Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 33. Sonntag im Lesejahr A 1990 (Matthäus)

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18. November 1990 - Pfarrei St. Evergislus, Bonn Bad-Godesberg

1. Weltfremd

  • Eigenartigerweise stehen die Christen in dem Ruf "weltfremd" zu sein. Das suggeriert, dass es andere, "welterfahrene" Menschen gibt, die sich über diese Weltfremdheit erheben. Mein Eindruck ist dagegen, dass die Welt, gerade dort, wo sie besonders "weltlich" ist, sich doch selbst mehr als fremd ist. Dass diese "weltliche" Welt vor allem dort und dann anzutreffen ist, wenn Dunkelheit herrscht und künstliche Lichter energieaufwendig dagegen anleuchten müssen, bestätigt dieses Gefühl eigentlich nur: die Welt ist sich selbst fremd, durchschaut sich nicht, hüllt sich in Dunkel.
  • Dagegen meint die Aufforderung des ersten Thessalonicherbriefes, wir sollten "Kinder des Lichtes" sein, eine wache Aufmerksamkeit für das, was ist. Kinder des Lichtes sind Menschen, die sich nicht überraschen lassen, weil sie um das wissen und mit dem rechnen, was "Welt" ist.
  • Sie sind aber tatsächlich insofern fremd in der Welt, als ihre Heimat größer und weiter ist, weil sie zudem um das wissen und mit dem rechnen, der Gott ist. Wir müssen also die Weltfremdheit nicht gegen Gottesfremdheit eintauschen. Wir müssen, ja dürfen nicht meinen, wenn wir Gott im Konturlosen verschwimmen lassen würden wir die Welt besser erkennen.

2. Weltkundig

  • Im Gegenteil: Von der heiligen Schrift her gewinnt Gott für uns Gestalt gerade als Teil dieser Welt. Von dieser Offenbarung her gewinnt unser Verhältnis zu Gott und unser Verhältnis zur Welt gleichermaßen Kontur. Das nämlich zeichnet die Sicht auf die Dinge bei Tage gegenüber dem verschleiernden Licht der Nacht aus: Die Dinge gewinnen Kontur und werden unterscheidbar und benennbar.
  • Jesus vergleicht das Himmelreich mit einem Herrn, der seinen Knechten recht unterschiedliche Ausgangspositionen verschafft hat und, als die Zeit gekommen ist, von ihnen Rechenschaft fordert, was sie mit dem angefangen haben, was ihnen anvertraut wurde. Es geht also in diesem Gleichnis noch nicht eigentlich um das Himmelreich, sondern um den Weg dorthin. Es ist ein Blick auf die Welt, unterwegs zum Reich Gottes. Daher ist dieses Gleichnis so wenig weltfremd wie es gottesfremd ist.
  • Drei Dinge benennt das Evangelium:
    • (1*) unsere Erfahrung, dass die Dinge dieser Welt und die Menschen zumal unterschiedlich sind;
    • (2*) die Überzeugung, dass kein Mensch weniger wert ist, weil er weniger hat;
    • (3*) den Glauben, dass der Mensch sich von jedem Punkt, an dem er steht, auf Gott zubewegen kann, indem er Vertrauen auf Gott setzt, dass sich aus dem, was ich habe, immer etwas machen lässt.
  • Aus dieser Kenntnis heraus in der Welt christlich leben ist also genau nicht das ängstliche In-der-Ecke-Sitzen. Christlich leben impliziert im Gegenteil Risikobereitschaft, das Leben, das ich habe, einzusetzen.

3. Gottesmut

  • Das Gegenbild ist der eine, der Angst hat und daher sein Talent lieber vergräbt. Das ganze Evangelium ist überhaupt nur auf den einen hin erzählt, den "einen, der Angst hat" in uns. Diese Ängstlichkeit kann ganz unterschiedliche Formen annehmen.
    • (*3) Die fromme Ängstlichkeit, die den Glauben am liebsten zwischen staubigen Buchdeckeln und im Hinterkämmerlein bewahrt, damit er sich nicht an der frischen Luft verkühlt.
    • (*2) Die weltliche Ängstlichkeit, die sich so ein festes Bild von der Welt geschaffen hat, dass die Regeln dieser Welt - als Moral getarnt - sich als Stahlnetz über alles legen und vor allem die anderen fest in meine Welt zu binden suchen.
    • (*1) Oder die intellektuelle Ängstlichkeit, die alle Energie darauf verwendet, alles und immer alles zu bedenken, zu prüfen, zu kalkulieren statt irgendwo anzufangen und zu tun und zu leben. Alles diese Ängstlichkeit sieht nur den Teil und sieht ihn nur im Licht der Dämmerung verschwommen.
  • In diese Ängstlichkeit hinein ist das Evangelium gesprochen. Es ist ein strenger Text. Aber die frohe Botschaft, das eigentliche Evangelium besteht darin, dass uns dieses Gleichnis erzählt wird. Es will nicht Angst machen, sondern aus Lethargie reißen, um uns fähig zu machen zum Vertrauen. Gerade das "Heulen und Zähneknirschen" am Schluß ist ganz deutlich nicht Begründung für, sondern Folge von Ängstlichkeit, Angst und Misstrauen in das Leben.
  • Dagegen fordert das Evangelium: Das Vertrauen Gottes in unsere menschlichen Fähigkeiten zu glauben, seiner Ermunterung zum Risiko zu vertrauen. Nur wer nicht gottesfremd diese Welt in sich isoliert, kann die Welt so sehen. Und das sollte weltfremd sein? Amen.