Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 30. Sonntag im Lesejahr C 2022 (Lukas)

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23. Oktober 2022 - St. Peter, Sinzig

1. Fehler der Anderen

  • Wahrscheinlich bin ich nicht der einzige, der an sich beobachten kann, dass ich doch eher sehe, wenn andere etwas falsch machen, als wenn ich selbst dies tue. Das ist nicht gut so und ich muss daran arbeiten. Aber es ist erstmal so.
  • Der Test lässt sich auf dem Schulhof machen, wenn eine Gruppe zusammensteht: Sprechen sie eher darüber, was jemand richtig gut gemacht hat, oder eher darüber, wo sich jemand blamiert hat? Die Frage lässt sich übrigens genauso Erwachsenen stellen, im Lehrerzimmer oder wo immer sie zusammenkommen. Was Andere Gutes geleistet haben, bringt zumindest im Internet deutlich weniger Klickzahlen, als wenn wir uns über deren Fehler empören können.
  • Daher unterscheidet uns heute nicht sonderlich viel von dem Pharisäer im Gleichnis, das Jesus erzählt. Der Mann kommt in den Tempel, um zu beten. Das erste, was ihm einfällt ist Dank – was an sich nicht schlecht ist, mit Dank zu beginnen. Doch er dankt Gott dafür, dass er nicht so schlecht ist wie die Anderen – die Lügner und Betrüger – oder auch 'der da', der hinten im Tempel steht, der Zöllner.

2. Stereotypen: Zöllner und Pharisäer

  • Wer öfters schon im Religionsunterricht oder in Gottesdiensten aus dem neuen Testament gehört hat, ist gewohnt, sich unter einem Pharisäer jemand Negatives vorzustellen und unter einem Zöllner jemand – nun ja, natürlich nicht Gutes, aber doch den, der besser wegkommt als der Pharisäer.
    Deswegen ist es wichtig, sich erst einmal daran zu erinnern, was "Pharisäer" und "Zöllner" meint. Denn die beiden sind in den Tempel in Jerusalem gekommen, um zu beten. Sie sind also fromme Juden. Sie tun etwas, um mit Gott in Beziehung zu sein. Ihnen ist Gott nicht egal.
    Der Pharisäer – wenn Jesus ihn im Gleichnis so heraushebt – dürfte jemand sein, der sehr regelmäßig betet und bemüht ist, alle Glaubensgebote und -regeln auch wirklich zu leben und einzuhalten. Er ist jemand, der etwas tut für die Armen, immerhin zehn Prozent seines Einkommens. Daher wäre es eigentlich ein Kompliment, wenn ich jemand sagen würde "Du Pharisäer!"
  • Der Zöllner dagegen ist jemand, der wahrscheinlich nicht so oft im Tempel zu sehen ist. Vor allem verdient er sein Geld dadurch, dass er es am Zoll anderen im Auftrag der römischen Besatzungsmacht abknöpft. Die Zöllner zur Zeit Jesu waren berüchtigt dafür, sich auf Kosten anderer zu bereichern.
    Allerdings könnte man diesen Zöllner auch als jemand sehen, dessen Leben nicht so gelaufen ist, wie er es sich vorgestellt hat. Vielleicht ist es auch für ihn nicht lustig, Zöllner zu sein. Vielleicht hat ihn die Not, für seine Familie zu sorgen, dazu getrieben, diesen Beruf auszuüben. Das ist ja auch bei den anderen so, die Jesus als Gruppe oft anspricht: Den Frauen, die wirtschaftliche Not dazu getrieben hat, ihren Körper als Prostituierte zu verkaufen. Die haben sich dieses Leben ganz sicher auch nicht selbst ausgesucht.
    Der Zöllner in diesem Gleichnis ist ein Mensch, der nicht so ist, wie er sein wollte ("Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu." wurde unlängst hier Ödön von Horváth zitiert aus: "Zur schönen Aussicht" 1926). Bei ihm betrifft das die ganze Biographie, aber ich glaube, ich kenne mehr als eine Situation, wo Kinder oder Jugendliche sich gehässig oder gemein gegen andere benehmen, aber im selben Augenblick merken: sie tun das aus einem Reflex, aber sie wollen nicht so sein.
  • Zöllner und Pharisäer, das ist komplexer. Beim Zöllner ist im Leben etwas schiefgelaufen und die Mitmenschen sehen das deutlich. Der Pharisäer hatte entweder nie solche Probleme im Leben oder er hatte Menschen, die ihm geholfen haben, da raus zu kommen.

3. Der springende Punkt

  • Worin macht Jesus in seinem Gleichnis den Unterschied zwischen Pharisäer und Zöllner? – Er erzählt die Geschichte so, dass der Pharisäer einer ist, der, um sich selbst gut fühlen zu können, andere schlechtmachen muss. Er dankt für das Gute das ihm gelungen ist. Aber im gleichen Atemzug scheint er nicht anders zu können, als sich abzugrenzen von dem anderen: "dieser Zöllner dort!" Dieser Zöllner aber steht da vor den Scherben seines Lebens und betet: "Gott sei mir gnädig!"
  • Entscheidend scheint mir zu sein, dass der Pharisäer nicht verstanden hat, worum es beim Beten geht. Beten ist doch, dass ich mit Gott spreche. Im Gebet muss ich Gott nicht mit Informationen versorgen: Schau mal, Gott, wie viel besser ich bin, als jeder andere dort! – Wenn dem so ist, können wir sicher sein: Gott weiß das schon längst.
    Gott braucht keine Klatschnachrichten und Skandal-Posts! Vielmehr geht es im Beten darum, dass ich mit meinem Leben vor Gott hintrete. Im Beten bringe ich mein Leben in Beziehung zu Gott. Vorformulierte Gebete und gemeinschaftliche Gebete hier im Gottesdienst können mir dabei helfen. Danken ist dabei keine schlechte Idee, wenn ich versuche zu beten. Wenn ich lerne, dankbar zu sein für das, was gelungen ist in meinem Leben, dann ist Gott eine gute Adresse, ihm zu danken.
  • Aber genau das ist dem selbstgerechten Beter im Gleichnis nicht gelungen. Weder steht am Ende der Dank im Mittelpunkt, noch lässt er sich von Gott berühren. Er ist schon 'fertig', wenn er beginnt zu beten und das Beten verändert nichts mehr bei ihm.
    Das ist der Unterschied zu dem Anderen, der hinten stehen bleibt und genau weiß, was bei ihm schiefgelaufen ist, und der die Chance hat, dass sich etwas ändert, wenn er sich Gott anvertraut. Dieser lässt Gott die Möglichkeit, dass Gott ihn mit seiner Liebe berührt. Insofern ist eben dieser Zöllner eine Ermutigung zu beten – auch für mich mit meiner Unart, bei anderen die Fehler schneller zu sehen, als bei mir selbst.