Predigt zum Dreifaltigkeits-Sonntag im Lesejahr A 2002
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26. Mai 2002 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt/Main
1. Gespalten in Rollen
- "Als Priester muss Du das ja sagen. Aber was meinst Du wirklich?" - Keineswegs selten werde ich das gefragt. Ganz
selbstverständlich scheint, dass wir Menschen in verschiedene Rollen gespalten sind. Glücklich schätzt sich, wer nur zwei
Rollen zu spielen hat, beruflich und privat.
- Das Zusammenleben von Menschen in komplexen Gesellschaften scheint es zu erfordern, dass wir Rollen spielen, hier so
sprechen, dort anders. Am Parlamentspult wird gestritten, in der Bundestagskantine friedlich ein Bier zusammen
getrunken. Daheim der treue Ehemann, im Freundeskreis der Draufgänger. Gegenüber Vorgesetzten devot, gegenüber
Untergebenen despotisch. Montags bis Freitags diszipliniert an der Uni, von Freitag Abend an die Nacht zum Tage
gemacht. Und so weiter. So selbstverständlich die Notwendigkeit scheint, so wenig erfüllt sich darin ein Ideal. Ideal wäre
doch, ganz ich selbst zu sein, die Mosaiksteine meiner schillernden Silhouette zu einem stimmigen Ganzen
zusammenzufügen.
[Manchen gelingt dies gar nicht mehr. Zu hause der fleißige Schüler, auf der Schule gescheitert, wird die eigene Identität
hinter der Maske verborgen und die Welt verneint, die so grausam zerreißt.]
- Wir Menschen sind als offene Menschen in die Welt geschleudert. Unsere biologische Existenz wird durch unsere Haut
zusammen gehalten; nur mehr oder weniger Haare sprießen daraus hervor. Unsere Existenz als Mensch hingegen ist
prinzipiell ohne natürliche Grenze. Das gebiert das Risiko, sich in der Vielfalt zu verlieren. Das nährt die Sehnsucht nach
der Einheit im Vielen.
2. In drei eins
- Am Sonntag nach Pfingsten feiert die Kirche das Fest der Heiligen Dreifaltigkeit. In "drei Personen", so drückt es die
Tradition aus, sei Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Diese Rede ist für viele bestenfalls bedeutungslos, schlimmstenfalls wird damit die vage Vorstellung von drei Göttern
verbunden, die sich halt nur gut miteinander arrangiert haben.
Aber es ist doch ein Gott, an den wir glauben. Wie und warum dann dreifaltig?
- Dreifaltigkeit ist der - wie immer tastende - Versuch, die Erfahrung des Evangeliums ins Wort zu heben.
Jesus von Nazareth ist Jude und verkündet den Gott, von dem die Heiligen Schriften des Ersten Bundes bezeugen, dass
er der eine Schöpfer des Himmels und der Erde ist, kein Gott neben ihm. Kein Jota verrückt Jesus an diesem Bekenntnis.
Und dennoch spricht Jesus in der Autorität dieses Gottes. Und dennoch sagt Jesus von sich, er und der Vater seien eins.
Und dennoch wird Jesus hingerichtet wegen eines Vorwurfs, der nicht aus der Luft gegriffen war: Er habe sich selbst zu
Gott gemacht.
Und zugleich spricht Jesus von Gott, dem Vater, als dem Anderen. Jesus betet zu Gott, ja ringt mit Gott im Gebet. Jesus
lebt als Mensch unter Menschen, dem gnädigen und barmherzigen Gott im Gegenüber.
- Nochmals die gleiche Erfahrung macht die Kirche vom Heiligen Geist. Der Geist, der sie ergreift, lässt sie die volle
Gegenwart Gottes erfahren. Gottes Kraft spricht aus diesem Geist. Wie schon in manchen Erfahrungen des Ersten
Testamentes spricht Gott in seinem Geist sich selber aus, wirkt und handelt Gott selbst. Und dennoch spricht Jesus vom
Heiligen Geist als von dem anderen Beistand, den der Vater uns sendet. Der Geist betet in uns, den Getauften, spricht zu
Gott, dem Anderen.
3. Im dreifaltigen Gott leben
- Von der Erschaffung der Welt und des Menschen an, verströmt sich Gott in der Vielfalt. Die Offenheit und
Unabgeschlossenheit von uns Menschen ist Gottes dynamischer Lebensatem in uns. Nach Gottes Antlitz sind wir
geschaffen, mit einer Seele integral, und dennoch nicht begrenzt und nicht beschränkt auf eine einzige Existenzweise und
nicht festgelegt auf einen alternativlosen Pfad.
Um als Menschen an dieser Offenheit nicht zu zerbrechen, sollten wir nicht versuchen, uns in eine imaginierte Welt
hineinzuträumen. Solcher Romantizismus endet im Totalitären. Gott hat sich in der Heilsgeschichte, die die Bibel
bezeugt, offenbart als Beziehung. Nicht kalte, ewige Einheit ist Gottes Wesen, sondern Beziehung und Liebe. Das "Du",
das Jesus zum Vater spricht, öffnet die Seite des einen Gottes, um uns hineinzunehmen in diese Beziehung. Darin liegt
neben der Liebe die Wahrheit Gottes. In Treue steht Gott zu dem Geschöpf, dem er sich öffnet.
- Keiner von uns ist Gott, und keiner von uns ist dreifaltig. Aber jeder von uns ist vielfältig offen. Dass wir nicht in unseren
Rollen uns schizophren verlieren, dass wir nicht in der Versuchung gezwungener Einheit erstarren, dazu hat Gott sich als
Liebe und als treu erwiesen.
- Ich bin - nicht nur als Priester, sondern als der eine, der ich bin - überzeugt, dass es ist mir als Mensch möglich ist, in der
Vielfalt meiner Existenz zu leben und mir dennoch treu zu sein, wenn ich mich dem dreifaltig einen Gott öffne, dieses
Geheimnis immer wieder zum Bezugspunkt meines Lebens mache und auf diesen Gott hin lebe: Dankbar dem Gott, der
mich geschaffen hat, zum Menschen werde mit dem Gott, der unter uns Mensch geworden ist und mich erfüllen lasse von
dem Geist, der Gottes Aufbruch ist. Amen.