Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag im Lesejahr B 2015 (Markus)

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1. Februar 2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Punkt: Vollmacht

  • Jesus hat Vollmacht. Ihn ihm spricht und handelt Gott. Wie Gottes Finger auf die Tafel der Gebote geschrieben hat, so schreibt Gott durch Jesus der Welt die Signatur seines Königreiches ein. (Ex 31,18 / Lk 11,20). Für die Zeitgenossen und damit auch für das Evangelium, das wir heute gehört haben, wird diese Vollmacht vor allem durch eines belegt: Dass Jesus durch sein Wort Dämonen austreibt. Für uns heutige ist das befremdlich.
  • Wir sollten aber das Thema nicht beiseite legen. Denn wir leben in einer Zeit, in der die einen in der angemaßten Gottesvollmacht in vorgeblich heilige Kriege ziehen - und nicht danach fragen wollen, wofür diese Vollmacht denn überhaupt stehe - welches Angesicht ihres Gottes sich in dem zeigt, was sie in seinem Namen tun. Die anderen lassen Gott links liegen, weil der Gott, vom dem sie meinen, dass er es sei, den die Christen verkünden, so ohne jede Bedeutung für sie ist. Gott. Der Letztere ist kraftlos, der Erstere inhaltslos.
  • Angesichts dessen mal eben das Evangelium gläubig anzunehmen, ohne zu fragen, was es denn für uns Heutige bedeutet, wäre christlicher Fundamentalismus. Der ist zwar gut dazu, Gruppengefühle zu stärken, kommt aber nie in der Gegenwart der Herzen an. Auch bei denen, die so versuchen zu glauben, bleibt es vielleicht nur ein vehement wiederholtes, Bekenntnis, Pfeifen im Walde.

2. Punkt: Dämonen

  • "In ihrer Synagoge saß ein Mann, der von einem unreinen Geist besessen war." Die Bibel beschreibt das Phänomen: Da ist ein Dämon, der von einem Menschen Besitz ergriffen hat. Im naturwissenschaftlichen Zeitalter haben wir gelernt, statt dessen eine Krankheit zu sehen, nach deren Ursachen die Medizin forscht, um dazu heilen.
    Die Bibel wusste nicht von den biologischen und chemischen Zusammenhängen. Aber vielleicht hatten dennoch die Menschen dieser Zeit auch Einsichten, die uns Heutigen abhanden gekommen sind. Und nur wenn wir nach diesen Einsichten suchen, werden wir verstehen, wie in diesem Kontext Jesus wahrgenommen wird, der in der Vollmacht Gottes handelt.
  • Das Weltbild, das in der Bibel vorausgesetzt wird, macht nicht den Unterschied zwischen geistigen und körperlichen Erkrankungen, wie wir ihn zu machen versuchen. Besonders bei Jesus spielt der Unterschied keine Rolle, denn Jesus sieht vor allem auf den Zusammenhang der Krankheit: Sie isoliert die betroffenen Menschen: Sie nimmt ihnen Lebensmöglichkeiten, indem sie andere dazu bewegt, die Kranken auszusondern. Deswegen reihen sich die Krankenheilungen Jesu ein in sein Bemühen um die Sünder, denn auch hier geht es um Wiederherstellung von Beziehungen zu den Menschen und auch zu Gott.
  • Trotzdem haben die Dämonenheilungen eine besondere Stellung. Der Besessene ist von innen her nicht frei. Da ist etwas, das lautes Geschrei macht, und den Menschen quält. Gerade weil diese Krankheit eine irgendwie tiefere Schicht im Menschen verletzt hat, wird sie als besonders bedrohlich wahrgenommen. Aber selbst in diese Schicht vermag das von Jesus so ruhig und souverän gesprochene Wort vorzudringen: "Schweig und verlass ihn!". Der Kranke erlebt die Vollmacht Gottes, der Dämon weicht "mit lautem Geschrei", wie es Dämonen so zu tun pflegen.

3. Punkt: Jesus

  • Wir haben Großes erreicht. Wir leben in einer Kultur, in der heilen und helfen, Krankenversorgung und Sozialsysteme einen historisch nie gekannten Standard erreicht haben. Vieles, was ursprünglich Christen als kleine Minderheit gegen eine heidnische Gesellschaft als Werke der Liebe geübt haben, ist in einem Jahrhunderte langen, oft wechselvollem Prozess zu dem geworden, was wir heute nicht missen wollen, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eingeschlossen. - Und dennoch ist all das so merkwürdig kraftlos geworden. Wir heilen Kranke, pflegen Schwache, helfen Armen; wir sind in der großen Mehrheit hilfsbereit und freundlich auch zu den Fremden. Und dennoch ist das alles merkwürdig kraftlos. Erschreckend kraftlos.
  • Vielleicht ist eben Nächstenliebe nicht schon alles. Vielleicht verkehrt sich Nächstenliebe sogar in ihr Gegenteil, wenn sie ihren Grund nur noch in einer nutzenmaximierenden Wohlstandskultur hat und nicht mehr in dem vollmächtigen Wort Gottes: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst". Längst haben doch schon die Ökonomen das Ruder der Gesundheitspolitik übernommen.
    Vielleicht ist das Anschwellen psychischer Erkrankungen trotz aller echten Fortschritte der Medizin nicht ganz unabhängig von dem, was Jesus mit Vollmacht in der Synagoge von Kafarnaum ausgetrieben hat, wir aber mit allen Heilungserfolgen der Schulmedizin noch nicht einmal ansatzweise berühren.
  • Es kann nur einen Ansatzpunkt geben: Jesus Christus. In ihm ist Gottes Reich wirksam. Nur durch ihn können Menschen Anteil haben an seiner Vollmacht. Er ist es, der auf den Besessenen zugeht, bei dem alle nur das Böse sehen. Es ist kein Zufall, dass die Dämonen, denen Jesus begegnet, ihn als "Heiligen Gottes" erkennen. Denn nur in der Kraft Gottes ist solches Vertrauen möglich, das alle Menschenschranken, auch die Schranken des Bösen, gering achtet, und auf den Menschen zugeht, der niedergedrückt, ausgegrenzt und gering geachtet ist. Es ist kein Zufall, dass der Glaube dort stark ist, wo er sich an den Rändern bewegt. Es ist kein Zufall, dass das Kreuz das Symbol dieses Glaubens ist. Aus der Hingabe Jesu wird die Eigenart der Vollmacht Gottes, ja, wird das Wesen Gottes unhintergehbar deutlich. Es ist die sich schenkende, die dienende, die kraftvolle Liebe.