Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit Lesejahr B 2012 (1 Johannesbrief) [Zur Übersetzung der Einsetzungsworte in der Messe]

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29. April 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

Allen Menschen gilt Gottes Liebe; wenn er "die Vielen" aussondert, heiligt und in sein Volk beruft, dann beruft er sie dadurch, diese Liebe offenbar werden zu lassen

1. Gleichheit

  • Alle Menschen haben gleiche Würde. Keiner ist mehr oder weniger Mensch, weil sie oder er eine andere Hautfarbe, ein anderes Geschlecht, ein dickeres Bankkonto hat, jung oder alt, gesund oder behindert ist. Dies ist historisch keineswegs selbstverständlich; dass die Idee der allgemeinen Menschenwürde im Grundsatz heute weltweite Anerkennung genießt.
  • Allerdings darf uns der Grundsatz nicht über die Realität hinwegtäuschen. Es reicht ein Blick vor die Haustüre (und manchmal sogar in die eigenen vier Wände). Da macht es einen großen Unterschied, wo einer dazugehört und wo nicht. Auch wenn man hanseatisch vornehm Reichtum nicht so gar zur Schau stellt, wissen die, die ihn haben, seine Vorteile durchaus zu schätzen. Die Grenzen und Ausgrenzungen sind manchmal sichtbar, manchmal unsichtbar. Den einen gereichen sie zum Vorteil, anderen aber unbarmherzig zum Nachteil.
  • Den Grundsatz, dass alle Menschen gleiche Würde haben, sollten wir deswegen nicht aufgeben, sondern umso deutlicher verteidigen. Zugleich aber lohnt es sich darüber nachzudenken, was die bestehenden Unterschiede bedeuten. Denn die Bibel weiß nicht nur, dass alle Menschen in gleicher Weise von dem einen adam - dem Menschen, den Gott als Frau und Mann geschaffen hat - abstammen. Es gehört zugleich zur zentralen Erfahrung, die in der ganzen Bibel bezeugt ist, dass Gott Menschen in eine besondere Beziehung zu ihm beruft.

2. Heiligkeit

  • Das Gleichnisbild vom Guten Hirten setzt voraus, dass es diejenigen gibt, die zur Herde gehören - und andere, die nicht dazu gehören. Wenn man anfängt, darüber nachzudenken, mag das peinlich berühren. Unser Grundsatz, dass alle Menschen in gleicher Weise Kinder Gottes sind, wird dadurch, so scheint es, verletzt. Dabei ist das für die Bibel keine Nebensache. Die Überzeugung und Erfahrung, dass Gott unter allen Menschen einzelne Menschen und unter allen Völkern ein Volk als sein "besonderes Eigentum" erwählt hat, ist für den biblischen Glauben grundlegend (z.B. Ex 19,5; Tit 2,14; 1Petr 2,9)
  • Zugleich aber macht die Bibel deutlich: Das ist kein Verdienst, den sich 'besondere' Menschen erworben hätten, etwa durch besondere Leistung oder Erfolg. Nicht ansatzweise ist hier an Status oder Besitz gedacht. Immer ist es vielmehr das eine: Dass Gott souverän erwählt. Es ist die Souveränität, die einem anderen sagt: Ich liebe dich. Es ist persönliche Beziehung und Erwählung, zum Volk Gottes zu gehören.
    Schon die Liebe, die ein Mensch einem anderen gegenüber hat, macht diesen jemand Besonderem; wie viel mehr Gottes Liebe! Der Erste Johannesbrief schreibt: "Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es."
  • Das Wort, das die Bibel hier verwendet ist "Heiligkeit". Heiligkeit ist etwas, das ganz exklusiv nur Gott zukommt; nur Gott ist über allem verehrungswürdig. Er ist in einzigartiger Weise 'jemand Besonderes', weil Gott nicht als Geschöpf Teil dieser Welt ist, sondern Urheber und Grund von allem. Gott allein ist heilig. Zugleich aber ist Heiligkeit, wie es die Bibel versteht, etwas das ausstrahlt. Weil Gott Liebe ist, strahlt seine Heiligkeit auf andere aus. Gott schenkt Heiligkeit dem Menschen, dem er sein Antlitz zeigt. Wer Gott nicht kennt, sagt der Johannesbrief, kann das nicht verstehen; ja, es macht ihn oft sogar aggressiv. Und auch wir, die er berufen hat in dieser Welt in besonderer Weise seine "Kinder" zu sein, ahnen und hoffen es mehr, als dass wir es wissen, was dies letztlich bedeuten wird, von Gott in Liebe berufen zu sein: "Was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist."

3. Berufen

  • [Heiligkeit ist damit auf Zukunft ausgelegt. Wir sind dazu berufen. In Gottes Zukunft ist dieses Leben aufgehoben, wir sind dahin unterwegs, wenn beim Kommen Christi am Ende der Zeit "offenbar wird", was jetzt unsere Schritte, unsere Hoffnung und unsere Bemühungen sind. Aber wer die Hoffnung, die Gottes Heiliger Geist uns schenkt, annimmt, verändert sich damit: "Jeder, der dies von ihm erhofft, heiligt sich, so wie Er heilig ist."]
  • Wo immer Gottes Heiligkeit einen Menschen berührt und Menschen sich davon berühren lassen, strahlt dies aus. Keinen beruft Gott nur für sich. Der Gute Hirt, von dem Jesus spricht, sammelt seine Herde und gibt aus Liebe sein Leben für die Seinen. Auch hier heißt es "Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind"; so sehr Christus für uns Hirte ist, ist das nie exklusiv.
    Das gilt auch und besonders dort, wo wir diese Hingabe Gottes an uns in der Heiligen Messe feiern. Jesus schenkt sich in diesem Mahl den Zwölf, gibt ihnen den Auftrag, dies zu seinem Gedächtnis zu feiern, denn er schenkt sich für, wie es wörtlich überliefert ist "für viele". Damit ist die unüberschaubare Zahl derer gemeint, die in der Taufe in das Volk Gottes berufen wird. Diese sollen Anteil haben an Jesu Leben und so als seine Herde, als Volk Gottes zu leben.
  • Die Worte, die Jesus beim Abendmahl gebraucht hat, sollen künftig auch in der deutschen Übersetzung des Messbuches wieder heißen: "Das ist mein Blut, das für euch und für viele vergossen wird". In einem Brief an die deutschen Bischöfe hat Papst Benedikt vergangene Woche darauf hingewiesen, dass dies nicht nur die korrekte Übersetzung des biblischen Jesuswortes ist. Wenn wir in den vergangenen vier Jahrzehnten übersetzt hatten, dass es "für alle vergossen wird", dann war das nicht falsch, denn Gott schenkt sich den vielen immer, damit sie ausstrahlen für alle Menschen. Die Übersetzung mit "alle" hat aber oftmals vergessen lassen, dass dieses "für alle" eine Berufung ist, die jedem Christen in der Taufe und in jeder Heiligen Messe anvertraut ist. Alle Menschen sind Gottes Kinder und haben unverwechselbare Würde. Um diese Frohe Botschaft in die Welt zu tragen, sind wir, als die Vielen, berufen, uns "zu heiligen" und die uns von Gott geschenkte Heiligkeit ausstrahlen zu lassen, jeden Tag und jede Stunde zu allen Menschen. Amen.