1 Kor 4,4)
- Auch wenn wir uns bemühen, selbstkritisch zu sein, auch wenn wir
nach langer und sorgfältiger Prüfung der
Überzeugung sind, in einem konkreten Fall nicht schuldig geworden zu
sein, auch dann hängt alles, was wir tun in einem
Geflecht von Handlungen und Unterlassungen, das wir nicht durchschauen.
2.
- Das Evangelium stellt eine verkehrte Welt vor Augen. Von der
Praxis her müsste Jesus dem Pharisäer den Vorzug geben.
Denn objektiv betrachtet wird es schon so sein, dass der Pharisäer
derjenige ist, der sich mehr und erfolgreicher um
Gerechtigkeit bemüht. Der Zöllner wird der sein, als der er sich
bezeichnet: Ein in Ungerechtigkeit und Ausbeutung
verfangener Sünder.
- Dennoch gibt Jesus dem Zöllner den Vorzug. Dieser kehrt,
meint Jesus, als Gerechter von dem Gebet im Tempel zurück.
Der Pharisäer nicht.
- So löblich es ist, Gutes zu tun. Es steckt auch die Gefahr
darin, dadurch blind zu werden für die eigene Realität. Was der
Zöllner besser sieht, ist die Wahrheit - seines schlechten Lebens.
3.
- Dass und wo der Pharisäer bei all seinem Bemühen um ein
gerechtes Leben sich letztlich ins Abseits stellt, kommt in dem
Nebensatz seines Gebetes zu Ausdruck: "Gott, ich danke dir, dass ich
nicht wie die anderen Menschen bin". Vom Übel
ist das Vergleichen. Statt als er selbst vor Gott zu stehen, macht er
innerlich den Vergleich mit anderen, konkret mit dem
Zöllner, der da hinten steht. Der Pharisäer kann in seinem Gebet nicht
sich selbst zur Sprache bringen, ohne sich von
anderen absetzen zu müssen. Er vergleicht. Er mag im Vergleich besser
abschneiden. Aber der Vergleich richtet sich
immer gegen die Schwächeren, hier gegen den im Glauben scheinbar
schwächeren Zöllner.
- Jesus will mit dem Beispiel uns dazu bringen, die eigene
Situation aus sich heraus zu sehen. Wenn schon, dann sollten wir
uns mit den Heiligen vergleichen, um einen Ansporn zu finden, selbst
besser zu werden. Wenn schon, dann sollten wir
über andere nicht urteilen, sondern mit ihnen sprechen, um sie zu
verstehen und zu lieben, auch wenn es nur Zöllner sind.
- Wie viel Zeit wenden wird darauf, uns einzuordnen,
abzuschätzen, abzusetzen und mit anderen zu vergleichen. Dagegen
setzt Jesus eine simple Wahrheit: Ich bin das, was ich vor Gott bin.
Wenn ich den Satz richtig bedenke, werde ich
entdecken, wie viel ich bin: Ein von Gott geliebter Mensch. Diese
Entdeckung, nicht die Selbstgerechtigkeit ist die
wirkliche Quelle der Gerechtigkeit. Amen.