Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Aschermittwoch 2023

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22. Februar 2023 - Aloisiuskolleg, Bonn-Bad Godesberg

1. Künstliche Wiederholung

  • Künstliche Intelligenz ist letztlich nur die große Kunst, schon Bekanntes neu zu kombinieren. Diese Kunst beherrschen moderne Programme immer beeindruckender. Sie schreiben auf Wunsch tiefsinnige Texte zu schwierigen Fragen. Nicht nur Oberstufenschüler benutzen Chat-GPT, das Programm, das seit ein paar Wochen im Internet ist. Auch 5.-Klässler habe ich schon davon schwärmen gehört. Ich selbst habe es zuletzt benutzt mit der Bitte, mir eine Büttenpredigt für den Karnevalssonntag zu schreiben. Ich fürchte, das Ergebnis hat die Gemeinde mehr amüsiert, als ich es mit eigenen Versen gekonnt hätte.
  • Doch die Technik hinter diesem Programm macht nur zweierlei: Sie eignet sich die aberwitzigen Menge Texte an, die im Internet zu finden sind. Milliarden und Abermilliarden von Texten werden dafür analysiert. Daraus werden die Antworten in Chat-GPT erzeugt. Die Ergebnisse sind in den meisten Fällen sinnvoll, hilfreich und gut formuliert – eben auf dem Standard der Vorlagen, die das Programm im Internet gefunden hat und nun nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung neu kombiniert.
  • Ob das Fluch oder Segen wird? Wahrscheinlich beides. Was wir auf jeden Fall jedoch wissen müssen: Das Programm wiederholt nur, was es gefunden hat. Es "weiß" nicht, was es schreibt und ist deswegen Anfällig gegenüber Klischees und Vorurteilen – und je häufiger sie vorkommen, umso mehr. Künstliche Intelligenz ist dann eben doch nur Wiederholung des immer Gleichen – und keine Begegnung, eben nur ein Chat, ein Plaudern, kein Gespräch.

 2. Natürliche Begegnung

  • Wir haben für die Fastenzeit dieses Jahr das Bild von Chidi Kwubri aus Nigeria ausgewählt (Misereor-Hungertuch 2017/2018). Es zeigt zwei Menschen in zwei Bildern, die markant in zwei Farben gefasst sind. Auf den ersten Blick denkt man, die beiden dargestellten Menschen sehen gleich aus. Bis man sich Zeit nimmt und die Unterschiede sieht.
  • Die Bilder sind aus ganz, ganz vielen einzelnen Punkten entstanden. Jeder Punkt macht etwas von der einzigartigen Persönlichkeit deutlich. Jeder Punkt erzählt eine Geschichte, was der andere Mensch, dem ich begegne, erlebt hat, was ihm Freude gemacht hat oder auch belastet, was ihn ausmacht. Für ein Computerprogramm lässt sich das vielleicht in Statistik und Wahrscheinlichkeiten auflösen. In der Begegnung mit einem anderen Menschen ist es an mir, das Einzigartige und Wertvolle in der Anderen und in dem Anderen zu entdecken.
  • Es bleiben zwei Bilder. Bewusst hat der Maler eine Lücke zwischen den beiden Teilen des Bildes gelassen. Hier ockergelb, dort pflanzengrün, aber dazwischen weiß. Doch wo der Arm des einen in das Bild des anderen übergeht, nimmt der Arm die Farbe des Gegenübers an.  –
    Wir können uns ganz in unserem eigenen Rahmen einnisten und nur auf uns selbst beziehen. Alles "da draußen" wird dann nur beurteilt, ob es mir nützt oder schadet. Wir tun dann so, als wäre der andere Mensch ein Computerprogramm, das ich aufrufen kann oder nicht. Wie ein Konsumprodukt.
    Dabei schadet mir nichts so sehr, wie wenn ich nur auf mich selbst bezogen bin. Es ist hingegen das schönste Geschenk zu erfahren, dass ich für andere da sein kann und dass andere mich prägen, verändern und herausfordern. Dazu aber muss ich erst einmal bereit sein, wahrzunehmen, zuzuhören, hinzusehen, mich zu öffnen. – Es wäre ein lohnendes Programm für die 40 Tage der Fastenzeit in Vorbereitung auf Ostern, zu sehen und dafür zu danken, wie andere mir begegnen, mich verändern und ich für andere da sein kann.

3. Überraschender Gott

  • Die Umkehr aus der Selbstbezogenheit hin zu einer Bezogenheit auf andere verändert meine Erfahrung Gottes. Wenn ich mich nicht durch die Begegnung mit anderen prägen und verändern lasse, wird Gott keine Chance haben, mich zu erreichen. Gott bleibt dann stumm, die Gebete sind für mich nur Formeln, die Stille und die Gottesdienste erlebe ich nur als langweilig.
  • Gott in allen Begegnungen mit anderen Menschen zu suchen und zu finden ist dagegen spannend. Ich merke dabei, dass es mich verändert und meine Beziehungen zu den Mitmenschen verändert. Jede Begegnung kann zur Frage werden: Was schenkst du mir, Gott, in dieser Begegnung? Wozu berufst Du mich in dieser Begegnung? Welche Fähigkeiten kann ich einsetzen, die du mir geschenkt hast?
  • Gott ist so unendlich größer als alles, was ich mir vorstellen kann. Gott ist größer als das All und jedes Maß der Zeit ist unfähig, die Ewigkeit Gottes zu begreifen. Und doch – das ist der Kern des biblischen Glaubens und meiner Berufung als Christ – will Gott uns Menschen in unserer Geschichte begegnen. Dazu ist Gott in Jesus Christus Mensch geworden. In der Vielfalt der Begegnungen Gott zu begegnen, wäre ein lohnendes Programm für die 40 Tage der Fastenzeit in Vorbereitung auf Ostern.