Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Filmanalyse: Die Exerzitien des Ignatius von Loyola und der Film "The Devil's Advocate"

von P. Martin Löwenstein SJ
Devil's Advocate, The (1997). Regie: Taylor Hackford. Buch: Andrew Neiderman (Romanvorlage) und Jonathan Lemkin. Mit: Keanu Reeves (Kevin Lomax) Al Pacino (John Milton), Charlize Theron (Mary Ann Lomax). Musik: James Newton Howard. Kamera: Andrzej Bartkowiak.
 
Link "Vanity is my favorite sin!" bekennt der Filmgestalt gewordene Satan. Ich muss gestehen, dass Eitelkeit auch der Anlass war, diese Zeilen zu schreiben. Als J. mich verspottete, da ich als Theologe und Priester auf das Niveau eines Hollywood-Filmes hereingefallen sei, hat mich das in meiner Eitelkeit gekränkt, ich gebe es zu. Das Folgende ist also gewissermaßen eine Rechtfertigung. Ich riskiere damit, noch mehr Spott zu ernten, wenn sie nicht gelingen sollte. Der Text setzt beim Leser eigentlich voraus, dass er den Film gesehen hat.

Filmanalyse: Die Exerzitien des Ignatius von Loyola und "The Devil's Advocate" von Taylor Hackford (1997)

Viele amerikanische Filme bedienen sich aus dem Schatz christlicher Weisheits- und Erzähltraditionen. Manchen gelingt es in neuen Bildern den Kern der alten Weisheit zu treffen - oder zumindest nur knapp daran vorbeizuschießen. In jedem Fall kann man aber die beiden Objekte aufeinander beziehen, den Film durch die Weisheitstradition erklären, oder sich die Tradition durch den Film neu in den Blick rücken. Der Film "The Devil's Advocate" ist vermutlich nicht mit dem Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola(1) im Sinn konzipiert worden. Dennoch kann man ihn fast wie eine Bebilderung dazu sehen. Ignatius jedenfalls hätte an ihm seine Freude gehabt. Selbstredend besteht jedoch ein fundamentaler Unterschied zwischen einem auf Publikumserfolg ausgerichteten Kinofilm von 1997 und jenen Anleitungen zur Einübung in die christliche Existenz aus dem 16. Jahrhundert. Der Unterschied besteht im Fundament und der Zielrichtung. Für das Kino ist letztlich entscheidend, ob sich die alte Weisheit in filmische Faszination umsetzen lässt, wobei den Autoren die Quellen häufig gar nicht bewusst sind, weil deren Vermittlung vielfach gebrochen ist. Für das Exerzitienbuch besteht aber das Fundament in der christlichen Sicht auf das Wesen des Menschen, aus dem auch das Ziel des Menschen folgt: In Gott, als seinem Ursprung für sich und den Nächsten auch die Erfüllung zu finden, und so gegenüber allen anderen Dingen so frei zu werden, dass sie auf dieses Ziel ausgerichtet werden können(2).

Dies ist für die Interpretation zentral. Denn was der Film illustriert, ist nur dann eine Entscheidungssituation, wenn man beide Handlungsweisen des Protagonisten Kevin Lomax für möglich hält: Entweder die Verteidigung des Angeklagten fortzuführen, obwohl man überzeugt ist, dass er schuldig ist und weiter Schaden anrichtet, oder die Verteidigung niederzulegen und damit Nachteile für sich in Kauf zu nehmen. Für die Exerzitien wäre hier keine Entscheidung zu treffen, sobald einem vor dem Gewissen klar ist, dass eine der alternativen Handlungsweisen ethisch nicht erlaubt ist. Für die Exerzitien ginge es nur noch darum, die Versuchung, dennoch gegen sein Gewissen zu handeln, zu erkennen und ihr zu widerstehen. Darum, die Versuchung und das dem Menschen Widerstrebende, geht es dem Exerzitienbuch, wenn es barock vom "Feind der menschlichen Natur" und vom "bösartigen Geist" spricht, um ihn vom guten Geist Gottes zu unterscheiden. Der Film hingegen nennt es im Titel: vom Teufel ist die Rede. Ob und wie es ihn gibt, ist hier nicht zu klären; das Kino kann sich jedoch unbefangen des klassischen Bildes bedienen. Auch die christliche Weisheitstradition hat es immer für hilfreich befunden, die widergöttlichen Strebungen mit diesem Namen zu belegen und vom Teufel als Person zu reden. Je nach theologischem Gusto möge es der Leser als Metapher nehmen; die Diskussion ist hier nicht zu führen oder zu entscheiden.

