Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigten zum 6. Sonntag der Osterzeit Lesejahr C 2022 (Apostelgeschichte)

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22. Mai 2022 - St. Sebastianus, Sinzig - Bad Bodendorf

1.  Aus den Völlkern

  • Die Christen der ersten Generation hatten einige heftige Konflikte auszutragen. Gerade in der Apostelgeschichte findet man davon viele Beispiele. Mich beeindruckt, in welcher Weise und auf welchem Niveau diese Konflikte ausgetragen wurden.
  • Wie so oft war man auf wichtige Fragen nicht vorbereitet. Es war für die junge Christenheit überraschend gewesen, dass die Botschaft von Jesus Christus nicht nur bei den Juden in Jerusalem und Galiläa oder in den Städten in der jüdischen Diaspora Anklang gefunden hat, sondern sehr bald schon bei Menschen aus den vielen Völkern, nicht nur aus dem Volk Israel. Staunend berichtet Petrus, dass Gott ganz offensichtlich diesen vielen Menschen den Heiligen Geist geschenkt hat. Menschen aus den Völkern: das griechische Wort Wort "Völker" wird in den deutschen Bibeln meistens mit "Heiden" übersetzt. Gemeint sind aber ganz einfach Menschen, die nicht zum jüdischen Volk Israel gehören. 
  • Viele von ihnen sind zum Glauben an Jesus gekommen. Damit aber entstand die Frage, ob sie zuerst Juden werden müssen, weil Jesus ein Jude war, der zu Juden gepredigt hat, oder ob die Kirche künftig sowohl aus Juden als auch aus Heiden, sowohl aus dem Volk Israel wie aus den vielen Völkern bestehen würde? –
    Es gab schon damals für Menschen aus anderen Völkern als Israel die Möglichkeit, Jude zu werden, wenn sie es unbedingt wollten. Das bedeutete dann, dass man sich an die Gebote und Regeln, wie Mose sie überliefert hat, gehalten hat. Sollte das jetzt auch für Christen gelten, die nicht zum Volk Israel gehören? Da war man durchaus verschiedener Meinung. Deswegen wurde die Sache vor die Apostel und die Ältesten der Gemeinde von Jerusalem getragen Von ihrer Entscheidung berichtet der Abschnitt den wir heute aus der Apostelgeschichte gehört haben.

2. Drei Regeln für alle

  • Mir scheint, die Entscheidung von damals hat auch für uns heute interessante Hinweise. Denn letztlich ging es darum, wie die Botschaft von Jesus Christus Menschen nahe gebracht werden kann, die einen anderen Hintergrund haben, als Juden in Israel oder der Diaspora. Der Weg, den die junge Kirche gefunden hat, baut auf einer jüdischen Tradition auf. Das Judentum hat nie missioniert, gleichwohl ist man der Überzeugung, dass jeder Mensch hineingenommen ist in den Bund Gottes. Konkret, jeder Mensch stammt von Adam und Eva ab. Alle Menschen stehen aber auch unter dem Bund, den Gott mit Noah nach der Sintflut geschlossen hat. Im Grunde genommen haben wir hier den Ursprung der Idee universeller Menschenrechte. Das Verbot zu töten und andere zu berauben gehört nicht zu den Sondergeboten, die Gott in seinem Bund mit Mose und dem Volk Israel geschossen hat („mosaisches Gesetz“), sondern für alle Menschen.
  • Dann verwundert aber doch die Liste, die der Beschluss der Apostel in Jerusalem als für alle verbindlich festlegt: „Man weise sie nur an, Verunreinigung durch Götzenopferfleisch und Unzucht zu meiden und weder Ersticktes noch Blut zu essen.“ Was bedeuten diese drei Grundregeln, die auch für Nicht-Juden aus den Völkern – die Heiden – verbindlich sein sollen?
  • Die drei Regeln bedeuten, dass (1) alle Menschen frei sein sollen von den vielfältigen Herrschaftsansprüchen der Götter und Götzen, die sie unfrei machen. (2) Der Verzehr von Blut oder Fleisch in dem noch Blut ist bedeutet, dass wir zwar in einer unvollkommenen Welt leben, in der wir uns vom Fleisch anderer Lebewesen ernähren; aber in der Vorstellung der Bibel ist das Blut der Sitz des Lebens und damit heilig. Dieses Gebot erinnert also daran, dass wir die Schöpfung zwar nutzen dürfen, aber ihr nicht das Leben nehmen dürfen. (3) Was sich hinter dem dritten Stichwort, Unzucht, verbirgt, ist nicht ganz klar. Manche meinen, hier würden Mischehen verboten. Mir scheint aber sehr klar zu sein, dass aus jüdischer Perspektive in Gott von jedem Menschen erwartet wird, dass er sich von der in der griechisch-römischen Kultur verbreiteten sexuellen Ausbeutung vor allem auch von Kindern und Sklaven lossagt. Es gibt viele Zeugnisse, dass gerade in dieser Hinsicht Christen in der frühen Zeit sich deutlich von den menschenverachtenden Verhaltensweisen der herrschenden Römer gegenüber Sklaven unterschieden haben.

