Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 31. Sonntag im Lesejahr C 2016 (2. Thessalonicherbrief)

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30. Oktober 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Yehya, der Kriminelle

  • Yehya sitzt in Berlin-Moabit im Gefängnis. Er ist 25 Jahre alt. Er sitzt schon zum zweiten Mal. Er ist ein Krimineller, trotz seiner Jugend ein Boss unter den arabischen Gangs in Neukölln. Yehya ist zu recht verurteilt, weil er schwere Verbrechen begangen hat. Seine Eltern sind vor 25 Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Da war Yehya wenige Wochen alt. Bis heute ist die Familie in Deutschland nur geduldet. Sie könnte jederzeit abgeschoben werden. Nur gibt es kein anderes Land, das sie aufnimmt. Seit Jahrzehnten.
  • Yehya ist verurteilt worden, weil er wiederholt zusammen mit anderen aus der Straßen-Gang schwere Straftaten mit unglaublicher Gewalt gegen Menschen begangen hat. Er ist schuldig und bestreitet das nicht. Er war mit 16 schon einmal im Gefängnis. Es schien so, als hätte er sich dort bekehrt, der Gewalt und der Kriminalität abgeschworen. Eine Zeitlang war er danach in Berlin berühmt, als der Intensiv-Täter, der auf den rechten Pfad gefunden hat. Dann aber wurde er wieder schuldig durch Raub und Gewalt an Menschen in dem Land, das ihn und seine Familie aufgenommen hat, als sie Flüchtlinge waren. Dieses Land hat Yehya immer nur erfahren als das Land, das ihn abschieden will, wo weder er noch jemand aus seiner Familie arbeiten darf, wo er trotz Bestnoten nur das Minimum an Schule besuchen durfte, weil er sich ja nicht integrieren, sondern abgeschoben werden soll. Seit 25 Jahren.
  • Vor Gericht wurde Yehya verurteilt, weil er schwere Verbrechen begangen hat. Letztlich ist sein Verbrechen aber vor allem das eine: Er hat der Versuchung nicht widerstanden, in einer kriminellen Gang Anerkennung zu finden, indem er mitgemacht hat und sich Ansehen erworben hat durch Kriminalität. Dadurch hat er die Zugehörigkeit erfahren, die er gesucht hat. Es war ihm klar, dass er dadurch kriminell wird. Aber er wollte vor allem: dazugehören!

2. Zu Gott gehören

  • Als zweite Lesung haben wir heute ein Stück aus dem Brief gehört, der als zweiter von Paulus an die Christen in Tessaloniki überliefert ist. Die Auslegung und daher auch Übersetzung dieser Zeilen ist nicht ganz einfach. Nach unserer Übersetzung versichert Paulus die Gemeinde, dass er Gott im Gebet bittet, "dass unser Gott euch eurer Berufung würdig mache und in seiner Macht allen Willen zum Guten und jedes Werk des Glaubens vollende. So soll der Name Jesu, unseres Herrn, in euch verherrlicht werden."
  • Der Ausdruck, dass Gott uns der "Berufung würdig mache", bedeutet, dass Paulus Gott darum bittet, dass er die Menschen annimmt in die heilige Gemeinschaft mit ihm. Dessen sollen sie "würdig" sein. Durch eigene Leistung kann sich kein Mensch vor Gott würdig machen. Aber das ist doch die Erfahrung des Glaubens: Gott selbst will uns "würdig machen". Von uns selbst aus gäbe es keine Rechtfertigung, warum wir hier im Haus Gottes sind. Was hätte ich hier verloren, wenn nicht Gott selbst will, dass ich hier bin?
    Das ist in Ordnung so!, sagt Gott. Die Theologie nennt das: Rechtfertigung. Und daran schließt sich die Bitte an, dass Gott uns nun schenken möge, dass das, was bei uns selbst Gutes ist, Vertrauen, Liebe, Mühen um Gerechtigkeit, dass das nicht Stückwerk bleibt, sondern Gott es "vollende". Denn es ist doch ein "Werk des Glaubens", das bedeutet: Es ist mir möglich, weil ich auf Gott vertraue.
  • Wer weiß, wo ich sonst versuchen würde, mit meinem Tun und Handeln Anschluss zu finden. Ich weiß, es ist eine große Gnade in meinem Leben, dass mir Gott durch konkrete Menschen geholfen hat, ihm zu vertrauen. Wo da etwas gut ist an dem, was ich tue, verdankt es sich diesem Vertrauen in Gott. Es verdankt sich der Erfahrung, dass ich zu Gott gehören darf, sein Kind sein darf, zu seinem Volk gehören darf - zu Jesus Christus gehören darf, dessen Namen genau dadurch "verherrlicht" wird, weil Gott diese Gemeinschaft hier gewirkt hat, die dir und mir sagt: Du darfst dazu gehören. Gott hat dich berufen und erwählt.

