Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 33. Sonntag im Lesejahr C 2016 (2. Thessalonicherbrief) (US-Präsidentenwahl)

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13. November 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

Hintergrund: Am vergangenen Dienstag wurde Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt.

1. Hass

  • "Ich hasse Mohrrüben!" Letztes Jahr, beim Wochenende für die Erstkommunionkinder, sagte das eines der Zehnjährigen. Da ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass sich ein Sprachgebrauch ändert. Ich denke, früher hätten Kinder gesagt: "Ich will nicht...", "Ich mag das nicht...". [Eine Mutter sagte mir, bei Mädchen sei das vielleicht schon früher so gewesen; Frauen seien eben emotionaler. Aber mir zumindest ist es, seit ich darauf achte, bei Jungs wie Mädchen aufgefallen:] Das starke Wort "ich hasse" hört man heute oft, auch wenn es um nur reine Geschmacksfragen geht.
  • Die gute Nachricht: Als ich bei Google abgefragt habe, wie häufig "ich liebe" und "ich hasse" im deutschsprachigen Internet vorkommt, lag Liebe mit 56:1 vorne. Die schlechte Nachricht: Wenn ich das selbe in Globalesisch abfrage, dem Englisch des Internet, dann liegt Liebe nur noch mit 9:1 vorne [obwohl ich "I love" und "I like" zusammen nehme. Das "ich hasse" kommt also globalenglisch mehr als fünf Mal so oft vor. Ich vermute, hier zeichnet sich ab, wo auch bei uns der Trend hingeht, wenn Kinder Spinat nicht mehr einfach nicht mögen, sondern "hassen" (wobei sich nur 0,176% des "ich hasse" auf Spinat bezieht]].
  • Ich hatte diese Zahlen Anfang der letzten Woche recherchiert, in Erwartung dass wir am Mittwoch erfahren würden: Donald Trump ist zum Präsidenten der USA gewählt worden. Ich war überzeugt, dass er gewinnen würde, weil er nicht das Problem ist, sondern nur der Indikator, das Symptom. Das Problem ist tiefer liegend und allgemein.
    Meine Vermutung ist, dass es etwas mit "Ich hasse Mohrrüben!" zu tun hat. Es hat damit zu tun, dass wir Menschen unser Bauch-Gefühl gerne absolut setzen. Das wird schon immer so gewesen sein. Aber erst, seit es jeder im Internet publizieren kann, kann das Bauchgefühl durchschlagen in globale Öffentlichkeit. Stammtische gab es schon immer; aber da war am nächsten Morgen der Kater bereits korrektiv. Diesmal wird sich der Kater hinziehen.

2. Emotionen

  • Christen und der christliche Glaube sind keineswegs einfach schon die Lösung. Sie können auch ein Teil des Problems sein. Die Briefe des Apostels Paulus sind, so auch der heutige Abschnitt, Reaktion auf Probleme, die sich daraus ergeben.
  • Religiöse Erfahrungen können sehr intensiv und prägend sein. Wer sich auf Gott einlässt, dem kann es geschehen, dass sich die ganze Lebensperspektive umkrempelt. Das ist ein großes Geschenk. Aber man muss auch mit diesem Geschenk lernen umzugehen.
    Ein nur intellektuelle Glaube ist nur eine halbe Sache; wie eine nur intellektuelle Liebe besser als nichts, aber auch nicht viel ist.
    Die ganze kirchliche Tradition kennt nicht erst seit Paulus die Notwendigkeit, die eigene Erfahrung zu läutern. Die Gefühle brauchen Klarheit, ohne die Anmaßung, alles in Begriffen und Formeln fassen zu können oder auch nur zu wollen. Schon Jesus mahnt, aus der Erfahrung der Vergänglichkeit der Welt und der Relativität aller Strukturen nicht den Schluss zu ziehen: Das Ende ist nahe, jetzt ist alles egal. Statt dessen ruft Jesus "Lauft ihnen nicht nach! Lasst euch dadurch nicht erschrecken!"
  • Im Bild gesprochen: Am Anfang erfahren Schüler die Schule als ein geordnetes System und denken, die Lehrer wüssten alles. Dann aber entdecken sie, dass nicht nur die Lehrer auch ihre Fehler haben, nicht nur die Schulpläne offenbar so schlecht sind, dass sie von jeder neuen Regierung geändert werden, sondern auch das Schulgebäude eigentlich so baufällig ist, dass es abgerissen werden müsste. Das Predigtlied ( die Liedzettel hatten wir schon letzten Montag fertig) bringt es auf den Punkt: "Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Leben!"
    Wer das durchschaut und gleichzeitig etwas von der machtvollen Schönheit Gottes erlebt, ist leicht versucht, keine Hausaufgaben mehr zu machen. Ihnen sagt Paulus "Wir hören aber, dass einige von euch ein unordentliches Leben führen und alles mögliche treiben, nur nicht arbeiten. Wir ermahnen sie und gebieten ihnen im Namen Jesu Christi, des Herrn, in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen." Euer Gefühl, dass die Schule brüchig ist, mag stimmen. Dennoch macht jetzt erst mal die Hausaufgaben.