Die Versuchung ist groß. Wenn Kevin Lomax (Keanu Reeves) auch diesen, als hoffnungslos geltenden Fall gewinnt, könnte ihm die ganz große Karriere als Rechtsanwalt glücken obwohl er während des Verfahrens mit Gewissheit erkennt, dass der angeklagte Lehrer zu Recht beschuldigt wird, kleine Mädchen sexuell belästigt zu haben und dies auch weiter tun wird. Lomax beantragt eine Pause, um sich auf der Toilette frisch zu machen. Dort entscheidet er sich: Mit rhetorischer Brillanz bekommt er seinen Mandanten frei. Kurz darauf erhält Kevin das Angebot, als Strafverteidiger in eine renommierte New Yorker Kanzlei einzutreten. Gegen den Rat seiner frommen (oder frömmelnden?) Mutter zieht er mit seiner Frau Mary Ann (Charlize Theron) aus dem beschaulichen Flecken in Florida in das Babylon New York. Sofort ist er einer der Großen in der Kanzlei. Er verdient mehr als genug und bekommt ein Stockwerk im firmeneigenen Luxusappartement-Haus. Mit einem Schlag ist er bekannt, geliebt, reich und einflussreich. Der Chef der Firma ist John Milton (Al Pacino. "Paradies Lost" ist keine zufällige Assoziation) Milton ist die faszinierende Führungsgestalt, die Kevin in ihren Bann zieht. Vom Dach des Kanzlei-Hochhauses zeigt er Kevin die Welt, die ihm zu Füßen liegt. Milton führt Lomax aber nicht nur beruflich ein: er nimmt ihn auch mit auf nächtliche Streifzüge durch New York und findet immer wieder Gelegenheiten, vom Dienstgespräch direkt zur amourösen Damenbegleitung zu wechseln. So ist auch Mary Ann die erste, die das diabolische dieser Welt entdeckt. Ihr Mann wird ihr immer fremder, sie vereinsamt immer mehr, am Ende wird sie sich nicht mehr anders zu helfen wissen, als dem Wahnsinn durch Suizid zu entfliehen. (Hier sind leider einige völlig überflüsige gruselig gemeinte Effekte in den Film eingebaut) Kevin sieht die seelische Not seiner Frau, will ihr helfen, aber findet nicht den Absprung. Er könne, so meint er, doch nicht ihre ganze zukünftige Beziehung dadurch belasten, dass er einen wichtigen Fall aufgibt, um ihr jetzt zur Seite zu stehen; sie selbst würde ihm doch später deswegen Vorwürfe machen. So macht er weiter, sehend dass die Kanzlei durchaus auch in schmutzige Geschäfte verwickelt ist, sehend, dass der wichtigste Klient, den er hat, schuldig ist und ihn belügt. Und wie in Florida plädiert Kevin dennoch auf Unschuld. Katalysator für das Finale ist schließlich Kevins Mutter, die zusammen mit ihm Zeuge von Mary Anns Selbstmord wird und ihm ein Geständnis ablegt: Sie selbst war als junge Frau schon einmal im Sündenbabylon New York und wurde dort von eben jenem John Milton verführt. So erhellt, dass der als faszinierender Übervater der Kanzlei wirkende John Milton Kevins leiblicher Vater ist. Darüber zur Rede gestellt entpuppt sich aber Miltons eigentliches Gesicht: Wie anders denn als Rechtsanwalt würde der leibhaftige Satan sich heutzutage etablieren, um die Menschen in seinen Bann zu ziehen? Das diabolische Zischeln, mit dem Al Pacino die Zunge zwischen den Zähnen durchzieht, das leichte Hinken mit dem Klumpfuß - schauspielerisch war diese Enthüllung längst vorbereitet. In einer fulminanten Rede versucht er Kevin auf seine Seite zu ziehen: Als Sohn Satans sei er berufen, die Herrschaft anzutreten. Rein aus freiem Willen sei Kevin nach New York gekommen. Zu nichts gezwungen sei er seinen Weg gegangen, nun solle er auch diesen letzten Schritt in Freiheit tun. Dieser aber zückt eine Waffe - und erschießt sich selbst. Hier folgt ein Schnitt und der Film kehrt in die Toilette vom Anfang in Florida zurück. Kevin blickt in den Spiegel, greift nach dem Ehering, den er zum Händewaschen abgelegt hatte, kehrt in den Gerichtssaal zurück und erklärt, dass er die Verteidigung niederlegt.

