Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 27. Sonntag im Lesejahr A 2017 (Philipperbrief)

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8. Oktober 2017 - Aloisisuskolleg, Bonn - Internat

1. Wozu bin ich da?

  • Ein Weinberg ist dazu da, Früchte zu bringen. Wenn ihm das gelingt, hat er etwas Sinnvolles in seinem Leben erreicht. Das wird ihm nicht von außen aufgezwungen, sondern ist sein innerstes Ziel. Er erfreut damit Andere, ja; aber wozu er da ist, kommt aus ihm selbst.
  • Genau so ist ein Schüler nicht dazu da, seine Lehrer, Erzieher oder auch nur seine Eltern zu erfreuen. Es ist bei einem Menschen gar nicht so einfach zu sagen, wozu er oder sie da ist, denn jeder Mensch ist einmalig.
    Andere können und sollen Dir helfen, den Sinn Deines Lebens zu finden. Sie dürfen sich mit Dir über Deine Erfolge freuen, aber Du bist nicht dazu auf Erden, um Deine Eltern oder Lehrer glücklich zu machen. Der Sinn Deines Lebens ist immer in dem, wozu Du von Gott geschaffen bist, dass es Dich gibt und Du glücklich wirst.
  • Es gibt ein Wort, das beschreibt wie es ist, wenn jemand das tun und leben kann, wozu er da ist. Ein Wort, das für Völker, Gruppen und jeden Einzelnen gilt.
    Wenn Du leben kannst, wozu Du da bist, dann kann das ein anstrengendes, herausforderndes, an die Grenzen führendes Leben sein. Aber dennoch, selbst wenn alles in Bewegung ist, kannst Du die Erfahrung von Frieden machen.

    Es ist dieser Friede, von dem Paulus im Brief an die Gemeinde der Christen von Philippi schreibt, dass er "alles Verstehen übersteigt". Dieser Friede ist höher als unsere Vernunft, aber er hält unseren Verstand wach, unsere Hoffnung groß und stärkt unsere Liebe. Denn es ist der Friede des einen Gottes, der uns geschaffen hat.

2. Tröstung: der Friede Gottes

  • Die Aufmerksamkeit dafür, wo ich diesen Frieden finde, ist ein Herzstück der Exerzitien des Heiligen Ignatius von Loyola. Ignatius ist überzeugt: Friede ist die Sprache Gottes. Wenn ich auf der Suche danach bin, was der Sinn meines Lebens ist, wo ich auf dem richtigen Weg bin und wo ich glücklich werde, dann sollte ich danach suchen, wo ich diesen Frieden finde. Das spanisches Wort für Ignatius war "consolación". Wie das englische "consolation" heißt es wörtlich "Tröstung"; inhaltlich ist aber genau das gemeint, was Paulus "Frieden" nennt.
  • Dieser Friede ist also das genau nicht die Ruhe auf einem Friedhof. Im Gegenteil kann es sein, dass wir diesen Frieden, diese "consolación/Tröstung" mitten im heftigsten Sturmgewitter erfahren. Ja, gerade im Sturm ist der "Friede Gottes" das einzige verlässliche Kennzeichen: Im Streit für eine gute Sache kann es heftig werden, gefährlich, anstrengend.
  • In der Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja war das so deutlich, dass Gott sich danach sehnt, dass unter den Menschen Gerechtigkeit herrscht, die auch das Recht der Armen schützt.
    Das bedeutet fast immer Konflikte, wenn Du Dich dafür einsetzt. Aber vielleicht ist das gerade der Augenblick, wo Du verstehst, wozu Du geschaffen bist: Deine körperliche Kraft oder Deine Schwäche, Deine messerscharfe Intelligenz oder Deine stille Aufmerksamkeit, Deine Talente oder Deine Schwächen, ja sogar das Schlimme, das ein Mensch erfahren musste, nicht nur die stärkenden Erfahrungen - all das kann für etwas gut sein. Und wenn es für die Sache der Gerechtigkeit und der Liebe gut ist, dann wirst Du das merken an dem starken Frieden, tief in Dir.

