Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2003 (Apostelgeschichte)

Zurück zur Übersicht von: 4. Sonntag der Osterzeit B

11. Mai 2003 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Mein lieber Herr Petrus

  • Petrus und Johannes, so berichtet die Apostelgeschichte, hatten an der Pforte des Tempels in Jerusalem einen Gelähmten geheilt. Das ist nett von ihnen und das wollen wir nicht kritisieren.
    Als dann im Tempel die Menge der Leute auf den Fall aufmerksam wurde und zusammenströmte haben beide begonnen lange Predigten über Jesus Christus gehalten. Sofern sie niemand gezwungen haben zuzuhören und die anderen nicht bei der Andacht gestört haben, ist auch daran nichts auszusetzen.
    Dass sie dabei festgenommen und über Nacht in U-Haft gesetzt wurden, sichert ihnen unser Mitgefühl.
  • Am nächsten Morgen aber werden sie vor ein Gremium im Hohen Rat geführt und gefragt, "durch welche Kraft und in wessen Namen" sie die Heilung vollbracht hätten. Da fangen sie erneut an zu predigen und sagen, sie hätten in der Kraft und im Namen Jesu Christi, des Nazoräers gehandelt.
    Dann aber fallen die beiden Sätze, die wir als aufgeklärte und tolerante Menschen so nicht hinnehmen können: "Und in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen."
  • Wie ist friedliches Zusammenleben in einer Welt der vielen Religionen und der Religionsfreiheit möglich, wenn solche Sätze unkritisiert verkündet werden?
    Wir sollten zumindest die Ehrlichkeit besitzen zuzugeben, dass die heutige Lesung aus der Apostelgeschichte einen Punkt berührt, der den allermeisten von uns Christen nicht leicht fällt. Die meisten werden den Satz, "In keinem anderen ist das Heil zu finden", schlichtweg für überholt und für heute untragbar halten.

2. Keine abstrakte Wahrheit

  • Das, was an dem Satz überholt und eindeutig zurückzuweisen ist, wäre die Lesart: Wenn "in keinem anderen Namen das Heil zu finden ist" dann werde jeder, der sich nicht zu Jesus Christus bekennt und getauft ist, heil-los leben und auf ihn warte nichts als die Hölle. Die Lesart ist drastisch formuliert, war aber jahrhundertelang der gemeinchristliche Mainstream. Diese Lesart ist aber nicht "überholt". Sie ist von Anfang an falsch, denn sie behandelt die Predigt des Petrus vor dem Hohen Rat als eine Verkündigung abstrakter Wahrheiten. Dabei ist diese alles weniger denn das.
  • Petrus spricht diesen Satz vor der Versammlung der Führungsschicht Jerusalems, der Versammlung des Hohen Rates, die zum größten Teil aus Sadduzäern besteht, die nicht an die Auferstehung der Toten glauben und maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass kurze Zeit zuvor Jesus verurteilt und zur Kreuzigung ausgeliefert wurde.
  • Die Ungerechtigkeit, die verübt wurde, ist ebenso wesentlicher Hintergrund seiner Predigt wie die Hoffnung, dass in der Auferstehung Jesu das Unrecht überwunden ist. Petrus spricht nicht davon, dass abstrakt irgend etwas wahr ist. Er redet in beachtlichem Freimut vor diesem Hohen Rat davon, dass nicht nur dieses Urteil ein Verbrechen war, sondern dass "uns Menschen" in diesem Verurteilten Gott das Heil schenken will. "Uns Menschen", damit schließt Petrus die am Tod Jesu Schuldigen ebenso ein wie sich selbst - und er schließt uns mit ein, die wir uns nicht zu schnell absetzen sollten, von denen die damals solche Schuld auf sich geladen haben.

3. Im Namen Jesu ist Heilung und Heil

  • Petrus spricht auffällig davon, dass wir Heilung und Heil finden "im Namen Jesu". Damit meint er nicht, dass man wie ein Magier den Namen "Jesus" murmeln müsse, und alles werde gut. Mit dem Ausdruck "Namen Jesu Christi, des Nazoräers" wird vielmehr der konkrete Mensch Jesus aus Nazareth, den Petrus als den Christus, den Gesalbten bezeugt, ansprechbar. Mit "Name" ist die ganze Person gemeint, und zwar als gegenwärtig, in meiner Situation, ansprechbar. Der "Name Jesu" öffnet die Aura dieses Menschen in unsere jeweilige konkrete Lebensrealität hinein, denn mit dem Namen ist Jesus ansprechbar.
  • "Jesus ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist." Mit diesem leicht veränderten Zitat aus dem Psalm 118 schildert Petrus dem Hohen Rat, dass aus dem Unrecht, das wir begangen haben, nicht wiederum Unrecht und Unheil folgen muss, wenn wir uns von Gott die Augen öffnen lassen: Aus dem Gehenkten und Gekreuzigten, den Menschen verworfen haben, aus dem, was "wir Menschen" gering achten und für wertlos achten, formt Gott Neubeginn. Es geht dem Petrus also nicht darum, Theorien darüber anzustellen, ob abstrakt "Menschen" getauft sein müssen, um Heil zu finden. Es geht konkret darum, ob die Erfahrung des Auferstandenen Jesus von Nazareth, den wir beim Namen nennen können, für uns die Chance birgt, Verurteilung zu überwinden und Fehler und Schuld nicht zum Schlusspunkt werden zu lassen.
  • Wenn wir in selbstgerechter Toleranz die Radikalität der Heiligen Schrift hinter uns lassen, dann wird dadurch gerade nicht mehr Friede zwischen den Menschen, Religionen und Völkern möglich, sondern wir berauben uns im Gegenteil dieses Friedens. Denn keiner von uns ist "abstrakt Mensch". Auch jeder von uns hat einen Namen. Die Apostelgeschichte fordert uns auf, uns nicht in abstrakten Überlegungen zu verlieren, sondern uns konkret ansprechen zu lassen und Antwort zu geben. Nicht wenn Christen ihren Glauben bis zur Belanglosigkeit verwässern, können wir beitragen zum Frieden, sondern nur wenn wir uns der Radikalität des Evangeliums stellen, wenn wir uns zur Umkehr rufen lassen, wo wir zu den Verurteilern gehören, und uns sagen lassen, dass uns kein anderer, ansprechbarer Name gegeben ist, als der Name Jesu Christi, des Nazoräers.
    Dann, vielleicht, wird unsere Kirche heute wie die Kirche der Apostel zu einer Gemeinschaft, die Heil und Heilung schenkt, so wie dem Gelähmten, dessen Heilung Anlass war, dass Petrus bekannte, in wessen Kraft und Namen er bewirken konnte, dass der einstmals Gelähmte gesund vor uns steht. Amen.

 


Literaturhinweis zum Thema: Neuhaus, Gerd: Kein Weltfrieden ohne Christlichen Absolutheitsanspruch. Ein religionstheologische Auseinandersetzung mit Hans Küngs "Projekt Weltethos". Freiburg, Basel, Wien (Herder)1999. In: Quaestiones Disputatae. Bd. 175