Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit Lesejahr B 2003 (1.Johannesbrief)
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18. Mai 2003 - St. Johannes, Frankfurt-Goldstein
1. Unsicherheit
- Der 1. Johannesbrief gehört zu den späten Schriften des Neuen
Testamentes. Die Zeit, in die hinein er geschrieben wurde, ist deutlich.
Die Situation kommt
uns bekannt vor.
- Die Älteren in der Gemeinde kommen wohl weiterhin. Sie kommen
nicht nur aus Gewohnheit, sondern weil sie in ihrer Gemeinde, in der
Kirche vor Ort wie in
der großen Gemeinschaft der Kirche, wichtig Erfahrungen gemacht haben.
Erfahrungen, nicht nur des Glaubens, die sie durch die Hochs und Tiefs
ihres
Lebens geführt haben.
- Aber unter den Jüngeren bohrt der Zweifel und die Unsicherheit. So
sicher sind sie sich nicht, ob sie auf dem richtigen Dampfer sitzen.
Nicht wenige sind
abgesprungen oder versuchen das Schiff in eine andere Richtung
umzulenken. Für die anderen ist der Jesus, der als Mensch gelebt hat und
als Sohn Gottes
verehrt wurde, zum geistigen Prinzip geworden. Die Berichte, die sie aus
dem Johannesevangelium kennen, sind für sie Anregung und Lehre, aber
vor allem
geistiges Prinzip. Sie versuchen, den überlieferten Glauben mit dem
geistigen Mainstream der Zeit in Einklang zu bringen. Und der setzt eher
auf Esoterik und
individuelle geistige Erfahrung, als auf das Bekenntnis zu Jesus, dem
Christus, in dem das Wort Gottes unter uns Mensch geworden sei.
2. Tat und Wahrheit
- In so einer Zeit ist die Frage unausweichlich: Woran soll ich
erkennen und fest machen, wo liegen die Beweise, dass die Kirche richtig
liegt? So paradox es ist,
aber die alten Zeiten, in denen die Kirche von außen angegriffen und
bekämpft wurde, machten es leichter zu glauben, als die Situation, wo
die Unsicherheit
von innen kommt. Die Theorie des Glaubens allein trägt nicht.
- Darauf antwortet der Johannesbrief: "Wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit." Die ganze Lehre von Jesus,
Menschwerdung, Liebe trägt nicht, wenn es "Wort und Zunge"
bleibt und nicht zur Tat wird und zur existenziell gelebten und
erfahrenen Wahrheit, zur
gelebten Wahrhaftigkeit. Denn die Liebe als Zentrum des christlichen
Glaubens, alle Behauptung von der Liebe zu Gott ist nie nur theoretisch
gemeint,
sondern "stimmt" nur, wenn sie sich an zwei Punkten verifizieren lässt:
An der Weise, wie wir mit einander hier in der Gemeinde umgehen, und an
der Weise,
wie wir denen in Not begegnen. "Daran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind".
- Es geht nicht darum, dass wir einander mit verliebtem
Augenaufschlag zulächeln - so nett das im Einzelfall auch sein mag. Es
geht darum, dass unsere
Gemeinde, also die Kirche dort wo sie gelebt wird, eine Gemeinschaft
ist, die nicht ausgrenzt nach sozialer Stellung, nach arm und reich,
nach einheimisch und
zugewandert, nach jung und alt. All diese Trennungen, die die "Welt"
macht, werden im Glauben aufgehoben und überwunden durch die neue
Gemeinschaft,
die entsteht durch das Bekenntnis zu dem Gott, der unter Menschen Mensch
geworden ist, um Gemeinschaft neu zu begründen, sich ein Volk zu
erwerben.
Wie es der Titusbrief sagt (2,14): "Er hat sich für uns hingegeben, um uns von aller Schuld zu erlösen und sich ein reines Volk zu schaffen, das ihm als sein
besonderes Eigentum gehört und voll Eifer danach strebt, das Gute zu tun."
3. Weil Gott uns zuerst geliebt hat
- Die Kirche - unsere Gemeinde - wird nie deswegen eine Gemeinschaft
der Liebe sein, weil wir so überragend gute Menschen wären. Sie ist es
und kann es nur
sein, wenn sie ihren Ausgang nimmt bei dem, was Gott schenkt. Gott
selbst hat gesprochen "Wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und
Wahrheit." Darin unterscheidet sich die christliche Botschaft von
aller Esoterik. Das Wort Gottes ist in der Geschichte Israels und in dem
Gesalbten Israels, in
Jesus dem Christus, zur Tat geworden.
- Deswegen ist die Urform christlichen Betens der Dank. Immer wieder
erinnern wir uns in den Gebeten, in den Lesungen und Liedern daran, was
Gott getan
hat. Deswegen ist die Biographie dieses einen bestimmten Menschen,
dieses Jesus aus Nazareth, der in unserem Fleisch gekommen ist,
unaufgebbar für
Christen. Deswegen feiern wir Heiligenfeste, um uns zu erinnern, was
Gott auch in der Geschichte getan hat: für uns, in Tat und Wahrheit.
"Alles, was wir erbitten, empfangen wir", behauptet die Lesung. Dieses "Alles"
ist wörtlich zu nehmen. Denn Gott schenkt uns nicht irgend etwas,
sondern
sich selbst. Er gibt sich selbst für uns hin, wie nur Liebende einander
mehr geben können als Blumen und nette Geschenke, nämlich sich selbst.
Wie Jesus sich
schenkt in seinem Leib.
- Aus diesem Empfangen der Liebe Gottes allein kann das Geben der Liebe in unserer Kirche werden. "Wir sollen an den Namen seines Sohnes Jesus Christus
glauben und einander lieben, wie es seinem Gebot entspricht." Ein
Mangel an christlicher Liebe unter uns ist immer ein Zeichen, dass es an
Glauben mangelt.
Es ist ein Zeichen, dass wir uns selbst und andere Traditionen oder
Werte an die Stelle Gottes gesetzt haben. Wenn wir aber dem Glauben Raum
geben in
unserer Mitte, dann wird er uns verwandeln. Amen.