Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Hochfest Mariä Empfängnis 2011

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8. Dezember 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria

 

1. Exemplarisch in der geschichtlichen Wirklichkeit

  • Gottes Gnade und Liebe geht den Weg des Exemplarischen. Man kann auch sagen: Sie geht den Weg über das Angesicht des konkreten Menschen.
  • Ein Abraham unter allen Menschen wurde berufen, aufzubrechen, um ein Segen zu sein für alle Menschen. Ein Israel unter allen Völkern wurde auserwählt, um auf dem Weg der Erfahrung von Knechtschaft und Befreiung, von dankbarem Glauben und Vergessen auf die Schönheit von Gottes Gerechtigkeit, exemplarisch zu sein. Um seiner selbst willen wird Israel von Gott geliebt. Gerade darin ist es aber berufen, exemplarisch zu sein für alle Völker. In eben dieser Weise ist jedem Menschen eine jede Erfahrung von Gottes Liebe ganz um dieses Menschen selbst willen geschenkt, und zugleich doch um aller anderen willen. Der Glaube ist ein Geschenk für andere.
  • Das heutige Fest der Unbefleckten Empfängnis nimmt diese Erfahrung auf. Gott selbst, seine Gnade allein, setzt in der Welt, einen neuen Anfang. Unsere Welt ist gezeichnet von der Sünde des Adam, der sein will wie Gott, und tragisch meint, Gott sei das Wesen absoluter Willkür, die nur sich selber will. In Christus hat sich dagegen Gott in der Welt ereignet, wie er ist: als Liebe, die bezogen ist auf den Anderen.
  • Das Fest heute nun feiert dies: Exemplarisch für alle hat Gott Maria aus der Verstrickung in den Teufelskreis der Sünde bewahrt - von Anfang an, aus Gnade allein. So sollte aus reiner Freiheit heraus von einem Menschen das 'Es geschehe!' zu Gottes Menschwerdung gesprochen werden. Dadurch hat in der Geschichte der Menschheit exemplarisch stattgefunden, was für einen jeden von uns die Taufe bedeutet: Die Befreiung aus der Verstrickung in den Teufelskreis der Sünde, damit wir 'Es geschehe!' sprechen können, weil Gott auch in uns Mensch werden will - der Mensch, der von Anfang an als geliebtes Wesen geliebt ist.

2. Vorherbestimmt zur Gotteskindschaft

  • Am Beginn des Epheserbriefes steht ein dankender Lobpreis: "Gepriesen sei der Gott ..., denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt". Und wenig später heißt es "Gott hat seine Gnade uns geschenkt in seinem geliebten Sohn; durch ihn sind wir auch als Erben vorherbestimmt und eingesetzt nach dem Plan dessen, der alles so verwirklicht, wie er es in seinem Willen beschließt". Hier tritt Gott hervor, der in seiner Souveränität schon vor Erschaffung der Welt - oder sollte man besser sagen: mit der Erschaffung - "uns erwählt" und "vorherbestimmt" hat, ganz so, wie "er es in seinem Willen beschließt".
  • Solche Formulierungen lassen viele denken, bei Gott sei zu einem Zeitpunkt am Anfang der ganze Lauf der Welt schon beschlossen und bestimmt. Dass wir meinen, etwas werde durch unseren Willen oder unsere Entscheidungen daran geändert, sei Illusion. Vor allem im protestantischen Calvinismus ist dies prägend gewesen: Christlicher Glaube bestünde darin, in der Anerkennung der Ehre Gottes sich in diese Prädestination zu schicken.
  • Im Grunde handelt es sich um das Gegenextrem zum Theismus, der sich vorstellt: Gott hat die Welt und ihre Naturgesetzlichkeit geschaffen; jetzt lasse er alles einmal laufen, und am Ende werde dann im großen Gericht entschieden.
  • Beides aber geht - nach meiner festen Überzeugung - an dem vorbei, was sowohl Zeugnis der Heiligen Schrift wie Erfahrung im Glauben ist. Denn die Erwählung und Vorherbestimmung, von der der Epheserbrief spricht, ist keine mechanische Vorherbestimmung, die alle Abläufe festlegt und Freiheit ausschließt. Vielmehr ist es eine Vorherbestimmung der Liebe.
    Nicht etwa ist alles im vornhinein festgelegt; vielmehr ist das gerade das Kennzeichen des wahren Gottes, dass er sich auf das Wagnis der Liebe einlässt. Die Vorherbestimmung benennt das Ziel, auf das Gott hin uns geschaffen und in der Taufe berufen hat: wir sind, heißt es ausdrücklich vorbestimmt "als Erben"! Es mögen Menschen so handeln, dass sie ab dem Augenblick, wo sie jemand in ihrem Testament als Erben festgelegt haben, diese künftigen Erben in allem kontrollieren wollen. Der Epheserbrief aber will uns gerade umgekehrt in die Freiheit entlassen, wenn er von der Zusage betont: "Durch Christus sind wir als Erben vorherbestimmt". Gott lässt unser Leben weder in's Nichts noch in ein unbestechlich erbarmungsloses Gericht laufen. Vielmehr ist jeder Augenblick unseres Lebens, auch die Sünde, unterfangen von der Zusage Gottes: Das Erbe liegt für dich bereit, denn dich habe ich in meinem Sohn, Jesus Christus, als geliebtes, vollwertiges Kind adoptiert und angenommen.

3. Exemplarisch befreit

  • Adam und Eva stehen typologisch für den Menschen, wie Gott ihn geschaffen hat. Sie sind keine historischen Persönlichkeiten. Aber in der Rede von Adam und Eva zeigt die Bibel, dass Gott uns berufen hat, in seiner Nähe, in seinem Garten zu leben. Der Mensch jedoch, der diese Vorherbestimmung empfangen hat, hat sie in seiner Freiheit verloren gehen lassen.
  • Maria hingegen ist eine Persönlichkeit in der Geschichte des Volkes Israel und damit der Menschheit. Auf sie hin hat Gott sein Volk Israel geführt. Sie sollte die ursprüngliche Freiheit als neue Schöpfung empfangen, unbefleckt von der alten Sünde des Adam. Gott wendet ihr seine ganze Liebe zu - und meint damit zugleich die ganze Menschenfamilie.
  • Das ist der Grund, warum wir sie heute feiern, weil der Erlöser an ihr gezeigt hat, wozu wir alle berufen sind: "Gott hat seine Gnade uns geschenkt in seinem geliebten Sohn; Durch ihn sind wir auch als Erben vorherbestimmt und eingesetzt nach dem Plan dessen, der alles so verwirklicht, wie er es in seinem Willen beschließt." Wir feiern also, was Gott in der Taufe jeden von uns hat erfahren lassen: Seine Gnade allein trägt uns. Jedes Sakrament, das auf der Taufe aufbaut, will dies erneuern und vertiefen: Gott schenkt sich, weil dies sein Wille ist. Diese Liebe Gottes liegt aller Schöpfung voraus. Diese Liebe gilt Dir und mir. Amen.
D:\Predigt MarEmp.htm