Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 33. Sonntag im Lesejahr B 2012

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18. November 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

Zoe Kazan hat das Drehbuch zu einem Film geschrieben, in dem Calvin, ein junger Romanautor, zehn Jahre nach seinem Welterfolg in einer Schaffenskrise steckt. Er kreist nur um sich selbst (und seinen Psychologen). Dann beginnt er doch wieder zu schreiben und erschafft die Frau seiner Träume als Romanfigur: Ruby Sparks ist das von Zoe Kazan selbst gespielte Mädchen, das dem Film auch den Titel gibt.  Eine literarische Fiktion, gezeugt aus den Wünschen eines frustrierten Einzelgängers. Dann aber lässt der Film die Romanfigur märchenhaft real werden: Calvin lebt auf einmal mit dem Menschen zusammen, von dem er schon immer geträumt hat, einer Frau, die so ist, wie er es immer wollte. Nur, dass unsere Träume noch keinen realen Menschen machen.
Die Regisseure Jonathan Dayton und seine Ehefrau Valerie Faris haben sechs Jahre nach "Little Miss Sunshine" erneut ein filmisches Kleinod geschaffen.

 

Das Rad der Zeit, verkündet die Heilige Schrift, wird sich nicht endlos weiter drehen. Jedes Leben kommt irgendwann - "jenen Tag und jene Stunde kennt niemand" - an den Punkt, an dem sich zeigen wird, was gelungen ist.

Eine Betrachtung.

1.
Hat Gott nicht einen großen Vorteil? Ein jeder kann sich sein eigenes Bild von ihm machen, oder ihn auch leugnen. Wer soll da richten?
Den Vorteil habe ich, für meine eigene Person, nicht. Mein Leben geschieht. Das Drehbuch meiner Biographie kann ich nicht einfach nach meinen Träumen schreiben und umsetzen. Es wird vielfach von anderen geschrieben und ich muss mich damit begnügen, hie und da ein paar Nebensätze einzufügen und Exkurse dranzuhängen. Von außen und nüchtern betrachtet scheinen es mehr die "Umstände" zu sein denn ich selbst, die den Roman meines Lebens verfassen. Nicht ich.
Noch mehr zeigen sich andere Menschen, ja, selbst Menschen, die ich liebe, widerspenstig gegen meine Versuche, ihr Bestes zu wollen und dies in ein Drehbuch ihres Lebens einzuschreiben. Da kann ich sagen: "Nimm dieses nicht so wichtig!", "Komm mit, es wird dir gefallen!", "Brauchst du nicht jetzt Zeit für dich selbst?", "Mach das, es ist die Chance deines Lebens" - und dann machen die anderen doch unbegreiflicherweise, was sie wollen, statt das, was das Beste für sie ist (und es ganz nebenbei auch für mich in meinen Wunschträumen wäre). Selbst wen ich liebe, lässt sich von mir nicht das Leben schreiben.

2.
Um wie viel besser kann man da doch mit Gott zurecht kommen. Brauche ich Trost und Geborgenheit? - Hier ist ein Bild, da ist ein Satz, hier eine heimelige Kirche, dort die Stille der Natur. Mein Gott! Brauche ich Gott derzeit nicht, so ist er nicht aufdringlich; er lässt mich in Ruhe und verschwindet rücksichtsvoll aus meinem Blickfeld.
Gott lässt mir alle Freiheit, den Roman zu schreiben, wie er sei, der Gott meiner Hoffnungen und Träume (und manchmal auch meiner Ängste) - und so ist er dann für mich. Keiner und niemand kann mir doch widersprechen. Gott ist eine subjektive Sache, darüber soll man nicht streiten. Mögen manche sagen: Gott sei eine Projektion! Na und? Wenn diese Projektion mir gut tut, dann hat sie doch hinreichend Realität.

3.
Realität. Wenn Gott vielleicht doch realer real ist? Realer als alle probeweisen, passgenauen, befindlichkeitskonformen Vorstellungen, die ich mir aus der Buchstabensuppe unserer Kulturmelange zusammengetextet habe? Realer als alles - weswegen er diese ungeheure Lücke zu hinterlassen vermag, wenn er nicht da ist und mir die eigene Lebensrealität um die Ohren fliegt. Wenn Gott so wirklich ist, dass ich schreien möchte, weil er nicht so da ist, wie ich ihn mir doch herbeigeträumt habe.
Vielleicht ist das das Gericht, wenn "die Sterne vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels erschüttert werden". Jene Begegnung mit dem Menschensohn, dessen Barmherzigkeit so ganz und gar nicht wohlfühlig und gefällig ist, weil meine Beliebigkeit an ein Ende kommt, und ich mich entscheiden muss - und sich alles scheidet.
Dann ist es dieser Gott, der alles erst real macht, meine Sehnsucht und Verzweiflung, mein Scheitern und mein Gelingen, meine Überfülle und meine Leere. Gott, der durch seine scheidende Gegenwart meine einsame Hölle aufbricht, in der ich mich in der wunschgezimmerten Scheinrealität eingerichtet habe. Bilder nur, von mir, von anderen und selbst von Gott, meinend ich sei der Drehbuchautor des Lebens. Dann ist Gott dieser ganz Andere, nicht Phantasie, sondern real. Und dann erkenne ich den Menschen neben mir, liebenswert-widerspenstig, eigen und ganz real. Und dann, dann kann ich auch ich selbst sein.