Predigt zum 31. Sonntag im Lesejahr A 2005 (Matthäus)
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30. Oktober 2005 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
1. Wir Pharisäer
- Es geht nicht um die Pharisäer. Zur Zeit, als Matthäus letzte
Hand anlegte um das Evangelium zusammenzutragen, hat er aus den Überlieferungen
von Jesus jene Berichte in ein Kapitel zusammengefügt, die über
die Auseinandersetzungen mit den Schriftgelehrten handelten. Zur Zeit Jesu
standen die Schriftgelehrten und Sadduzäer im Vordergrund; die Auseinandersetzung
mit den Pharisäern hingegen dürfte bei Jesus selbst weniger scharf
gewesen sein. Aber die Gemeinde zur Zeit des Matthäus hatte es mittlerweile
vor allem mit diesen zu tun. Matthäus aktualisiert also die Worte Jesu:
"Weh Euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler!"
- Es geht um die Christen. Die Christen zur Zeit des Evangelisten, selbst
zum großen Teil Juden, hatten sich noch nicht ganz von der Synagoge
getrennt, standen von dort her unter Beschuss und mussten sich rechtfertigen.
Wir dürften nicht falsch gehen, wenn wir uns dabei heftige theologische
Debatten vorstellen. Es ging um die Auslegung der Bibel und um die Frage,
ob Jesus der verheißene Messias, der Christus ist. Und es ging um die
Frage, wie man in Treue zum Gott der Bibel lebt. Heute überlässt
man solche Debatten gerne den Fachleuten. Damals jedoch waren diese Themen
sogar Stammtischgespräch, ohne auf Stammtischniveau zu fallen. Jeder
Christ, die Judenchristen zumal, mussten sich rechtfertigen. Als Minderheit
mussten sie sich fragen, was das unterscheidend Christliche ist. Was glauben
wir und wie leben wir als Christen?
- Von den Anderen, der Mehrheit, wollten die Christen sich absetzen. Damit
sind sie ganz auf der Linie Jesu. Nur, dass für Jesus klar ist, dass
das nicht hinreicht, es beim Reden zu belassen. Das tun auch andere. Selbst
ein anderes Verhalten reicht nicht hin. Wenn es nur um des Show-Wertes willen
geschieht, dann ist dies nicht viel anderes als Heuchelei. Matthäus zitiert
ausführlich die Weherufe Jesu gegen die Heuchler am Tempel zu Jerusalem.
Er setzt aber auch hinzu: Bei euch aber soll es anders sein. "Ihr
aber" sollt anders denken, leben, handeln. Formell spricht das Evangelium
von "Pharisäern und Schriftgelehrten"; in der Sache
aber geht es darum, ob es in der Kirche auch anders zugeht.
2. Unaufgebbare Spannung
- Im ganzen Neuen Testament ist die Spannung zu spüren. Auf der einen
Seite das klare Wort: "Nur einer ist euer Meister, ihr alle aber
seid Schwestern und Brüder". Auf der anderen Seite Aufgaben,
ja auch Ämter, die unverzichtbar sind für den Auftrag Jesu, als
Gemeinschaft Zeuge zu sein für das Reich Gottes. So setzt Jesus selbst
die Zwölf ein zum Richteramt. Jesus selbst wählt Apostel aus, zu
verkündigen und zu taufen. Die Apostelgeschichte und die Paulusbriefe
geben uns ein differenziertes Bild, dass es in der Kirche immer auch Lehrer
gab, Schriftgelehrte eben (vgl. 1 Kor 12,28f).