Zum Vergleich mit den "Regeln zur Unterscheidung der Geister" interessiert die Strategie, mit der Milton seinen Schützling umgarnt und dazu bringt, Dinge zu tun, die dieser guten Gewissens nie tun würde. Gehört Kevin Lomax zu den leichten Opfern des Verführers? Er wird als sympathischer, aufgeschlossener Mensch vorgestellt. Nichts Abgründiges, nicht Böses. Dies ist aber auch für die Exerzitien entscheidend. Wer davon ausginge, dass bestimmte Menschen nur "gute" und andere Menschen nur "böse" geistliche Bewegungen erfahren, wird dabei enden, dass er keinerlei Bewegung der Seele erfährt. Ignatius geht davon aus, dass jeder, der sich ernsthaft mit den Übungen befasst "von verschiedenen Geistern bewegt wird" (GÜ 6). Was Kevin aber zum Opfer des einen Geistes werden lässt, ist gerade sein "sonniges Gemüt". Bei Menschen die sich nicht viel Gewissen machen, "ist der Feind gemeinhin gewohnt, ihnen scheinbare Annehmlichkeiten vorzulegen, indem er sie sich sinnliche Vergnügungen und Annehmlichkeiten vorstellen lässt" (GÜ 314). Dies kann in den Meditationen sehr konkret erfahren werden. Für Kevin - und zu Beginn ebenso für seine Frau - ist es denn auch keine Frage, die Warnungen der Mutter in den Wind zu schlagen und der Verlockung New Yorks nachzugeben. Aber selbst, als die - zunehmend sexuellen - Verlockungen immer mehr auch ihre düstere Seite zeigen, sind sie es, die Kevin abhalten, das zu tun, was er will und sollte. Kevin hat durchaus auch die andere Seite des "sunnyboy". Er möchte ein guter Mensch sein und sucht nach dem Absprung. Bei den Menschen, die versuchen nach ihrem Gewissen zu leben, so stellt Ignatius fest, "ist es dem bösen Geist eigen, zu beißen, traurig zu machen und Hindernisse aufzustellen, indem er mit falschen Gründen beunruhigt, damit man nicht weitergehe." Wenn man mit dieser Regel die Szene vergleicht, in der Kevin seinen kurzen Ansatz zur Umkehr aufgibt, dann stellt man fest, dass es genau die verquere Rationalität ("falsche Gründe") und die große innere Unruhe ist, die ihn vom Guten wegzieht. Grandios im Film dargestellt ist dabei, wie scheinbar passiv sich der böse Geist verhält, wenn sich die Seele in dieser Situation windet und dreht, während er ja in anderen Situationen durchaus aktiv bis aggressiv verführt. Der Feind der menschlichen Natur will dem Menschen die Freiheit nehmen, nach seinem eigenen Willen zu leben. Gerade dort, wo der Mensch sich entschlossen hat den guten Weg einzuschlagen, deckt er ein Netz von Gründen und Gelegenheiten über den Menschen(3), damit dieser das tut, was er schon bereut, ehe er es begonnen hat. Bei emotionalen Menschen läuft die Versuchung anders als bei Menschen, die sich ihre Intelligenz zugute halten. Wenn Kevin Lomax endlich einmal Zeit hat für seine Frau, die er liebt und will, fängt ihn der Feind jedesmal in neuen Gründen. Sinnlich zugespitzt ist dies in einer Szene, in der Kevin Lomax in der offenen Tür des Aufzugs steht und zu seiner Frau will, während John Milton mit zwei Prostituierten ihn zurück zu locken sucht. Dass Kevin Lomax schließlich mit dem Verführer geht, hat an der Oberfläche seines Bewusstseins nicht mit der sexuellen Verführung zu tun, sondern mit dem Argument, John Milton sei doch sein Chef und er könne diesem doch nichts ausschlagen. Sein konkreter Wille will anderes, aber er ist dem Feind seiner Natur schon auf den Leim gegangen. Ein Konstrukt aus äußeren Gründen, unter dem jene Verführung brodelt, der er eigentlich widerstehen will, hat ihn bereits gefangen. Für die Propheten des Alten Testaments war es Götzendienst, sein Leben nach den Sternen zu richten; der moderne Mensch schiebt den Terminkalender, die Flugzeugverspätung oder eben den Befehl des Vorgesetzten vor, wenn er seine Freiheit aufgibt und so gegen sich selbst handelt.