3. Zu den „Heiden“

  • Je mehr ich über diese drei Punkte nachdenke, desto mehr finde ich in ihnen nicht nur zentrale Ansatzpunkte für eine Erneuerung der Kirche von unten. Ich finde in ihnen auch die zentralen Punkte für eine missionarische Haltung der Kirche, die den Menschen nicht mit vielen, an sich sinnvollen kirchlichen Regeln begegnet. Dieser Ansatzpunkt fordert von Nichtchristen, nicht den ganzen Kosmos der katholischen Welt zu übernehmen, auch wenn es all das ist, was ich an meiner Kirche so liebe und als kulturellen Reichtum ansehe. Statt dessen würde eine solche kirchliche Haltung sich auf das konzentrieren, was uns als Menschen gegenüber Gott fundamental verbindet.
  • Wenn wir verstehen, (1) wie sehr der Glaube an einen und nur einen Gott, den wir Menschen uns nicht verfügbar machen können, Voraussetzung für die Freiheit von den vielen Göttern ist, dann wäre das ein sinnvoller Ansatz um als Christen darüber ins Gespräch zu kommen, welche wirtschaftlichen und kulturellen Zwänge heute Menschen unfrei machen. Wenn wir (2) wieder bewusst Bezug nehmen auf das im Jüdischen und übrigens auch im Muslimischen selbstverständliche Verbot, Blut oder Ersticktes zu essen, dann sind wir ganz nah bei dem, was Papst Franziskus in seiner großen Enzyklika „Laudato si“ als Spiritualität eines ökologischen Bewusstseins entwirft. Und schließlich könnte (3) die klare Haltung nicht nur der frühen Kirche, sondern einer starken kirchlichen Tradition bis zum Beginn der Neuzeit uns heute helfen, eine klare Haltung gegenüber sexualisierter Gewalt und sexueller Ausbeutung zu gewinnen. Das sind natürlich zuerst die Verantwortungsträger gefragt, aber es ist mindestens so sehr die Frage einer Kultur von unten. Wir leben in einem Land, in dem die Alllgegenwart der Gewalt gegen Kinder und Frauen immer noch ignoriert wird, wenn es um den eigenen Lebensbereich geht.
  • So aktuell kann ein Apostelkonzil von vor 2000 Jahren sein. Wenn wir aus unseren christlichen Wurzeln leben, dann wird es nicht nur gelingen, dass die Gemeinschaft der Kirche erneuert in die Zukunft geht, sondern dann haben wir auch etwas, das herausstrahlen kann weit über unseren kirchlichen Bereich hinaus. Mich würde es nicht wundern wenn viele Menschen genau darauf hoffen.