3. Ministranten, die man nicht mehr los wird

  • Wir müssen realistisch bleiben. Diese Gesellschaft und dieser Staat wird immer Menschen ausgrenzen. Jahrhunderte lang haben wir das mit Juden gemacht, die in unserer Mitte gelebt haben. Heute geschieht es vielfach als Abgrenzung, die teilweise unumgänglich sein mag, vielfach aber nur geschieht von Gruppen und Menschen, die gar keine Flüchtlinge kennen und sie auch nicht kennen wollen, sondern sie lieber als Sündenbock benutzen wollen, um sich selbst zugehörig zu fühlen zu einer Kultur, von der sie gar nicht merken, dass sie sie im selben Atemzug verraten.
  • Besonders erschütternd ist, wenn manche Politiker kalt kalkulierend auf dieser Welle reiten. Vor wenigen Wochen hat Andreas Scheuer, der Generalsekretär einer sich christlich und sozial nennenden süddeutschen Regionalpartei doch tatsächlich gesagt: "Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese. Der ist drei Jahre hier - als Wirtschaftsflüchtling. Den kriegen wir nie wieder los." (1)Da hat Herr Scheuer etwas Wichtiges richtig gesehen. Was hier bei uns geschieht, ist dass Menschen zu uns gehören, weil Gott sie berufen hat. Das gilt für die Berufung zum Ministranten, egal aus welchem Land die Eltern gekommen sind, das gilt für jeden, den Gott berufen hat, hier zu sein und zu seiner Kirche zu gehören. Die Taufe gilt; die kriegt man nicht mehr los.
    Wir können damit nicht ausgleichen und 'gut machen' wenn unsere Kultur Menschen mit Ausgrenzung oder Rassismus begegnet, oder wenn dieser Staat Menschen mit allen bürokratischen Mitteln das Leben schwer macht, um ihnen zu zeigen, dass sie nicht dazu gehören. Aber wir können versuchen hier das zu leben und als Erfahrung zu vermitteln, was für uns als Glaubende gewiss ist: Bei Gott, bist Du, Mensch, angenommen. Du kannst Dich ihm im Glauben anvertrauen und zu seinem Volk gehören.
  • Es wäre falsch und vermessen zu behaupten, Yehya könnte es schaffen, sich nicht mehr über kriminelle Gangs Selbstbestätigung zu holen, wenn er in unserer Gemeinde Christ wäre. Vielleicht ist es für ihn leichter, im muslimischen Kontext die Erfahrung zu machen, dass er von Gott angenommen ist. Ich weiß es nicht. Sicher würde es ihm helfen, wenn der deutsche Staat ihm eine Perspektive geben könnte. Aber all das ahne ich nur über diesen Fall, den ich nur vom Lesen und aus der Ferne kenne.
    Aber der Fall Yehya hat mir einmal mehr bewusst gemacht, wozu wir als Kirche von Gott her gut sein können: Ein Ort zu sein, an dem die Erfahrung Raum gewinnt, angenommen und geliebt zu sein. Das gilt sogar für den Sünder. Das gilt erst recht für alle Menschen, die Schutz suchen. Das gilt für alle, die sich der Barmherzigkeit Gottes zuwenden. Von Gott sind sie und wir immer angenommen und geliebt , hoffentlich auch von all den Menschen, die Gottes Volk sein sollen. Amen.



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Anmerkung

1. (Kath. Nachrichtenagentur KNA 19.09.2016 - und viele Zeitungen; wörtlich hat er vermutlich gesagt: "Entschuldigen Sie die Sprache: Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist. Weil den wirst Du nie wieder abschieben. Aber für den ist das Asylrecht nicht gemacht, sondern der ist Wirtschaftsflüchtling. (...)")