3. Respekt

  • Donald Trump ist nicht das Problem. Er ist das Symptom. Auch dass so viele Menschen ihn gewählt haben, ist nicht das Problem. Das ist vielmehr eine Reaktion, wenn auch, eine vermutlich ziemlich falsche. Ich glaube, hier haben Menschen reagiert, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass sie nicht zählen und nichts gelten, weil auf sie nicht gehört wird, und sie nicht gefragt werden. Hier haben Menschen (das zeigen Wahlanalysen) reagiert, weil sie sich sicher sind, dass die Welt zerbricht, in der sie eine Zukunft haben. Für die meisten von ihnen ist Donald Trump sicher nicht der Messias, der alles zum Besseren wendet. Ihn zu wählen ist vielmehr bewusst oder unbewusst die Möglichkeit, dieses Gefühl zum Ausdruck zu bringen und gehört zu werden.
  • Der Zusammenprall der Kulturen findet hier nicht an den äußeren Grenzen, sondern im Inneren statt. Wir haben - zum Glück ist das möglich! - in unserem Land und auch in unserer Kirche sehr, sehr unterschiedliche Gefühle davon, was gut und was heilig ist. Das Gender-Thema etwa ist auch deswegen nicht marginal.
    [All das ist keine ferne Debatte, sondern betrifft auch uns hier. Die einen erleben es positiv, wenn wir den Kleinen Michel hier dem Dialog mit der Kultur des Theaters und des Tanzes öffnen; die anderen fühlen sich darin zutiefst verletzt, dass so etwas in ihrer Kirche geschieht. Das lässt sich nicht einfach harmonisieren. Ab einem gewissen Punkt ist es eine Entscheidung, so oder so. Es kann dabei ungewollt auch zu Ausgrenzung kommen, die stille Ausgrenzung, bei der aus der Kirche auswandern, die den Stillstand oder das Neue nicht ertragen; die laute Auswanderung, die dagegen protestiert und beim Verlassen des Raumes die Türen zuknallt.]
  • Das Symptom Donald Trump - und alle Parallelen in Europa - lässt in meinen Augen nicht die Einen als dumm und die Anderen als vernünftig dastehen. Das Symptom verweist vielmehr auf eine tief sitzende Krankheit: dass wir alle andere Menschen nicht mit genügendem Respekt begegnen. Das wird bei Direktwahlen und Volksabstimmungen noch deutlicher, weil hier Korrekturen und Ausgleich mit der Minderheit noch schwieriger sind, als in den parlamentarischen Systemen.
    Es ist offenbar, was wir neu lernen müssen: Dass unsere Gefühle, so oder so, immer auch erfordern, dass wir einander mit Respekt behandeln. Das beginnt vielleicht damit, das wir anfangen, das Wort "ich hasse" vorsichtiger zu gebrauchen, um manches gelassener zu ertragen. Vielleicht ist es ja noch kein Weltuntergang. Aber dennoch können wir die Sorgen der Anderen ernst nehmen. Amen.