3. Unterscheidung

  • Das Gegenteil von "consolación/Tröstung" ist "desolación", also "Trostlosigkeit". Das spanische Wort hat sogar die Nebenbedeutung "Verzweiflung", und das englische "desolation" kann sogar "Verwüstung" bedeuten. Deswegen suchen Menschen Frieden und nicht Unfrieden, Trostlosigkeit, Verzweiflung oder Verwüstung der Hoffnung. Aber so eine Erfahrung der "desolación", die innerlich unzufrieden macht, kann auch ein wichtiger Motor sein. Sie sagt: Lass nicht locker, suche das Richtige. Wie Paulus schreibt: " Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert oder ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, das macht und lebt danach." An diesem Frieden merken wir, wenn wir auf dem richtigen Weg sind.
  • Allerdings Vorsicht: Es gibt auch den falschen Frieden, den bequemen Frieden. Wer nur so lebt, dass andere zufrieden sind, hat weniger Konflikte.
    Aber das ist falscher Friede, denn das bist nicht Du; Du bist nicht dazu da, dass andere zufrieden sind. Es gibt auch den falschen Frieden, der nur darauf schaut, ob es finanziell stimmt. Da wird egal, was Du lernst, Hauptsache es bringt hinterher ein dickes Einkommen. Wer sich angewöhnt hat, nur darauf zu schauen, wird auch so etwas wie Frieden erfahren.
    Aber das ist falscher Friede. Er passt nicht zu Dir. Das ist es nicht, wozu Du geschaffen bist.
  • Das Gespür dafür, was "Friede Gottes" und was einfach nur falsche Bequemlichkeit, wächst im Gebet. Wenn wir in der Stille und im Gottesdienst immer wieder die Nähe Gottes suchen, dann kann Gott das Herz berühren: mit Frieden, wo ich auf dem richtigen Weg bin, mit Trostlosigkeit, wo etwas nur falscher Friede ist. Das Gespür dafür wächst nicht so sehr im Bittgebet, weil ich da doch wieder in Gefahr bin, nur Wünsche auszubreiten, die gar nicht von mir kommen. Vielmehr, schreibt Paulus: Bringt "eure Bitten mit Dank vor Gott".
    Fang daher im Gebet immer mit der Dankbarkeit an. Danke Gott für das was Du bist und was Dir gegeben wurde. Dann wirst Du wachsen in dem Gespür dafür, wozu Du da bist. Dann findest Du den echten, wahren Frieden. Amen.

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Aus den Anleitungen für die Exerzitien (Geistliche Übungen GÜ; dt. von Peter Knauer) des Ignatius von Loyola:

„Ich nenne es ‚Tröstung' [consolación], wann in der Seele irgendeine innere Regung verursacht wird, mit welcher die Seele dazu gelangt, in Liebe zu ihrem Schöpfer und Herrn zu entbrennen; und weiterhin, wann sie kein geschaffenes Ding auf der Erde in sich lieben kann, sondern nur im Schöpfer von ihnen allen; ebenso, wann sie Tränen vergießt, die zu Liebe zu ihrem Herrn bewegen, sei es aus Schmerz über ihre Sünden oder über das Leiden Christi unseres Herrn oder über andere Dinge, die geradeaus auf seinen Dienst und Lobpreis hingeordnet sind. Überhaupt nenne ich ‚Tröstung' jede Zunahme an Hoffnung, Glaube und Liebe und alle innere Freudigkeit, die zu den himmlischen Dingen ruft und hinzieht und zum eigenen Heil seiner Seele, indem sie ihr Ruhe und Frieden in ihrem Schöpfer und Herrn gibt." (GÜ 316).

„Ich nenne ‚Trostlosigkeit' [desolación] das ganze Gegenteil [...], etwa Dunkelheit der Seele, Verwirrung in ihr, Regung zu den niederen und irdischen Dingen, Unruhe von verschiedenen Bewegungen und Versuchungen, die zu Unglauben bewegen, ohne Hoffnung, ohne Liebe, wobei sich die Seele ganz träge, lau, traurig und wie von ihrem Schöpfer und Herrn getrennt findet." (GÜ 317)