Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Sonntag Christkönig im Lesejahr B 2015 (Johannes)

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22. November 2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Wahrheit

  • Wahrheit findet sich nicht zwischen zwei Buchdeckeln. Wahrheit kann nur gelebt werden. Wer meint, Wahrheit habe es nur mit Theorien zu tun, wird nie verstehen, warum Jesus in seinem Gespräch mit Pilatus - in dem es ja um sein eigenes Schicksal geht - über Wahrheit spricht: "Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme."
  • Am Fest Christkönig wird dieses Stück aus dem Johannesevangelium vor allem in seiner politischen Bedeutung akzentuiert. Manche erinnern sich vielleicht noch, wie die Könige der totalitären Regime des 20. Jahrhundert vor allem dadurch ihre Macht zu sichern versuchten, dass sie ein Monopol auf Wahrheit für sich beanspruchten. Selbst Kinder wurden schon in der Schule trainiert, öffentlich die Lüge zur Wahrheit umzudeuten. Die Propaganda der Nazis und Kommunisten basierte auf der Dreistigkeit der Lüge; wer hingegen die Wahrheit sagte, wurde eliminiert.
  • Heute ist die Lüge sublimer.
    • Ökonomisch ist es ja nicht nur VW mit seinen Abgaswerten. Die wurden jetzt erwischt. Vielmehr basiert fast die ganze Konsumwerbung auf Lüge. Manchmal wird dreist und offen behauptet, manchmal sublim durch Bild und Ton suggeriert, wir würden Liebe, Freundschaft, Glück oder Gemeinschaft finden, wenn wir nur dies oder jenes kaufen. Oder es wird behauptet wir würden schäppchenmäßig Geld sparen, wenn wir doch nur Geld ausgeben. Und so weiter.
    • Politisch ist sind es die Rattenfänger, die verantworteten Journalismus als Lügenpresse verunglimpfen, um dreist hetzerische Leerformeln als Lösung zu präsentieren - Islamisten unterscheiden sich da nicht von denen, die Gewalt gegen Flüchtlinge schüren. Und da sind die, die sich als Schutzmacht gegen den Terrorismus gerieren und zugleich die Waffen und das Geld an die daran interessierten Regime liefern.
    • Und selbst privat kennen viele von uns leidvoll die Macht der Lüge, wenn in der Familie, in Organisatoren oder auch in der Kirche Menschen die von ihnen als solche definierte Wahrheit benutzen, um Macht auszuüben und Abhängigkeiten zu schaffen. -

Reiht sich Jesus hier nur ein?

2. Identität

  • Pilatus fragt Jesus nach seiner Identität als "König der Juden". Wer wessen König ist, deckt Jesus mit seiner Gegenfrage auf: "Sagst du das von dir aus, oder haben es dir andere über mich gesagt?" Diese Frage würde auch mich kalt erwischen: Sage ich das, tue ich das, denke ich das von mir aus, oder verstecke ich mich letztlich nur hinter anderen?
  • Die Frage ist nicht rhetorisch gemeint. Zu den großen Ideologien gehört ja der Aberglaube, wertvoll sei nur das, was ganz von mir selbst kommt, wo ich 'authentisch' bin, was zu mir 'passt' und nicht von anderen vorgeschrieben sei. Jeder Mensch müsse sich, seine Kultur, sein Denken, ja sogar seine geschlechtliche Identität frei selbst entwerfen und verwirklichen.
    Das ist nicht nur deswegen Ideologie, weil es die dahinter steckenden machtvollen Interessen verbirgt. Es verdunkelt vor allem, was der Mensch nicht nur ausweislich der Bibel, sondern auch ausweislich der Kultur- und Sozialwissenschaft ist: Person, die sich aus Beziehungen entwirft, die diese im Spiel von Nachahmung und Variation neu gestaltet, die nur Sprache hat, weil sie Sprache lernt und sich aneignet, und so weiter. "Sagst du das von dir aus?" Wer diese Frage naiv nur bejaht, macht sich etwas vor.
  • Der kritische Punkt ist vielmehr ein anderer: Bei der Variante "... haben es dir andere über mich gesagt?" verschwindet die Frage nach der Wahrheit hinter dem Interesse und der Berechnung. Wenn Menschen die Wahrheit verbiegen, je nachdem ob sie nützt, beginnt Gewalt.
    • Das kennen Eltern, die meinen sie könnten sich gegenüber ihren Kindern herausreden.
    • Das kennen Gruppen, in denen es mit Ausschluss bestraft wird, die Wahrheit zu sagen.
    • Das kennen wir in der Kirche, wenn die Wahrheit des Glaubens - es gibt sie, und zwar dort wo sie gelebt wird! - zur toten Verfügungsmasse von Klerikern, Gruppen oder so genannten geistlichen Bewegungen wird.
    • Das kennen wir nicht zuletzt von denen, die unter Berufung auf angebliche Wahrheiten sich legitimiert fühlen, andere mit öffentlich inszeniertem Hass, Terror und Gewalt zu überziehen.

3. Hören

  • Wir hören das Evangelium mit den Ohren unserer Zeit und unter dem Vorzeichen des heutigen Sonntags, dem Sonntag Christkönig. Jesus nimmt für sich eine Rolle in Anspruch. Er sagt von sich, er sei "ein König." Und weiter sagt er: "Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme".
  • Sein Königtum, in dem sich die Weise offenbart, wie Gottes Königreich wirksam werden will, basiert auf einem Hören auf seine Stimme. Jesus spricht diese Worte, als er erniedrigt und verraten vor dem Repräsentanten des Kaisers steht. Wir können uns gar nicht mehr vorstellen, wie sehr das Schandmal des Kreuzes dazu gedacht und wohl oft auch geeignet war, die Stimme eines Menschen über das Grab hinaus zum Verstummen zu bringen.
    Jesus identifiziert also diejenigen, die auf Gott hören, als diejenigen, die absolut keinen Grund - keine Interessen - dazu haben. Unter dem Kreuz herrscht Leere. Nur wer sich entschließt, hier dennoch hinzuschauen, zuzuhören, aufmerksam zu bleiben, der ist im Sinne Jesu "aus der Wahrheit" und "hört auf meine Stimme". Das ist der unaufgebbare Zusammenhang von Wahrheit und Barmherzigkeit.
  • Als Kirche müssen wir im Grunde hinter die Erfahrung einer Gemeinschaft der Glaubenden zurück, um aus der Einsamkeit des unter dem Kreuz Glaubenden frei zu werden für die Wahrheit.
    Paradoxer Weise vermag gerade die Unansehnlichkeit der Kirche, das Versagen der Institutionen ebenso wie die Tatsache, dass die Kirche immer nur eine Gemeinschaft der Sünder ist, den Blick für den heiligen und wahren Grund unserer Gemeinschaft offen zu legen: Das Hören auf die Stimme des Königs, dessen Wahrheit so anders ist als die der Könige dieser Welt, weil sie zum Hören auf jene führt, die der Liebe bedürfen und die unsere Interessen nicht befriedigen können. Nur so ist Christus König. Amen.