Ignatius beschreibt (GÜ 335) wie es sich auswirkt, wenn ein Mensch bei der Meditation sich entweder im Fortschritt auf Gott zu befindet oder mehr und mehr vom Gedanken an Gott und der Liebe zu Gott abwendet. Denn je nachdem empfindet man auch die Gedanken, die jeweils in dieselbe Richtung gehen, als leicht eingängig, während Gedanken des Gegenteils hart aufstoßen. Ignatius gebraucht den Vergleich eines Wassers, das entweder hart auf einen Stein aufklatscht oder aber sanft wie auf einen Schwamm träufelt und in ihn eindringt. Als John Milton Kevin Lomax für seine Sache gewonnen hat und nur noch leise Zweifel ausräumen muss, nimmt Milton ihn väterlich an der Hand und träufelt sanft seine Gedanken auf diesen dankbar aufsaugenden Schwamm. Während einer U-Bahn-Fahrt und einem Spaziergang entfaltet John Milton seine ganze bezaubernde Nonchalance, um Kevin Lomax zu überzeugen, wie harmlos er sei, einer der die Menschen liebt. Wie aber reagiert der böse Geist, wenn er bei diesem Geschäft der sanften Überzeugung gestört wird, wenn er angegriffen oder in Zweifel gezogen wird? Er schlägt mit blitzschneller Gewalt zurück. Als ihn ein halbstarker Hispano in der U-Bahn anpöbelt, reagiert John Milton sofort, indem er ihn verleumdet, unsicher macht, in seine Intimsphäre eindringt und entehrt. Ganz genauso reagiert der Geist des Meditierenden, der sich in seiner angenehmen Selbstsicherheit gestört sieht. Er greift an und diffamiert. Wenn etwa der Meditierende, statt sich in der Meditation in das Glaubensgeheimnis zu vertiefen und sich der Gnade Gottes anzuvertrauen, Phantasien seiner eignen Macht und Herrlichkeit hingibt, könnte ihm dabei der Gedanke dazwischen kommen, welcher Person er mit so einem Verhalten schadet oder sie enttäuscht. Wie ein angestochenes Reptil kann der so gestörte böse Geist reagieren, indem er diese Person schlecht oder gering macht oder gar verleumdet.

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Eine Beobachtung zum Verhältnis der beiden Protagonisten des Films, die über das Exerzitienbuch hinausgeht: Zwar gibt es auch in der christlichen Tradition die Metapher, den Teufel zum Vater zu haben(4). Aber erst nach Siegmund Freund ist es möglich, diese Metapher noch einmal zu wenden: Wie groß muss die Sehnsucht des Halbwaisen Kevin Lomax nach einem Vater sein. John Milton bietet sich an, als Vater, zu dem man aufblicken kann, der erfolgreich, großzügig und dennoch scheinbar gar nicht bevormundend ist. Das dualistische Missverständnis, den Teufel einfachhin als quasi gleichursprüngliches Gegenüber zu Gott zu sehen, rührt vielleicht auch daher, dass hier zwei Vaterfiguren in Konkurrenz zueinander stehen.

