Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag im Lesejahr C 2022 (1 Korinther)

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30. Januar 2022 - St. Peter, Sinzig

1. Das Hohelied der Liebe

  • Strebe ich nach mehr? Oder bin ich dafür zu alt, zu jung, zu sehr mit anderem beschäftigt? Strebe ich nach mehr als Gesundheit und Erfolg, gute Noten und Anerkennung? – Wer einen der schönsten Texte der Bibel verstehen will, der muss zunächst in sich danach suchen, ob da irgendwo die Sehnsucht nach einem Geschenk von Gott ist, dass Gott mir etwas ins Herz legt, was Gott groß und mein Leben wert voll sein lässt.
  • Am letzten Sonntag hatten wir den vorangegangenen Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief gehört. Darin wurde sehr viel gesprochen von den Gaben, die Gott jeder und jedem einzelnen gegeben hat, je verschiedene Gaben, was sie oder er gut kann, das ganz besondere Charisma, die geistliche Gabe Gottes. Und doch ist das, was Einzelne können, weil Gott es ihnen als Fähigkeit gegeben hat, ein Beitrag zum Ganzen.
  • Deswegen nun dieses Hohelied. Denn ein Beitrag zum Ganzen ist das, was mein besonderes Charisma ist, nur dann wenn es von der Liebe getragen ist. Dabei ist das biblische Wort Liebe nicht das romantische Verliebtsein – verliebt bei Mondschein. Liebe meint hier vielmehr jenen Respekt, jene freundschaftliche Grundhaltung, jenes aufrichtige Wohlwollen, das nicht selbstverständlich, sondern eine Gabe Gottes ist.
    Es fällt geradezu auf, dass Paulus in dem ganzen Abschnitt offen lässt, ob er von der Liebe spricht, die Gott uns schenkt, oder mit der wir Gott lieben oder Gott uns liebt, oder aber von der Liebe, die uns in unserem Handeln, Denken und Sprechen gegenüber anderen durchdringt. Wenn wir verstehen, was hier mit Liebe gemeint ist, dann ist das letztlich erste. Gottes Liebe empfangen und sie dann weitergeben ist ein und derselbe Akt.

2. Liebe in allem nicht statt allem

  • Paulus nimmt Bezug auf das, was die Mitglieder in der Gemeinde gut können. Es ist eine charismatische Gemeinde, also spricht er über charismatische Gaben. Aber er käme nicht auf die Idee, diese Gaben geringzuschätzen, weil die Korinther kein Pfarrfest organisieren können. Das können andere besser. Und am wenigsten würde er die unter uns hier geringschätzen, die die Gabe haben aufmerksam zuzuhören, für andere dazusein, treu zu beten, ihr Alter ohne Klagen zu tragen. Auch das sind wertvolle Gaben, die keineswegs selbstverständlich sind.
  • Aber alles wäre nichts, wenn es nicht von der Liebe getragen und durchdrungen ist. Selbst die frömmste Gabe, das intensivste Gebet, die inbrünstige Beichte – sie wären nichts, wenn der grundlegende Respekt, die Liebe gegenüber anderen Menschen fehlt. Die Liebe für sich ist nichts – sie ist bestenfalls ein Gefühl. Aber die Liebe, die in allem Denken, Sprechen und Tun ist, sie erst verwandelt alles. Dadurch wird alles, was wir denken, sprechen und tun zum Ort von Gottes Gegenwart.  Deswegen ist die Liebe die Spitze des Dreiecks, denn Hoffnung und Glaube sind auf sie gerichtet: die Hoffnung auf Gottes Gegenwart und das Vertrauen in ihn. Und Gott ist Liebe. Alles in ihm ist Liebe.
  • Paulus betont, dass er die gleichsam erwachsene Liebe meint. Als Kind kann ich ganz mit mir selbst beschäftigt sein; kleine Kinder tragen keine Verantwortung für Erwachsene und wo ihnen anderes eingeredet wird, ist das gefährlich übergriffig. Aber wenn wir nicht erwachsen werden und für einander und das Ganze Verantwortung übernehmen,  dann ist das ein Mangel an erwachsener Liebe. Nur wer die anderen im Blick hat und Verantwortung übernimmt, kann die Liebe leben, von der Paulus spricht. – Wie traurig, dass schon allein bei dem Ausdruck – Verantwortung übernehmen – uns dieser Tage sofort in Erinnerung gerufen wird, wie erschreckend  oft es in höchsten Leitungskreisen unserer Kirche daran zu fehlen scheint.  

