Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Sonntag Christkönig im Lesejahr A 2005 (Matthäus)

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20. November 2005 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Schlussakkord

  • Das ist ein Evangelium, das sich hören lässt. Nachdem wir an den letzten beiden Sonntagen eher sperrige Gleichnisse aus dem 25. Kapitel des Matthäusevangeliums verdauen mussten, schließt das Kapitel mit einem wohlklingenden Akkord. Es schließt zugleich auch der Hauptteil des Evangeliums vor dem Beginn der Leidensgeschichte.
  • An diese Stelle stellt Matthäus den Blick Jesu auf das Ziel und Ende der Welt. Nach dem Maßstab Gottes ist dies die Barmherzigkeit gegenüber den Geringsten: den Armen, Kranken und Gefangenen. Wenn am Ende der Zeit die Völker vor dem Höchsten stehen, dann ist Maßstab das, was diesen Geringsten getan wurde.
  • Die Barmherzigkeit ist der Schlüssel für das Reich, das Gott zum Ziel der Zeiten gesetzt hat. "Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist." Die Gemeinschaft mit Gott in seinem Reich ist für die bestimmt, die in ihrem Leben Gottes Gerechtigkeit gelebt haben.

2. Neuzeitlicher Universalismus

  • Es ist kein Zufall, dass uns Heutige dieses Evangelium so gut mundet. In ihm atmet eine Weite, die der Universalität der Welt entspricht: die Barmherzigkeit wird zur Berufung aller Völker. Die Partikularität aller Religion und Kultur scheint überwunden.
  • Eins aber macht dann doch nachdenklich. Dieses Verständnis des Bildes vom Weltgericht kommt erst im 19. Jahrhundert auf. Achtzehn Jahrhunderte lang haben Christen das anders verstanden. Auch spricht meines Erachtens einiges dafür, dass es Jesus, der Evangelist Matthäus und seine Zuhörer in der frühe Kirche anders verstanden haben(1). Im Zusammenhang des Matthäusevangeliums sind nämlich mit den "geringsten Brüdern" nicht irgendwelche Armen gemeint, sondern die Apostel, die in Armut zu den Völkern kommen und ihnen das Evangelium verkünden. Wanderapostel - wie Paulus - waren die Träger der Verkündigung. Sie kamen in Armut, nackt und hungrig zu den Menschen. Sie saßen immer wieder im Gefängnis um des Namens Jesu willen. Dass diese gemeint sind, erhellt wenn man unser Evangelium mit anderen Stellen vergleicht, in denen Jesus sich ganz mit seinen Gesandten, den Aposteln vergleicht: "Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf" (Mt 10,40).
  • Wenn das stimmt, ist die andere Interpretation dann falsch. Ja und Nein. Ja, wenn wir fragen, was Jesus in diesem Zusammenhang gemeint hat; dann sollten wir nicht die Antwort geben, die uns am gefälligsten ist. Aber auch Nein, diese Interpretation ist nicht falsch, denn das Bild vom Endgericht hat sehr wohl eine weitere Bedeutungsebene, die ebenfalls gestützt wird, durch das was wir von Jesu Lehre und Tun wissen. Ganz in der Tradition des Alten Testamentes verkündet Jesus die Barmherzigkeit Gottes, die auch uns zur Barmherzigkeit ruft. "Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!" (Lk 6,36). In unserer Zeit, da die mittellosen Wanderprediger nicht mehr der Normalfall sind, müssen wir sogar das Evangelium auf diese Weise für uns neu entdecken.

3. Neuzeitliche Jesusbilder

  • Eine solche Aktualisierung des Evangelium sollte Respekt vor dem Original erkennen lassen. Mir scheint z.B., dass das Jesusbild insgesamt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Bewusstsein der meisten Christen eine Umdeutung erfahren hat, die in deutlichem Kontrast zum Textbefund des Evangeliums steht. Meine Erfahrung ist, dass viele, die in dieser Zeit kirchlich sozialisiert wurden, deswegen das Evangelium, das sie im Kopf haben, nicht mehr mit dem Buch in der Bibel zusammenbekommen.
  • Wenn man nachgoogelt, wie häufig das Wort Jesus mit "Freund" in Verbindung steht statt mit "Meister", oder seine Anhänger mit "Freunde" statt mit "Jünger", dann ist die gefällige Version vom "Freund" jeweils doppelt so häufig anzutreffen (2). Der biblische Befund ist mehr als umgekehrt. Fast immer redet das Evangelium von den "Jüngern", also den Schülern des Meisters Jesus. Nur von einem, von Lazarus, wird gesagt, dass er ein Freund Jesu sei. Sonst gibt es nur den Vorwurf, Jesus sei "Freund der Zöllner und Sünder" (Mt 11,19) - eine Stelle, in der Jesus für sich den Hoheitstitel "Menschensohn" in Anspruch nimmt. Nur eine einzige Stelle in allen Evangelien lässt Jesus die Jünger seine Freunde nennen (Joh 15,13ff). Hier aber ist der Gegensatz der Knecht, und Freund ist, wer Jesu Auftrag und Gebot erfüllt. Die Liebe, mit der wir zu Jesu Freunden werden, muss daher klar abgegrenzt sein von jedem Beiklang harmloser, gar kumpelhafter Freundschaft.
  • In Jesus spricht einer mit Autorität. Ihn nennen die Christen den Herrn. Er ist es, der uns beruft. Er ist es, dem wir nachfolgen. Nur wenn das klar ist, dürfen wir voll Ergriffenheit das Wort hören, dass er nicht als einer zu uns kommt, der befiehlt, sondern als einer der dient, ja, der das Leben hingibt für seine Freunde. Und eben das kommt auch im Evangelium vom Weltgericht zum Ausdruck. Jesus offenbart sich als derjenige, dem Gott, der Vater, das Gericht über die Völker übertragen hat. Aber er richtet nicht nach Willkür, sondern nach dem Maß der Liebe. Wir beugen unser Knie vor diesem Gott. Das ist recht so. Gott aber will, dass wir zugleich auch vor denen das Knie beugen, die vor der Welt als die Geringsten gelten. Amen.

Anmerkungen:

(1) Mich überzeugt dabei die Argumentation zur Stelle bei Ulrich Luz,: Das Evangelium nach Matthäus. 3. Teilband. Mt 18-25. Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament (EKK) I/3. Einsiedeln/Neukirchen-Vluyn (Benziger/Neukirchener) 1997.

(2) Es treten laut Google miteinander auf:
Jesus und Freund 1.430.000 mal
Jesus und Meister 723.000 mal
Jesus und Freunde 1.190.000 mal
Jesus und Jünger 557.000 mal