Der Feind der menschlichen Natur ist ein Verführer, und da der Mensch ein mit Sprache begabtes Wesen ist, verführt er gerne durch Worte. Bei aller überladener Pathetik der Szene ist die Rede des sich als Satan offenbarenden John Milton auch ein Meisterstück der Verführung und Al Pacino der Meister. Gott, so redet uns der Feind der menschlichen Natur ein, sei doch nur ein Voyeur, der sich daran weide, wie wir am Angelhaken der Moral zappeln. Habe er doch in die Mitte des Gartens Eden den Baum mit der Frucht gesetzt, aber dazu geboten: "See! - but don´t touch. Touch! - but don´t taste. Taste! - but don´t swallow"(5). Das alles erkläre sich doch nur aus dem schlechten Charakter Gottes. In ihrer Logik frisst sich solche Argumentation ins Gedächtnis. Der Verführer spricht mit blendender Rhetorik - blendend im Wortsinne. Denn gerade dadurch funktioniert die Verführung, dass sie blendet und die klare Sicht behindert. Schon der Schlange im Garten gelingt es, den Blick auf die Fülle des Gartens zu verblenden, indem sie dazu verlockt, nur noch das Eine, Verbotene zu sehen und schlussendlich die Ehrfurcht vor dem Geheimnis aufzugeben. Man muss diese Blendung überwinden und sehen: Die Strategie des Verführers besteht darin, Hemmschwellen zu glätten. Die Frucht im Garten Eden ist im Film nur das Bild, die Gestik des Redners interpretiert sie recht deutlich auf das Erotische. Denn gerade hier ist die der menschlichen Natur eigene Ehrfurcht das, was der List ihres Feindes im Wege steht. Gott lasse den Menschen sehen, aber nicht berühren, berühren, aber nicht schmecken, schmecken, aber nicht verkosten! Genau das ist Blendung, Verführung des Feindes der menschlichen Natur! Denn die dem Menschen eigene Ehrfurcht vor dem anderen lässt es ihm "eigentlich" selbstverständlich erscheinen, dass er eines anderen Menschen Ehe respektiert. Aber, so flüstert der Verführer, man wird doch schauen dürfen. Und wenn man schon schaut, dann darf man auch eben mal, wie beiläufig, berühren. Und so weiter. - "Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen" (Mt 5,28). Nimmt man dem Feind das Pathetische seiner Rede bleibt nichts übrig als Blendwerk.

Es ist völlig richtig, dass Kevin Lomax aktiv sterben muss, also Selbstmord begehen muss, um sich aus der Verstrickung zu befreien, in die er nach und nach geraten ist. Durch diesen Selbstmord entlarvt sich die ganze Geschichte als Traumsequenz zur Bebilderung der einen Entscheidung in der Gerichtspause: Bin ich bereit um meiner Karriere willen die Wahrheit zu verleugnen. Der Versuchung zu Ehre und Karriere um solch einen Preis (und es ist fast immer der Preis) kann ich mich nur durch die geistliche Form des Selbst-Mordes befreien: die Abtötung, das Sterben der Strebungen, die dem Ziel meines Lebens entgegenstehen. "Wir wissen doch: Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde und wir nicht Sklaven der Sünde bleiben. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir nun mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden. Wir wissen, dass Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über ihn." (Römerbrief 6,6-9). So ist auch das ganze Exerzitienbuch zentriert auf diese Nachfolge des Gekreuzigten. Kevin Lomax erhebt sich aus der Traumsequenz mit Wasser im Gesicht. In der Gerichtspause hat er sich auf der Toilette frisch gemacht. Das geistliche "Sterben", das Loslassen von Dingen, die ein Teil von mir sind und doch dem entgegenstehen, was das eigentliche Ich ist, kann überhaupt nur möglich sein, wenn es von der konkreten Hoffnung auf Auferstehung getragen ist. Ich kann also letztlich nur in Christus wirklich sterben, weil ich nur in Christus auferstehen kann. Im Sakrament der Taufe wurden wir in diesen Prozess des Sterbens und Auferstehens Christi eingefügt; das oben zitierte Kapitel 6 aus dem Römerbrief ist denn auch eine Erklärung zur Taufe (Taufkatechese). Daher muss auch Kevin Lomax aus dem Wasser "neu geboren" werden. Der anschließende Griff zum Ehering kann problemlos als Reverenz vor den amerikanisch-christlichen family-values durchgehen. Aber in der Treue zum Ehe-Bund setzt sich auch noch einmal die Treue Gottes im Taufbund in das jeweilige Leben hinein fort.

