Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 32. Sonntag im Lesejahr C 2022 (Lukas)

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5. November 2022 - St. Michael, Sinzig-Franken

1. Sadduzäer

  • In der Begebenheit, von der das heutige Evangelium berichtet, tauchen Sadduzäer auf. Sehr viel wissen wir über diese Gruppe im Judentum zur Zeit Jesu nicht. Es ist aber nicht ganz falsch, sie sich ähnlich vorzustellen, wie heute säkularisierte Christen, die im gesellschaftlichen und politischen Positionen sind und vom Christentum sagen, es gehe ja eigentlich nur um die Werte. Das andere Drumherum des Glaubens sei nicht so wichtig.
  • Zum Drumherum gehört dann auch der Glaube an die Auferweckung von den Toten. Da haben die Sadduzäer eine Vorstellung, die wahrscheinlich auch unter säkularisierten Christen heute nicht selten ist. Und diese Vorstellung finden sie zudem ziemlich absurd. 'Auferweckung zum ewigen Leben' bedeutet für sie, dass es nach dem Tod irgendwie so weitergeht wie bisher. Nur halt ohne Ende.
  • Eine solche Vorstellung von einem "immer weiter so" lässt sich leicht lächerlich machen. Dazu muss man gar nicht eine solche Geschichte konstruieren, wie es die Sadduzäer gegenüber Jesus tun: Wenn eine Frau in diesem Leben mit sieben Männern verheiratet war, welcher wird sie dann im ewigen Leben haben? – Ein solcher primitive Glaube an ein Leben nach dem Tod lässt sich leicht ablegen. Wir haben ja immer noch die Werte, die Gebote nach denen man leben soll. Was brauchen wir da das andere?

2. Wiedergeburt

  • Die Sadduzäer als Gruppe haben sich irgendwann im ersten Jahrhundert aufgelöst. Aber mir fällt auf, dass ihre Vorstellung von dem, was mit Auferstehung der Toten gemeint sei, auch heute wieder erstaunlich verbreitet ist. Nur während die Sadduzäer das als absurde Idee verspotteten, erfreut sich eine ähnliche Idee heute großer Sympathien, gerade auch unter ansonsten säkularisierten Christen, die sagen würden, es ginge doch vor allem um die Werte.
  • Einen Unterschied gibt es bei den heutigen Sadduzäern: Sie stellen sich das Leben nach der Auferstehung nicht vor als ein "immer weiter so" und finden das dann absurd. Stattdessen ist die Vorstellung ein "immer wieder so" und es erscheint vielen Zeitgenossen sehr erstrebenswert.
    Bis weit in die christlichen Kirchen hinein findet sich diese Idee, statt einem einzigen Leben, einem einzigen unwiderruflichen Tod und einer Auferweckung zum ewigen Leben gäbe es eine Folge von Leben, immer wieder neu. Wiedergeburt, Reinkarnation.
  • Mit der fernöstlichen Lehre von der Reinkarnation hat das nichts zu tun. Denn dort ist der Grundsatz: Leben ist Leiden. Wiedergeburt ist Strafe. Das Nichts ist das Ziel. Unsere Neu-Sadduzäer hingegen im Gegenteil: Sie erfahren sich als so reichhaltige, vielfältige Persönlichkeit, dass sie die Beschränkung von nur einem Leben ablehnen. Der Wohlstand macht es möglich. Die kapitalistische Kultur des "anything goes" und "alles ist (für Geld) zu haben" erträgt die Beschränkung auf nur ein Leben nicht. Das Ich (groß geschrieben!) müsse doch in immer neuen Wiedergeburten zur Entfaltung kommen. Daher übrigens auch das Erschrecken, wenn klar wird, dass dieser Planet endlich ist. Die ganz Reichen planen entsprechend schon, sich auf andere Planeten abzusetzen – immer wieder so.

3. Engel

  • Die Antwort Jesu heißt: Ihr habt nicht ansatzweise verstanden, worum es geht! Die Sadduzäer damals nicht, die meinen, im ewigen Leben müsste man klären, welche Besitzansprüche aus dem irdischen Leben noch gelten (denn das steckt hinter: "Wessen Frau wird sie nun bei der Auferstehung sein?"). Aber auch unsere Neu-Sadduzäer nicht, die meinen das Leben sei vor allem die Entfaltung des großgeschriebenen "Ich".
  • Auch für Jesus ist jeder Mensch wertvoll, aber eben jeder. Und wertvoll ist, dass wir in Beziehungen leben und lieben, dass wir leben und geliebt werden. Das ewige Leben ist für Jesus nie etwas, das man sich durch werteorientiertes Handeln auf Erden selbst erwirbt. Er spricht stattdessen von denen, die "gewürdigt werden, an jener Welt und an der Auferstehung von den Toten teilzuhaben". Ewiges Leben ist geschenkte Beziehung.
  • Jesus sagt mit einem schönen Wort: Die Auferstandenen sind "den Engeln gleich und als Kinder der Auferstehung zu Kindern Gottes geworden". Engel zu sein bedeutet: Aus ganzem Wesen Bote Gottes sein. Alles was ein Engel sagt und ausstrahlt ist Botschaft von Gottes Liebe. Engel leben zu 100% aus der Beziehung zu Gott. Wen Gott "würdigt, an jener Welt und an der Auferstehung von den Toten teilzuhaben" ist beides: endlich und vollendet. Endlich ist unser Leben auf Erden. Aber hier schon jeden Tag vorausgreifend auf das Ewige, wo wir in Beziehung leben, ein wenig wie die Engel. Brüchig unsere Stimmen, aber jetzt schon mit den Engeln: "Heilig, heilig, heilig!" singend. Und von dort, der ewigen Gemeinschaft mit Gott, können und müssen wir nicht mehr wissen als dieses eines: Es ist die Vollendung der Liebe, die wir anfangshaft schon kennen. Es wir weder das "immer weiter so" der Sadduzäer sein, noch ein "immer wieder so" unseres aufgeblasenen, sich ewig wiederholenden Ichs, sondern ganz die Liebe Gottes, der uns annimmt als  seine Kinder.