Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit Lesejahr C 2004
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2. Mai 2004 - Hochschulgottesdienst im Dom, Frankfurt
1. Große Versprechungen
- Jesus nimmt den Mund voll. "Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie
werden niemals zugrunde gehen, und niemand wird sie
meiner Hand entreißen." Wenig ist es nicht, was er verspricht. Wenn
man darauf verzichtet, die Aussage nur
"allgemein" und "irgendwie" zu verstehen, dann nimmt Jesus den Mund
reichlich voll.
- Wer ist das, von dem wir diese Versprechungen hören? Ein
Zimmermann aus kleinen Verhältnissen und unklarer
Familiensituation. Ein Wanderprediger, der ungebildete Fischer,
Prostituierte und Zolleintreiber in seinem Gefolge hat.
Und einer, der von den Autoritäten seiner Zeit zu Boden getreten wurde
und den die Römer der widerlichsten Strafe für
Verbrecher unterworfen haben. Einer der nicht einmal für sich selber
geschafft hat, nicht zugrunde zu gehen, der
verspricht denen, die ihm folgen, dass sie nicht zugrunde gehen. Mutig
ist das.
- Für wen gibt Jesus dieses Versprechen? Aufgeschrieben wurde das
Johannesevangelium
vermutlich für Gemeinden im Gebiet des heutigen Syrien, die wohl
nicht
mehr Renommee hatten, als ihr gekreuzigter Hirte. Das Evangelium
wurde aber
auch von der ganzen Kirche anerkannt und angenommen. In einer Zeit,
in der
regelmäßige blutige Verfolgungen die Kirche heimsuchten und sie
von prachtvollen Kirchbauten nicht einmal hätten träumen wollen.
In eben der Zeit gilt als offenbarte Frohe Botschaft: Dieser ist der
gute
Hirt, und niemand kann die, die ihm folgen, seiner Hand entreißen.
2. Ausnahmezustand
- Das Evangelium ist kontrafaktisch. Niemals zugrunde gehen!
Ist
das nur ganz final gemeint? Sollen wir uns trösten, dass es uns zwar
elendig dreckig gehen kann, wir aber dennoch irgendwie und notfalls
im ewigen
Leben halt nicht zugrunde gehen? In der Tat soll sich die Verheißung
Jesu im Letzten bewähren. Ohne Frage hat zu allen Zeiten und auch
heute
die Zusage des guten Hirten Menschen in Extremsituationen
Orientierung und
unglaubliche Kraft gegeben, an der Liebe festzuhalten.
- Der Ausnahmezustand reicht aber nicht hin für unser ganz
unspektakuläres
Leben. Die Grenze des Lebens muss ein Teil unseres Begriffes des
Lebens sein,
sonst haben wir etwas wesentliches übersehen. Denn wir müssen den
Glauben auch in normalen Situationen leben können.
- Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Jesus die Sätze gesprochen
hat, die wir in den langen Jesusreden des Johannesevangeliums von
ihm lesen.
Diese Reden sind verfasst als Interpretation dessen, was Jesus ist
und sagt.
Von den vielen Jesuserinnerungen wählt das Johannesevangelium dabei
nur
eine Handvoll aus, um sie zum Anlass für lange hochreflektierte
Reden
zu nehmen. In eben dieser Form hat die Kirche es neben die drei
anderen Evangelien
gestellt. Jeder kann die Diskrepanz im Stil des johanneischen zu den
drei
anderen Evangelien wahrnehmen. Und m.E. ganz sicher kannten auch die
ersten
Hörer des Johannesevangeliums gleichzeitig ein solches anderes, auf
den
ersten Blick realistischeres Evangelium. Das aber bedeutet: wir
sollen Johannes
lesen als Tiefenblick auf das "gewöhnliche" Evangelium.
3. Tiefenblick
- Der Tiefenblick macht es aus. An den Evangelien können wir ihn
anwenden
und üben. An unserer eigenen Lebensrealität kann er sich bewähren.
Nicht als Konkurrent zum nüchtern realistischen Blick, sondern als
unverzichtbare
Ergänzung.
- Das Johannesevangelium zeigt uns das Fundament eines Lebens, das
aus der
Einheit mit Gott getragen ist. Wir sehen den Menschen Jesus mit
seinem Mühen
und Zweifeln bis hin zur Gottesverlassenheit am Kreuz, als den
Herrn, der
uns das Heil schenken kann. Es ist ein Paradox: in dieser Schwäche
liegt
die Kraft. In diesem Gewöhnlichen liegt das Außergewöhnliche.
Dieser Gekreuzigte führt zum Leben.
- Der gute Hirt ist selbst ein Lamm, das geschlachtet ist. Dieser
ist das
Lamm, das der Seher Johannes in der Offenbarung in der Mitte der
Herrlichkeit
von Gottes Thron erschaut. Das ist das ganz anderes dieses
göttlichen
Hirten. Er ist unter uns. Er und der Vater sind eins und
doch kann
jeder von uns in ihm bleiben und ihm folgen, weil
er einer
von uns ist. Das im Glauben erfassen verändert den Alltag von Grund
auf.
Amen.