Kevin Lomax kehrt in den Gerichtssaal zurück und legt die Verteidigung nieder. Er ist innerlich bereit, die Karriere, die so glänzend begonnen hat, fahren zu lassen und dafür als Mensch heil zu bleiben bzw. zu werden. Dies ist eine echte und wirkliche Bekehrung, Hinkehr zum Wesensgrund des Menschen und damit zu Gott.

Der Bekehrung ist es zu eigen, nach all dem Ringen, den Tränen und Schmerz nicht nur in großer Freude in das Leben zurückzukehren. Sie drängt den Menschen auch dazu, die Befreiung, die er selbst erfahren hat, anderen weiterzugeben. Niemand kann Christus erfahren, ohne ihn weitergeben zu wollen. Da aber schon lauert wiederum der Feind der menschlichen Natur. Auf dem Weg aus dem Gerichtssaal flüstert er Kevin Lomax ein, dass er ja genau das machen kann: aus seiner Erfahrung eine große Kampagne machen, in der er in der nationalen Presse als Held dastehen wird. Ignatius warnt vor schnellen Entscheidungen aus geistlichem Trost und Hochgefühl heraus(6). Dies sind Zeiten, in denen man Schlingen des Feindes leicht übersieht: "Der bösartige Geist hat die Gewohnheit, indem er sich in einen Lichtengel verwandelt, den von ihm erkannten Wünschen der frommen Seele zunächst beizustimmen, bald aber sie von dort zu seinen verkommenen Wünschen zu locken. Er erweckt nämlich den Anschein, am Anfang den guten und heiligen Gedanken eines Menschen zu folgen und sie zu fördern, um ihn dann allmählich in die verborgenen Fußfesseln seiner Täuschungen zu ziehen und zu verstricken"(7). "Vanity is my favorite sin!". So geht auch hier der böse Geist in der Gestalt des Gerichtsreporters hin und bestärkt Kevin Lomax in seiner Entscheidung, da ihm angesichts einer Entschiedenheit des Menschen gegen das Böse kein Raum bleibt (GÜ 325). So wechselt er flugs die Seite, stellt sich als Lichtengel dar, und macht seine kleine Einflüsterung, um den Menschen doch noch, jetzt bei der Verfolgung eines guten Zieles auf seine Seite zu locken.(8) Eitelkeit ist dafür häufig das beste Einfallstor. Daher hören auch die Exerzitien der Vier Wochen bei der Bekehrung nicht auf, sondern gehen weiter zur Berufung in der Zweiten Woche. Ignatius lässt dort den Übenden sehr genau zwischen den Berufungen unterscheiden. In der Betrachtung über die zwei Banner sieht er den Feind der menschlichen Natur seine Dämonen ausschwärmen: diese fordert er auf, dass sie die Menschen "- wie es meistens geschieht - zur Begierde nach Reichtum ziehen, von so aus sie danach leichter zur Sucht nach weltlicher Ehre und schließlich in den Abgrund des Hochmuts hinabgestürzt werden können." (GÜv 142). Kevin Lomax kann davon ein Lied singen. Die andere Berufung dagegen ist eine in die Nachfolge des gekreuzigten Herrn. Wer diesem König folgt, kann sich frei machen von Ehre und Reichtum, weil er in Christus alles hat. Hollywood pflegt von erfolgreichen Filmen eine Fortsetzung zu machen. Die Zweite Woche der Exerzitien böten da viel Stoff.