- Das Besondere in der Nachfolge Jesu muss aber bestehen
bleiben. Der Brief, den Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki schreibt, ist
dafür ein gutes Beispiel. Grundlegend ist die Liebe des Apostels zu seiner
Gemeinde. Sodann ist wichtig, dass der Apostel sich "gerecht und
untadelig den Gläubigen gegenüber verhalten" hat. Erst
dann geht es um die Lehre, das Wort. Entscheidend ist, dass es immer um das
Wort Gottes geht, die Botschaft Christi, und nicht irgendwelche selbst erdachten
Lehren (vgl. Röm 10,17). Jede christliche Lehre steht unter dem Vorbehalt:
"nur einer ist euer Lehrer, Christus".
- Die Spannung zwischen diesen Polen ist unaufgebbar. Wenn wir es uns nach
der einen oder anderen Seite hin zu leicht machen, geht etwas entscheidendes
verloren.
Wenn die Lehrer, Priester und Theologen sich an die Stelle Christi, und wenn
Kleriker sich über ihre Schwestern und Brüder stellen, dann werden
schnell " ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern
lang". Auf der anderen Seite des Straßengrabens lauert aber
ebenso die Heuchelei.
Die Professoren, Priester und Lehrer, die kumpelhaft einen auf "Brüder
und Schwestern" machen, verschleiern nur die Macht, die sie de facto
haben, wenn sie an Katheder oder Kanzel gestellt sind. Verschleierte Machtstrukturen
aber sind um so gewalttätiger. Opfer sind die "Brüder und
Schwestern". Diese haben ein Anrecht darauf, dass ihnen das Wort
der ganzen Heiligen Schrift getreu verkündet wird - und sie das verkündete
Wort kritisch am Wort Gottes messen können.
3. Ihr alle
- Es geht nicht nur um Priester und Schriftgelehrte. Ja, sie sind als erste
angesprochen und müssen sich an der Kritik Christi messen lassen. Jesus
spricht in unserem Evangelium zu allen seinen Jüngern und zur ganzen
Menge des Volkes im Tempel. Jeder Christ wird daran erinnert, dass wir nicht
mehr eigenmächtig leben und lehren können, wenn wir von Christus
gesandt sind. Jeder von uns muss (!) sich unaufhörlich im Gebet und im
Hören auf das Wort Gottes prüfen.
- Niemanden Vater nennen und sich nicht Lehrer nennen lassen, heißt
die Radikalforderung. "Denn nur einer ist euer Vater der im Himmel"
und "nur einer ist euer Lehrer, Christus". In die Praxis
umgesetzt sind damit Väter und Lehrer relativiert.
Aktiv: Wir sollen niemand unseren Vater nennen. Das bedeutet, wir sollen uns
nicht an irdische Autoritäten verkaufen, nicht an leibliche Väter,
nicht an Professoren oder Vorgesetzte, schon gar nicht an einen "Heiligen
Vater", denn der Papst, mehr als alle, ist nur dazu berufen, uns in Christus
auf den himmlischen Vater zu verweisen.
Passiv: Wir sollen uns nicht Lehrer nennen lassen. Es soll jederzeit spürbar
und erlebbar dass nicht der Lehrer oder Prediger, sondern der eine Christus
es ist, den jeder Christ, Priester zumal, als Lehrer verkünden sollen.
Das ist die bleibende Mahnung an jeden, dem ein solcher Dienst in der Kirche
aufgetragen ist.
- Christen sollen sich unterscheiden. Das Wehe den Heuchlern hat Jesus gesprochen.
Ich sollte darauf achten, ob es mir gilt. Wenn Jesus uns anhält hinzuhören,
wenn im Tempel vom Stuhl des Moses das Wort Gottes verkündet wird, dann
gilt das auch für die Kirche, die uns das Evangelium verkündet.
Es gibt keinen Grund das Wort auf das Niveau des Handelns abzusenken. Es gibt
jeden Grund, das Handeln auf das Niveau des Glaubens zu heben. Das was uns
aufgetragen und geschenkt wurde, dürfen wir weiter tragen. Christus sollten
wir raushängen lassen, nicht die Sau raushängen. Nicht leere Rede
soll den Glauben verkünden, sondern gelebte Liebe. Amen.