Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag im Lesejahr C 2016 (Lukas)

Zurück zur Übersicht von: 04. Sonntag Lesejahr C

31. Januar 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Erfahrungen des Ignatius

  • "Die meisten Menschen ahnen nicht, was Gott aus ihnen machen könnte, wenn sie sich ihm nur zur Verfügung stellen würden." Der Satz wird dem Heiligen Ignatius von Loyola zugeschrieben*. Die Formulierung stammt zwar nicht von ihm; Ignatius formuliert differenzierter und vorsichtiger, aber in der Richtung passt der Satz dann doch zur Spiritualität dieses Heiligen, dazu, wie Ignatius den Glauben gelebt hat und wie er in den Exerzitien Menschen helfen wollte, den je größeren Gott zu entdecken und sich ihm anzuvertrauen - dem zu vertrauen, worin Gott meine Seele berührt und bewegt.
  • Es schwingt in diesem Satz die Erfahrung mit, dass es ein Wagnis ist, sich Gott anzuvertrauen. Denn das bedeutet, sich die eigenen Pläne und Sicherheiten relativieren zu lassen. Es bedeutet, sich auf unsicheres Gelände zu begeben, Fragen und Anfragen zuzulassen. Es bedeutet, in allem danach zu fragen, wohin Gott mich sendet, und nicht danach, was mir am Genehmsten und Erfolg versprechendsten zu sein scheint.
  • Der Satz passt auch deswegen zu Ignatius, weil er selbst in verschiedenen Situationen die Erfahrung gemacht hat, wie ungeahnt Großes daraus entstehen kann, wenn er nur begonnen hat, dieses Vertrauen zu leben und auf die Regungen zu achten, die er im Gebet erfährt. Für ihn hat das zunächst bedeutet, zuzulassen, dass Pläne und Ideen auch scheitern können - um dann zu erfahren, wie viel mehr daraus werden kann, obwohl es nicht von ihm geplant war.

2. Die Leute von Nazareth

  • In der Synagoge von Nazareth herrscht nach der Predigt Jesu Aufruhr. Es ist ja nicht nur, dass Jesus die Verheißung des Propheten so ganz konkret werden lässt: "Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt." Nicht irgendwann, sondern heute, wo er das Wort des Propheten Jesaja verkündet. Es ist vielmehr vor allem die Zumutung, dass es einer aus ihrer Mitte ist, Jesus, den sie von Kindesbeinen her kennen. Er tritt auf einmal vor ihnen auf als der, durch den Gott seine Gerechtigkeit konkret werden lässt.
  • Vielleicht ist es so: Die Leute von Nazareth ahnen sehr wohl "was Gott aus ihnen machen könnte, wenn sie sich ihm nur zur Verfügung stellen würden." Sie ahnen es - und genau deswegen schalten sie auf Ablehnung. Sie wollen nicht, dass Gott ihr Leben durcheinander bringt.
    Sie gehen Woche für Woche in den Gottesdienst und erfüllen die Gebote, die vorgeschrieben sind. Das soll genügen. Keine Überraschungen, kein Gott, wenn es konkret wird!
  • Das ist letztlich eine versteckte Form von Atheismus: Menschen gehen zum Gottesdienst. Menschen leben nach den Geboten Gottes. Die Institution Kirche funktioniert. Aber letztlich ist es dafür egal, ob es Gott gibt. Sie leben ihren Rhythmus perfekt ganz so, als ob es Gott nicht gäbe. Der Apparat der Kirche und das Getriebe der Gemeinde funktioniert wider alle gegenteilige Behauptung auch ohne Gott. Würden wir hingegen das alles Gott zur Verfügung stellen - es wäre unabsehbar riskant, was Gott daraus machen würde!

3. Sich Gott zur Verfügung stellen

  • Jesus, heißt es, "schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg". Sie wollten sich der Zumutung entledigen, indem sie ihn erledigen. Die Szene belegt gleich am Anfang des Evangeliums das Phänomen der Gewalt durch Menschen, deren Gottesgewissheit in Frage gestellt wird durch die Lebendigkeit der Gotteserfahrung. Jesus wird nicht immer weggehen. Am Ende wird er sich der Gewalt stellen, um an seinem Leib das sichtbar zu machen, was diese Gewalt ist. Er wird dem Kreuz nicht ausweichen.
  • Zunächst aber geht er weg von ihnen. Aber dabei hat Jesus eine Richtung. Er geht zu den Menschen am Rande. Er geht zu denen, für die Gott noch nicht festgelegt und durchdefiniert ist. Es sind die Kranken, die am Rande, die von den Ungeistern gequält werden und um Freiheit ringen. Das ist der Weg, den Jesus sich durch das Bibelwort hat schicken lassen, das in der Synagoge von Nazareth verlesen worden war. Mit anderen Worten: Was nun folgt ist ein Ausbuchstabieren dessen, was es bedeutet, sich Gott ganz zur Verfügung zu stellen. Gott hat ihn "gesandt, den Armen eine gute Nachricht zu bringen; den Gefangenen die Entlassung zu verkünden und den Blinden das Augenlicht; damit er die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe."
  • Wir müssen nicht Jesus sein. Aber mit ihm hat Gott uns eine Brücke gebaut. In ihm haben wir ein Bild des Gottes, der uns einlädt ihm zu vertrauen. Er gibt und eine Ahnung davon, wie viel größer unser Leben sein kann, wenn wir es Gott zur Verfügung stellen. Amen.


* Anmerkung: Es gibt viele Hinweise im Internet, aber keinen in seinen Schriften, dass dieses Zitat in dieser (groben) Weise von Ignatius von Loyola stammt. Wir verdreht-differenzierend und Vereinfachungen vermeidend Ignatius einen solchen Gedanken formuliert, findet man etwa in einem Brief von ihm an Franz von Borja: "Ich verspüre eines - wenn diejenigen, die mehr verstehen, nicht etwas Besseres verspüren -: Es gibt wenige in diesem Leben, und ich vermute sogar, niemanden, der in allem bestimmen oder beurteilen kann, wieviel er von seiner Seite hindert und wieviel er dem entgegenarbeitet, was unser Herr in seiner Seele wirken will."
(Brief 101 (MI Epp. I, 329-342) an Francisco de Borja, Herzog von Gandía, aus Rom Ende 1545 (vgl. BU S.103-107, 105), 3. Abschnitt). Den Hinweis verdanke ich P. Peter Knauer SJ.