Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 4. Adventssonntag Lesejahr C 2015 (Micha)

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20. Dezember 2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Prophetische Begegnung

  • Das Kerlchen hatte schon im Mutterleib das richtige Gespür! Die Erzählung im Lukasevangelium ist humorvoll und feinsinnig: Die Gegenwart Gottes im werdenden Kind Mariens ist so stark, dass das andere, schon ältere, das in Elisabeth werdende Kind vor Freude in ihrem Leib hüpft.
  • Diese Erzählung ist nicht nur der Grund dafür, dass von Anfang an Christen sich von ihrer Umwelt durch die besondere Hochachtung für das werdende Leben auszeichneten. Dieses Bild der Begegnung des Täufers Johannes mit dem Messias Jesus schon in der Begegnung der Mütter zeichnet in feinen Strichen das Bild eines Propheten. Später wird Johannes der Täufer eher streng wirken; hier aber ist beschrieben, was einen Propheten auszeichnet: Wache Wahrnehmung für die Gegenwart Gottes.
  • In der Taufe wurden wir mit Christus gesalbt: Zum Priester, weil wir berufen sind, Himmel und Erde in Verbindung zu halten; zum Königskind, weil Gott uns annimmt als Schwestern und Brüder Jesu, die keine Herrschaft über sich haben, als Gott allein; und eben als Propheten. Prophetsein bedeutet zu aller erst die Berufung zu einer wachen Wahrnehmung für die Gegenwart Gottes.

2. Prophetische Begabung

  • Am Vierten Adventssonntag wurde uns heute aus dem Buch des Propheten Micha im Alten Testament in der Bibel ein Abschnitt vorgelesen. Micha war zwar gebildet, aber kam vom Lande. Er war kein Experte. Aber dennoch spricht er als Experte über die politische und gesellschaftliche Situation - und über die Zukunft.
  • Manche meinen, einem Propheten würde Gott irgendwelche Geheiminformationen durch einen Engel ins Ohr flüstern lassen. Tatsächlich aber ist es anders. Propheten sehen das, was alle sehen könnten, und hören das, was alle hören könnten. Aber die anderen sehen und hören es nicht, weil ihre Wahrnehmung blockiert ist. Vor allem sind die Menschen zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Ihr Horizont ist eng. Sie sehen, was sie sehen wollen. Sie sehen, was in ihr Schema passt. Dagegen hören die meisten nur das, was laut genug ist und was sich wichtig macht,. Die leisen Töne brauchen einen Menschen, der aufmerksam ist. Eben einen Propheten.
  • Daher ist das Besondere der Propheten nicht ein Geheimwissen, sondern das Wissen darum, wie man hört und sieht. Es ist letztlich die Vertrautheit mit Gott, die Fähigkeit zu beten, die Offenheit für den Willen Gottes, die Freiheit von den eigenen Vorurteilen und Interessen, was Propheten auszeichnet. Sie binden sich und ihr Leben an den einzigen, der frei macht, wenn man sich an ihn bindet und sich von ihm in Auftrag nehmen lässt, an Gott.

3. Prophetische Vision

Entsprechend finde ich drei Beobachtungen in dem Abschnitt aus dem Buch des Propheten Micha

  • Da ist erstens Betlehem. Keine Hauptstadt, kein strategisch oder wirtschaftlich wichtiger Ort. Von hier stammt David, der auch aus keiner vornehmen Familie und in seiner Familie nur der Kleine war. Aber ein Prophet weiß aus der Vertrautheit mit Gott: Hier, vom Rand her kommt das Heil. Wer nur die großen Zentren und die großen Player sieht, übersieht den Weg Gottes. Dieser Weg beginnt nicht von oben nach unten, sondern umgekehrt: Dort wo von unten her sich Menschen in Dienst nehmen lassen und einfach das anfangen, wozu Gott sie hier und jetzt durch diese Situation beruft.
  • Da ist zweitens das Wort vom Herrscher, Hirt und Messias, der aus Betlehem kommen wird. Beide Wörter haben gemeinsam, dass sie nicht vom König reden, sondern eine Wortwahl benutzen, die auf den König ausgerichtet ist, aber eben nicht mehr. In der biblischen Sprache bedeutet das: Gott allein ist König. Die sich an ihm ausrichten, können machtvoll etwas in der Welt bewirken, gerade weil sie nicht beanspruchen, selbst Gottkönig zu sein.
  • Da ist drittens die Versöhnung im Volk Gottes. Das ist ein schmerzhafter Prozess, wie eine Geburt schmerzhaft ist für die Frau. Aber nur, wer dem nicht ausweicht, kann Frieden erlangen. Nur wer sich dem Schmerz stellt, dass Altes und Gewohntes zerfällt, wird erleben, wie Gott Menschen neu zusammen führt, und wie das entsteht, was das große Wort des Propheten Micha bezeichnet: Frieden. "Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg" (Mi 4,3).
    Das ist, worauf hin wir getauft sind: Dass Gott diesen Frieden unter uns möglich macht, indem er uns in Dienst nimmt: Uns die Kinder des Königs, uns das priesterliche Volk, uns berufen Propheten zu sein, um vom Rande her in immer neuer Ausrichtung auf Gott seinen Frieden unter den Völkern, Nationen und Kulturen zu wirken. Amen.