Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 32. Sonntag im Lesejahr C 1989

Zurück zur Übersicht von: 32. Sonntag Lesejahr C

12. November 1989 - St. Evergislus, Bonn Bad Godesberg

Zielsatz: Die Ewigkeit beginnt heute, nicht nach dem Tod

1.

  • Mit seiner Botschaft geriet Jesus immer wieder in Gegensatz zu den damals herrschenden Lehren.
    Wir kennen seine teilweise scharfen Auseinandersetzungen mit den Pharisäern. Immer wieder versuchen die Pharisäer, Jesus durch Fangfragen öffentlich ins Unrecht zu setzen.
  • Im heutigen Evangelium begegnet uns eine andere Gruppe von Theologen des zeitgenössischen Judentums: Die Sadduzäer. Diese anerkennen nicht die ganze Heilige Schrift, sondern nur die ersten fünf Bücher von Genesis bis Exodus. Und weil darin von Auferstehung nicht die Rede ist, lehnen sie diesen Glauben ab. Ja mehr noch: Mit dem Beispiel, das sie Jesus vorlegen, versuchen sie den Glauben an die Auferstehung der Toten ins Lächerliche zu ziehen: Wenn eine Frau auf Erden siebenmal verwitwet ist, so lautet ihr Argument, dann hat sie im Himmel einen Harem aus sieben Männern. Eigentlich ganz logisch.
  • Was ist denn daran so falsch?
    Das Leben bei Gott ist Neues Leben. Jeder Versuch, mit den Bildern und Vorstellungen unserer Welt über dieses Neue Leben zu sprechen muss unvollkommen bleiben. Genau gesehen muss es scheitern. So hoch der Himmel über der Erde ist, so verschieden sind Gottes Gedanken von unseren Gedanken.

2.

  • Menschen zweifeln immer wieder deswegen am Glauben an das Leben der kommenden Welt, weil sie es mit den Farben und Formen dieser Welt malen. Aber, wie die Liebe Gottes unsere Liebe unendlich übersteigt, so gibt es nur ein Wissen, das wir vom ewigen Leben haben: Das ist die Zusage Gottes, dass er es uns schenken will.
  • Deswegen geht die Frage der Sadduzäer so völlig am Eigentlichen vorbei. Sie fragen nach einem Himmel in der Weise der Kinder dieser Welt. Jesus verkündet die Auferstehung, in der wir zu Kindern Gottes geworden sind, den Engeln gleich.
    Jesus beschränkt sich nicht darauf, den Sadduzäern ihr falsches Verständnis von Auferstehung vorzuhalten. Er geht auf sie ein und zeigt ihnen anhand der Teile der Bibel, die auch die Sadduzäer anerkennen, was es mit der Auferstehung auf sich hat.
  • "Dass aber die Toten auferstehen, hat schon Mose in der Geschichte vom Dornbusch angedeutet, in der er den Herrn den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs nennt. Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn sind alle lebendig."
    Das ist die christliche Hoffnung: Die Gemeinschaft mit dem schönsten und größten, was wir haben, die Gemeinschaft mit Gott, der uns seine Liebe zugewandt und uns in seiner Gnade ewigen Trost und sichere Hoffnung geschenkt hat.

3.

  • Aber ist es nicht so, dass wenn vom Tod die Rede ist, wir zunächst immer nur an die denken, die bereits auf dem Friedhof liegen.
    Und bei den Jüngeren: Hat da Tod und Ewigkeit nicht zunächst oder ausschließlich mit den Älteren und Alten zu tun? Ist uns die Auferstehung und das Ewige Leben nicht genauso fern wie der Tod?
    Früher gab es Menschen, die sich erst kurz vor dem Tod taufen ließen, damit sie von der Taufe direkt in den Himmel kämen. Wer so denkt, für den ist Gott ein Gott von Toten.
    Jesus aber sagt eindeutig: Er ist kein Gott von Toten, sondern von Lebenden. Das bedeutet doch: Gott ist unser Gott, mitten in unserem Leben. Und das Leben, das uns Gott für alle Zeiten verheißt, beginnt ebenso mitten in unserem Leben.
  • Wenn wir nach dem Ewigen Leben fragen, dürfen wir nicht auf den Tod schauen, sondern auf das Leben. Nicht der ewige Tod ist uns verheißen, sondern das Ewige Leben. Was unser Leben, mein Leben, dein Leben, ausmacht, ist bei Gott aufgehoben. Bei Gott geht nichts verloren.
    Wenn Sie mir das Beispiel erlauben: Was die Menschen in Berlin und an der Grenze in der DDR in den letzten 48 Stunden erlebt haben, hat eine Freude ohnegleichen ausgelöst. Wir haben Szenen der spontanen Mitmenschlichkeit erlebt, die niemand erwartet hätte.
    Und doch: Die Wurzeln dieser Freude liegen in den vielen Jahren davor. Und das waren zum größten Teil keine Jahre der Freude, sondern für die Menschen in der DDR oft bitteres Leid, für manche gar der Tod im Kugelhagel an der Mauer. Die Freude, die wir jetzt erleben, hat ihr Fundament in den 40 Jahren davor. In jedem einzelnen Tag jedes Menschen.
  • Ich glaube, so ähnlich ist das auch mit dem ewigen Leben: Es hat sein Fundament in jeder Stunde unseres Lebens. Die Auferstehung findet nicht freischwebend irgendwann "danach" statt. Sie hat ihren Anfang heute, jeden Tag.
    In welcher Weise Gott das Gute und das Schlechte, das unser alltägliches Leben ausmacht, in unser Ewiges Leben hinein auferstehen lässt, wissen wir nicht. Das können wir aber auch getrost Gott überlassen.
    Denn eines wissen wir: dass seine Liebe alles Begreifen übersteigt. Amen.