Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Sonntag Christkönig im Lesejahr B 2003 (zum Fest)

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23. November 2003 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Politische Religion

  • Der Islam ist eine politische Religion. Darauf läuft fast jede Argumentation hinaus, die man in den letzten Wochen hören konnte, wenn es darum ging, Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuches zu verbieten. Die etwas mehr differenzierten Stimmen bemühen einen eher wagen Begriff der Kultur, reden von "Rolle der Frau" und dergleichen.
  • Die Islamexperten, die selbsternannten zumal, sind sich einig: der Islam sei eine politische Religion. Wegen des damit verbundenen Unterschied zur europäischen Kultur, müsse er wohl oder übel diesen Charakterzug abstreifen - oder zumindest aus dem staatlichen Bereich fernhalten.
  • Fast ebenso unisono scheint man davon auszugehen, dass das mit dem christlichen Glauben ganz anders sei. Noch vor seiner Wahl zum Ratsvorsitzenden der EKD hat sogar Bischof Huber dies Selbstverständnis betont. Der "offenkundige Unterschied" zwischen einem Kopftuch und dem Kreuz am Revers eines Pfarrers bestehe darin, "dass das Kopftuch eine kulturelle Kluft symbolisiert". Wenn dagegen jemand, so Huber, "ein Kreuz trägt, hat das mit einer Spaltung der Gesellschaft wirklich nichts zu tun".(1)

2. Königsherrschaft Christi

  • Diese Einschätzung ist recht erstaunlich. Ganz sicher müsste diese Einschätzung denjenigen erstaunen, der unvoreingenommen und neugierig die Lesungen aus der Heiligen Schrift hört. Allenthalben kommt da der zentrale politische Begriff überhaupt vor: Herrschaft. Immer wieder sprechen fromme Christen ihr Amen, wenn im Gebet behauptet wird, Christus herrsche, heute ebenso wie alle Tage. In der heutigen zweiten Lesung etwa wird mit hinreichenden Klarheit ein Oberherrschaftsanspruch Christi über alle andere Herrscher behauptet. "Herrscher über die Könige der Erde" bedeutet doch präzis, dass die Königsherrschaft über alle Könige, das Präsidentenamt über alle Präsidenten, die Richterbefugnis über alle Richtern bei Jesus Christus liegt. Das soll unpolitisch sein?
  • Und trägt ein Glaube nicht die Kraft zur "Spaltung der Gesellschaft" in sich, der einen König willkürlich über den durch Wahlen und Parlament legitimierten Bundeskanzler stellt? Natürlich ist das mit der Herrschaft Christi von den Christen anders gemeint, als wenn sie von der Herrschaft der Präsidenten und Kanzler sprechen. In pietistischer Manier reden manche von der "inneren Königsherrschaft". Da wäre Christus keine Konkurrenz mehr zu Gerhard Schröder, bestenfalls zu Diana, der "Königin der Herzen".
  • Solch eine innerliche Deutung kann sich auf so zentrale Aussagen wie die im Johannesevangelium berufen, wo Jesus zwar vor Pilatus bekennt, ein König zu sein. Immerhin ist das doch ausweislich der Schuldtafel am Kreuz der juristische Grund seiner Verurteilung. Zugleich aber stellt Jesus zuvor klar: Seine Königsherrschaft ist nicht von dieser Welt. Und er fügt auch hinzu, welcher entscheidende Unterschied damit gemeint ist: Sein Königtum basiert nicht auf Waffen und Soldaten. Es ist ein Herrschaftsanspruch der sich prinzipiell des Gewaltmonopols begibt, das sonst Urkriterium aller ernstzunehmenden staatlichen Herrschaft ist. Von dieser Welt ist der Königsstaat Gottes nicht.
    Damit ist aber nicht weniger, sondern mehr beansprucht. Der moderne Verfassungsstaat beschränkt sich auf die äußere Herrschaft. Die Gedanken sind frei. Und selbst totalitäre Herrschaft scheitert letztlich immer dort, wo sie die Gedanken beherrschen will. Dem Königtum Christi aber geht es um den ganzen Menschen. Ohne Waffen und Soldaten, aber deswegen nicht minder umfassend. Wir sollten vorsichtig sein zu behaupten, der christliche Glaube sei unpolitisch.

3. Antlitz des Menschen

  • Wo ist diese Herrschaft erfahrbar? Gerade Christen leiden darunter, das die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit so groß ist. Wo kann ich diesen König sehen und erfahren? Bleibt alles innerlich?
    Das zentrale Glaubensgeheimnis ist, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist. Seitdem trägt Gott, mit der ganzen Autorität Gottes Menschantlitz. So wie der irdische Staat repräsentiert wird in seinen Staatssymbolen und uns entgegentritt in seinen Gesetzen so tritt uns der König Christus, König aller Könige, entgegen im Menschen. Der Mensch, der uns begegnet, ist uns Staatssymbol des Gottesreiches und Gesetz des Handelns.
  • Nicht das Abstraktum Menschheit, sondern der konkrete Mensch ist uns das Antlitz Christi. "Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40).
    Darin erfüllt sich der Sinn des Titels, den Jesus für sich in Anspruch nimmt: "Menschensohn". Wahrer Gott und wahrer Mensch - für uns in jedem Menschen erfahrbar.
  • An Christus glauben ist daher zu aller erst Erfahrung. Seine Königsherrschaft bekennen bedeutet, dass das Schicksal des geringsten für uns Gesetztescharakter hat. Wahrlich ein hoher Anspruch. Sicher ein politisch brisanter Anspruch. Aber zugleich - wenn nicht zuerst - Erfahrung, dass dieser Gott ja auch mich angenommen hat, Mensch der ich bin. Deswegen kann ich voll Freude und Zuversicht darum beten, dass sich diese Herrschaft vollendet. Amen.

 


Anmerkung

. (1)Nach: F.A.Z. vom 13.11.2003, Seite 37 (Feuilleton)