 


Anmerkungen


1. Das Exerzitienbuch ("Geistliche Übungen") ist in mehren Übersetzungen als Einzelausgabe erhältlich. Hier wird zitiert nach: Ignatius von Loyola: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu. Deutsche Werkausgabe Band II. Übersetzt von Peter Knauer. Echter Verlag, Würzburg 1998, S. 92-269. Zitiert als GÜ für die Übersetzung nach dem spanischem Autograph (vor 1544) und als GÜv für die Übersetzung nach dem lateinischen Vulgata-Text (1548).


2.
"Prinzip und Fundament. Der Mensch ist geschaffen, um Gott unseren Herrn zu loben, ihm Ehrfurcht zu erweisen und zu dienen und mittels dessen seine Seele zu retten; und die übrigen Dinge auf dem Angesicht der Erde sind für den Menschen geschaffen und damit sie ihm bei der Verfolgung des Ziels helfen, zu dem er geschaffen ist. Daraus folgt, dass der Mensch sie soweit gebrauchen soll, als sie ihm für sein Ziel helfen, und sich soweit von ihnen lösen soll, als sie ihn dafür hindern. Deshalb ist es nötig, dass wir uns gegenüber allen geschaffenen Dingen in allem, was der Freiheit unserer Entscheidungsmacht gestattet und ihr nicht verboten ist, indifferent machen." (GÜ 23)


3.
"Anderen Menschen, die sich eifrig mühen, sich von Lastern und Sünde zu reinigen, und die von Tag zu Tag immer weiter im Eifer für den göttlichen Dienst vorwärtskommen, gibt der bösartige Geist Beschwernisse, Skrupel, Traurigkeiten, falsche Gründe und andere Verwirrungen dieser Art ein, mit denen er jenen Fortschritt behindern will." (GÜ 315v)


4.
Im Streitgespräch mit den Schriftgelehrten ( Jo 8, 44) wirft Jesus ihnen vor "Ihr habt den Teufel zum Vater, und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge." Vgl. 1 Joh 3,8-10.


5.
John Milton: "Let me give you a little inside information about God. God likes to watch. He's a prankster. Think about it. He gives man Instincts! He gives you this extraordinary gift, and then what does He do, I swear for His own amusment, his own private, cosmic gag reel, He sets the rules in opposition. It's the goof of all time. Look but don't touch. Touch, but don't taste! Taste, don't swallow. Ahaha! And when you're jumpin' from one foot to the next, what is he doing? He's laughin' His sick, fuckin' ass off. He's a tight-ass! He's a sadist! He's an absentee landlord. Worship That? Never!


6.
GÜ 14: Wenn der, welcher sie gibt, sieht, dass der, welcher sie empfängt, getröstet und mit großem Eifer vorangeht, muss er warnen, dass er kein unbedachtes und voreiliges Versprechen oder Gelübde ablege. Und je mehr er ihn als von leichtfertiger Art erkennt, umso mehr muss er ihn warnen und mahnen.


7.
(GÜv 332; 4. Regel zur Unterscheidung der Geister in der Zweiten Woche).


8.
Auch die 8. Regel der Zweiten Woche kann hier angewandt werden: Aus der großen inneren Ruhe und Tröstung die entsteht, wenn man einem guten Gedanken gefolgt ist und sich entsprechend entschieden hat, darf man dieses Hochgefühl nicht automatisch auf die nächste Situation und die nächsten Schritte übertragen: "Denn in dieser späteren Zeit geschieht es häufig, dass wir aus eigener Gewohnheit, Gedankenfolge und eigenem Urteil (...) einige verspüren oder beschließen, was (...) sorgfältiger Prüfung bedarf, ehe man dazu zustimmt oder es ins Werk setzt." (GÜv 336)


 

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