Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2005 (Johannes)

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24. April 2005 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt/Main

1. Verlust und Liebe

  • Liebe ist ein zwiespältig Ding. Es beginnt doch schon bei kleinen Anhänglichkeiten. Irgendwelche Elektronik, ein Auto und manchmal schon viel kleinere und harmlosere Gegenstände schaffen es, das Herz in Unruhe zu versetzen. Denn was immer ich habe und liebe, in einer Welt wie der realen droht immer auch der Verlust. Und die Angst vor dem Verlust ist der Preis der Liebe.
  • Vielleicht ist Liebe nicht das rechte Wort. Aber wie sonst sollte man diese innere Energie nennen, von der wir leben. Zum Beispiel: Ich kann nur ahnen welche Kraft jemand braucht, der Togo oder den Philippinen oder auch nur Spanien oder Süd-Italien aufmacht, um hier ein neues Leben zu beginnen und Arbeit zu suchen. Ist es wirklich übertrieben, diese Mischung aus Mut, Zielstrebigkeit und Begeisterungsfähigkeit "Liebe zu einem Neuanfang" zu nennen? Vielleicht haben wir einfach diese Liebe noch nie gewagt.
    Wer sich nur Visionen erlaubt, die risikoavers durchgerechnet wurden, kennt das nicht. Wer Visionen hat, deren Wagemut ein wenig auch einem selbst Angst macht, der versteht, wovon ich rede.
  • Die einzige Liebe schließlich, die allein einen Menschen zu erfüllen vermag, ist die Liebe zu einer oder einem Anderen, die Gemeinschaft im Schenken und im Empfangen. Keiner will nur abschnittsweise lieben. Keiner sagt: 'Ich liebe dich, aber nur bis 15. Juni dann habe ich anderes vor'. Liebe geht aufs Ganze. Deswegen können wir nur lieben, wenn wir nicht irgendetwas, sondern uns selbst darein investieren. Aber gerade das macht deutlich, wie sehr wir unser Vertrauen dabei auf andere bauen müssen. Und die anderen sind möglicherweise auch nicht viel besser als wir selbst. Auch hier ist die Angst vor dem Verlust der Preis der Liebe.

2. Abschied

  • Jesus spricht wider diese Angst. Die Situation ist der letzte Abend, den er mit seinen Jüngern verbringt. Für das Johannesevangelium ist klar, dass Jesus wusste, was ihm bevorstand. In dieser Situation spricht er zu seinen Jüngern. Er bereitet sie auf den Verlust vor. Er versucht ihnen das zu sagen, was ihr Herz braucht, wenn ihnen der genommen wird, der ihnen das Wichtigste im Leben war.
  • Jesus nimmt die Angst um den Verlust nicht durch Verharmlosung. Er sagt den Jüngern nicht, sie würden ja schon andere finden, mit denen sie durchs Land ziehen können. Vielmehr macht Jesus das ganze Ausmaß des Verlustes deutlich. Denn in der Begegnung mit ihm waren die Jünger Gottes Antlitz begegnet. Jetzt nimmt er Abschied. Es wird ihnen am Kreuz nicht nur Jesus genommen werden, der nette Kerl. Es wird ihnen Gottes Gegenwart genommen werden. Im Angesicht dieser Perspektive spricht Jesus: "Wer mich sieht, sieht den Vater" und "Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott, und glaubt an mich!"
  • Das Bild, mit dem Jesus den Jüngern Mut macht, ist das Bild der Wohnung bei Gott. Eine Wohnung für jeden einzelnen von ihnen. Diese will Jesus seinen Jüngern, mit denen er jetzt noch zusammen ist, bereiten. Ja, unter der Rücksicht ist es nicht nur gut, es ist sogar unumgänglich, den Verlust zu erleiden und Jesus ziehen zu lassen, damit Jesus diese Wohnungen bereiten kann, in denen unser Leben zu Hause sein kann.
    Die Wohnung, die Christus uns bereitet, umgreift Himmel und Erde. Es ist nicht nur im Jenseits des Todes. Es ist die Wohnung, die der Heilige Geist schon bald bei ihnen nehmen wird. In diesem Heiligen Geist erfahren sie schon in diesem Leben, dass sie einen Platz haben bei Gott. Gerade angesichts des drohnenden Verlustes ruft Jesus dazu auf, das zu glauben.

3. Glaube

  • Der Glaube befähigt zur Liebe. Das ist nicht funktional gemeint. Man kann den Glauben nicht wählen, einfach nur um Bindungsangst zu überwinden. Umgekehrt: Die Liebe ist eine Frucht des Glaubens, denn dieser geht an gegen die hemmende Angst vor dem Verlust und befreit erst dazu zu lieben.
  • Jesus gebraucht das Wort "glauben" im ursprünglichen biblischen Sinn. An Gott in ihm zu glauben bedeutet, sein Herz fest zu machen in Gott. "Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Vertraut auf Gott und baut auf mich." Dieser Glauben ist daher nicht eine Sache des Kopfes, sondern des ganzen Menschen. Dafür steht das Bild des Herzens: Der ganze Mensch, all mein Hoffen, Lieben und Sehnen dürfen wir bauen auf Gottes Treue.
  • Deswegen braucht die Liebe das Gebet. Denn keine Beziehung ist möglich ohne Kommunikation. Im Gebet, allein und in der Gemeinschaft anderer, die glauben, erfahre ich, dass ich nicht grundlos auf Gott baue, dass ich nicht leichtsinnig mein Herz beruhige in der Betrachtung Jesu Christi, des Herrn.
    • Das verändert unsere Liebe zu den Dingen. Wenn ich mit Gott im Gespräch bin, wenn ich um Gottes Fürsorge für mich weiß, werde ich mich an kleinsten Dingen freuen können, ohne in Gefahr zu sein, mein Herz daran zu verlieren.
    • Das verändert unsere Liebe zu den eigenen großen Lebensplänen. Der Glaube vermag nicht nur zu unterscheiden zwischen Wichtigem und Unwichtigem. Er bewirkt vor allem, dass ich unterscheiden lerne zwischen dem, was in meiner Kraft liegt, und dem, was ich annehmen muss. Die Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten vermag sogar das Kreuz anzunehmen, wenn es denn unabweislich ist.
    • Nicht zuletzt verändert der gemeinsame Glaube die Liebe zur Partnerin oder zum Partner. Sie können sich auf das Wagnis eines gemeinsamen Lebens einlassen. Kein Verlust dieser Welt, auch nicht der der größten Liebe, gefährdet im Letzten mein Leben. Und wenn zwei Menschen miteinander ihre Liebe auf den bauen, der unser Gott ist, wenn zwei Menschen miteinander beten und glauben, dann ist dies der erste Pfad zu der Liebe, auf die ein Mensch ganz bauen kann. Amen.