3. Wo Verantwortung und Liebe nicht mehr erkennbar sind

  • Wenn die Liebe schon so entscheidend bei all den Gaben ist, die ganz ausdrücklich aus dem Glauben heraus geschehen, um wie viel mehr ist die Liebe dann wichtig, wo in der Kirche das geschieht, was bei einer Institution notwendig dazu gehört und daher wertvoll ist – was aber eben nur unmittelbar dient, weil es nicht das direkte Gotteslob (Eucharistia), nicht die direkte Sorge für die Anderen ist (Diakonia), nicht die lebendige Verkündigung des Glaubens (Martyria) noch die daraus wachsende Gemeinschaft (Koiononia) ist - sondern weil es die Struktur und die Leitung der Kirche aller Getauften ist, der der all dies aufgetragen ist.
    Der Atheismus kirchliche Strukturen beginnt dort, wo den Strukturen der Glaube fehlt, die Hoffnung keine Rolle spielt und die Liebe als unsachgemäß beiseite getan wird. Ich denke nicht und behaupte nicht, dass das bewusst und ausdrücklich geschieht. Es spielt nur einfach keine Rolle. Finanzen und Juristerei machen sich wichtiger. Sie lassen vergessen, dass es um Menschen geht. Doch dort, wo Gewalt diese Menschen bedroht, braucht es neben guter Verwaltung und transparenten Regeln eben vor allem die Liebe. Alle notwendige Leitung und Institution der Kirche, hätte sie denn die Liebe nicht, würde zu einem furchtbaren Regime verkommen. Und in Teilen ist das leider geschehen.
  • Was mich an der Stellungnahme des früheren Papstes Benedikt zu den Fragen aus München nicht nur traurig, sondern wütend macht, ist, dass ich dort nichts von dem finde, was das Eigentliche ist. Es ist ein juristischer Text, der ganz auf Verteidigung ausgerichtet ist, nur darauf sich selbst zu schützen, und an keiner Stelle eine Haltung spüren lässt, die sich bewusst ist, dass da Menschen bis heute unter dem Leiden, was zu verhindern meine Verantwortung gewesen wäre.
    Ob der damalige Erzbischof Ratzinger an dieser oder jener Sitzung teilgenommen, dieses oder jenes Detail gehört oder nicht gehört hat, ist sicher wichtig. Das Gerangel und scheibchenweise Eingeständnis von etwas, das dann doch wieder ohne Belang sein soll, ist eben nicht nur erbärmlich. Es ist verletzend für die, den es vielleicht etwas helfen würde, zu merken, dass ihr Leiden in alldem eine Rolle spielen. Das offizielle Geschwurbel verweigert Antworten und Verantwortung. Dabei geht es mir nicht um Ratzinger-Bashing. Es geht nicht um ihn als Person – der als Papst das Thema Gewalt durch Kleriker überhaupt erstmalig angegangen ist. Der Mann ist jetzt alt und gebrechlich und sicher guten Willens. Aber er hat sich entschieden, die weiße Soutane zu tragen und sich "Papst emeritus", "seine Heiligkeit" nennen zu lassen. Damit geht es um das Amt! Ob Josef Ratzinger  es noch lesen kann oder nur unterschrieben hat: Für die Opfer der Gewalt ist es nur neue Enttäuschung durch diese Kirchenleitung.
  • Ich sage nicht, dass ich besser bin. Ich weiß nicht, ob diese Gemeinde besser ist. Ich sage nur, was uns allen in der Heiligen Schrift als Wort Gottes entgegentritt: Und hätte ich die Liebe nicht, wäre alles nur hohl und leer.