Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 8. Sonntag im Lesejahr C 2022 (Lukas/Ukraine-Krieg)

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1. Böse Taten, böse Menschen

  • "Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor und der böse Mensch bringt aus dem bösen das Böse hervor." Dieser Satz aus dem Evangelium muss sehr sorgfältig gelesen werden. Sonst wird er gefährlich. Brandgefährlich. 
  • Die frühere katholische Einheitsübersetzung hatte die Rede Jesu vereinfacht: "ein böser Mensch bringt Böses hervor, weil in seinem Herzen Böses ist." Das liest sich dann schnell: Der böse Mensch bringe nur Böses hervor und das Böse komme daher immer von bösen Menschen. Genau daraus folgt jedoch der Irrtum, man könne das Böse verschwinden machen, wenn nur endlich der Böse weg sei. 
  • Genau das lässt die gegenwärtige Rhetorik denken, wenn der Krieg gegen die Ukraine als "Putins Krieg" bezeichnet wird. Ja es ist ein verbrecherischer Angriffskrieg. Jedoch nein, es reicht nicht, einen einzelnen Mann als alleinige Ursache und seine Beseitigung als alleinige Lösung zu sehen. Es ist fast immer falsch und oft verlogen, es müsse nur X oder Y (aus der Familie, der Klasse, der Gemeinde, der Welt) entfernt werden, dann sei alles gut. Diese Logik der Vernichtung ist gefährlich und sie kann sich kaum auf das Evangelium berufen.

2. Menschen und Dämonen

  • Jesus ist mit seiner Bildsprache genauer. Er spricht vom "Schatz", der sich im Herzen ansammelt. Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor und der böse Mensch bringt aus dem bösen Schatz seines Herzens das Böse hervor." 
  • Jesus dämonisiert also nicht einzelne Menschen als Böse. Dämonen sind geistige Kräfte, die gebrochen, letztlich vernichtet werden müssen. Menschen aber sind für Jesus keine Dämonen. Ja, sie können von Bösem erfüllt und beherrscht werden. Er stempelt aber nicht den Menschen zum Dämon. Die Herrschaft Gottes vernichtet daher nicht, sie befreit. 
  • Das Bild vom Schatz des Guten oder Schatz des Bösen im Herzen macht noch ein weiteres deutlich: Einzelne Taten oder Entscheidungen können gut und großherzig oder aber - wie dieser Eroberungskrieg gegen die Ukraine - verschlagen und böse sein. Aber Menschen sind es so absolut nie. 
    Der Schatz des Bösen kann ebenso wie das Gute anwachsen. Den Schatz des Bösen zu verkleinern aber braucht viel Kraft, Entschlossenheit und Weisheit. Es braucht immer den Glauben jenes Vertrauen in die Kraft Gottes.

3. Gemeinsame Verantwortung

  • Auch Herr Putin ist nicht allein. Würde ihn heute ein Herzinfarkt (oder eine Rakete) ereilen, wäre das System aus Unterdrückung, maßloser Bereicherung, Verblendung, das System von Polizei- und Justizterror nicht vorbei. Nicht einmal die Männer und Frauen, die er in den Angriffskrieg in die Ukraine geschickt hat, könnten nach Hause. Andere würden weitermachen, außer dieser Weg wäre ihnen zu teuer. Der Schatz des Bösen ist nicht persönlich beim Menschen Wladimir Putin. 
  • Machtvolle Herrscher wie er sind immer nur mächtig, weil viele anderen davon profitieren: materiell oder ideell. Machtvoll ist nur, wer Interessen oder Stimmungen bedient. Das Böse ist systemisch, die Sünde steckt auch in den Strukturen. Deswegen gehören zu Präsident Putin das Oligarchensystem, die Militärelite oder die Energieindustrie ebenso dazu, wie die  zaristische und sowjetische koloniale Großmachtstradition und eine in nationaler Engstirnigkeit gefangene religiöse Führungsschicht.
    Zu den Profiteuren zählen aber auch die SPD-Netzwerke in Schwerin und Hannover, Spendenempfänger allerorten, gesponserte Fußballclubs oder wir alle, wenn es uns letztlich egal ist, woher das Gas kommt, mit dem wir unsere Wohnungen heizen. Darf man hier an deutsche Mitschuld am Massenmord durch Verhungern (Holodomor) erinnern, als Deutschland Stalin 1932 das Getreide gegen Devisen abkaufte, das er in der Ukraine (und Kasachstan…) den Bauern stahl, die deswegen millionenfach verhungerten?
  • Es sind immer konkrete, einzelne Menschen, die handeln und Verantwortung tragen. Die konkreten Einzelnen müssen daher auch zur Verantwortung gezogen werden. Es sind aber nicht Menschen, gegen die wir kämpfen sollten. Nicht gegen Menschen! Vielmehr ist es immer der Kampf für den Menschen, wenn wir diesen stinkenden Schatz des Bösen in den Herzen, Strukturen und Kulturen nicht hinnehmen, und nicht tatenlos bleiben angesichts der Gewalt, auch wenn es wenig sein mag, was wir jetzt noch tun können.
  • Doch lasst uns wenigstens denken, lasst uns sprechen und öffentlich reden – und lasst uns beten zu Gott, der die Herzen zu wandeln vermag, wenn wir uns ihm nicht entgegenstellen. Amen.