Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Dreifaltigkeits-Sonntag im Lesejahr C 2010

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30. Mai 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Staunen

  • Vier Texte aus der Bibel sind für jeden Sonntag vorgesehen. Eine erste Lesung aus dem Alten Testament (oder in der Osterzeit aus der Apostelgeschichte), eine zweite Lesung aus dem Neuen Testament und einen Abschnitt aus einem der vier Evangelien, heute nach Johannes. Dazu aber gehört jeweils ein Psalm (oder ein Ausschnitt daraus), also aus der großen Sammlung der 150 Psalmen, dem Gebetbuch Israels und daher auch dem Gebetbuch Jesu. Heute ist dies der Psalm 8. Wir haben ihn in der Form des Liedes gebetet, das Wilhelm Vjscher 1944 gedichtet hat (Evangelisches Gesangbuch 271).
  • Für mich ist dies der Psalm des Staunens: "JHWH, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde; über den Himmel breitest du deine Hoheit aus." - oder in der Fassung des Liedes: "Wie herrlich gibst du, Herr, dich zu erkennen, schufst alles deinen Namen uns zu nennen." Da betet einer im Blick auf die Schöpfung und staunt über die Natur, in der er den Schöpfer erkennt, der uns seinen Namen geoffenbart hat: JHWH, "Ich bin da".
  • Der Fortschritt der Naturwissenschaften erhöht bei mir nur das Staunen. Das Wissen um die Gesetzmäßigkeiten der Physik, nach denen das Weltall geworden ist, die Vielfalt der Arten, die sich in der Evolution entwickelt haben und nicht zuletzt das immer tiefere Verstehen, wie all diese Entwicklungen dazu beigetragen haben, dass wir Menschen sind, wie wir sind - all das lässt staunen und lässt die Größe Gottes ahnen, der alles, was ist, in's Dasein ruft. Wenn wir etwa heute durch farbgebende Verfahren der Aktivität des Gehirnes zuschauen können, dann entzaubert das nicht die Schöpfung, im Gegenteil. Denn auch die höchsten Leistungen des menschlichen Gehirns, selbst wenn Menschen, wie es letzte Woche gemeldet wurde, in der Lage sind organisches Leben in Form von Bakterien "herzustellen", dann ist es doch Gott, dem wir die Bausteine und die Werkzeuge und vor allem auch den menschlichen Verstand verdanken. Kein Naturforscher hat sich selbst gemacht, keine Welt sich selbst geschaffen. Es bleibt aber das Staunen.

2. Der Mensch

  • Das Staunen über den Menschen steht denn auch im Mittelpunkt von Psalm 8: "Du hast den Menschen nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt." Dabei hatte der Mensch damals nach heutigem Maßstab noch nicht einen Bruchteil seiner Fähigkeiten ausgeschöpft und nicht einen Bruchteil der Erkenntnis, die wir heute haben (können). Trotzdem dankt das Gebet von Psalm 8 begeistert darüber, wie Gott den Menschen geschaffen hat.
  • Uns fällt es jedoch schwer, da mitzugehen. Für das Lied von 1944 gilt das noch mehr. In der 6. Strophe seufzt Vjscher: "Doch ach, der Mensch ist von den Wesen allen / am tiefsten in die Schuld und Schand gefallen. / Statt Herr ist er der Sklave der Natur; / nach seiner Freiheit seufzt die Kreatur."Auch zu den Zeiten, in denen Psalm 8 gedichtet wurde, wusste man sehr wohl um das Unrecht, das Menschen anrichten können. Man hätte aber nicht geahnt, zu welcher Grausamkeit und Perfektion im Bösen sich Menschen im 20. Jahrhundert fähig gezeigt haben. Nicht mehr Krone der Schöpfung ist der Mensch da. Vielmehr hat er sich der Schöpfung bemächtigt und alles zu seinem Objekt erklärt, das er nach den neuesten Erkenntnissen seiner Wissenschaft perfektionieren und umgestalten könne. Mensch und Tier wurden dabei zum Opfer eines erbarmungslosen Fortschritts der Rasse, der Klasse oder eines enthemmten wirtschaftlichen Fortschritts.
  • Aus dieser Zwiespältigkeit kommen wir nicht mehr heraus. Ich kann staunen und Gott loben, dass er uns die Fähigkeit gegeben hat, all das zu bauen und zu machen, was uns heute wie selbstverständlich umgibt. Ich sehe aber auch die Opfer dieses Fortschritts. Ich kann staunen über die Wissenschaft, die Gene identifiziert und neue Pflanzen schafft oder gar lebende Bakterien künstlich herstellen kann. Über all das kann ich staunen. Ich kann darüber aber auch erschrecken, weil ich weiß, dass eine Ideologie alles überschattet, nach der die Schöpfung zum Objekt des Gestaltungswillens des Menschen unterworfen sei.

3. Dreifaltiger Gott

  • Mir klingt vor allem der Satz aus dem Psalm nach, Gott habe den Menschen " nur wenig geringer gemacht als Gott" selbst. Offensichtlich ist es für den Psalmbeter wichtig, den Unterschied festzuhalten. Er weiß, dass die Sünde Adams (des "Mensch") darin besteht, dass er sein will wie Gott. Paradoxer Weise bewegt mich das aber, weil Jesus in seinem Evangelium genau dazu einlädt: Sein wie Gott. Allerdings offenbart uns das Leben Jesu auch, wie Gott ist und was es bedeutet, den Weg Gottes selbst zu gehen.
  • Christen taufen auf den dreifaltigen Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Das ist keine beliebige Zutat, sondern Kern und Zentrum unseres Glaubens. Denn dieser Satz bedeutet doch: Gott, wie er in Jesus Christus erschienen ist, Gott, der Ursprung und allmächtige Grund der ganzen Schöpfung, und Gott, den wir in unserem Beten und Tun als gegenwärtig erfahren können: Sohn, Vater und Heiliger Geist sind nicht drei Verschiedene sondern eins. In Jesus sehen wir, wie Gott selbst ist, und dieser selbe Gott wirkt unter uns, wo wir uns taufen und dann von diesem Geist führen lassen. Dieser Gott löst sich nicht in drei Subjekte auf, wo jeder für sich ist. Jede - wie wir es in der Tradition der Kirche sagen - der drei "Personen" in Gott lebt vielmehr ganz in der Beziehung zum anderen. Gott ist also in sich Beziehung und Liebe. "Meine Speise", sagt Jesus einmal, "ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat " (Joh 4,34). Und so ist es - frei gesprochen - die "Speise" des Vaters, uns im Sohn seine Liebe zu schenken. Und vom Heiligen Geist sagt Jesus im heutigen Evangelienabschnitt, dass Gott-Heiliger Geist ihn "verherrlichen" wird: "denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden. Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt:" Der Heilige Geist "nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden."
  • Dies ist Gott: Ganz aus dem Anderen zu leben und ganz für den anderen da sein. Und dies ist der Heilige Geist: Er lässt uns erfahren, wie Gott ist. Mehr noch: Wir haben in diesem Glauben und in diesem Heiligen Geist die Fähigkeit, die Grenzen unserer eigenen Welt und unserer begrenzten Interessen zu überspringen und - wie Gott - für einander da zu sein. Als Mensch sind wir Gott ähnlich, wo wir "Mensch für andere" (Pedro Arrupe SJ) sind. Wenn ich das in einem Menschen entdecke, dann komme ich ins Staunen. Wenn ich jemand erlebe, dessen Lebensfrage es ist, was es für ihn bedeutet, anderen zu dienen, dann staune ich über die Größe des Menschen, in dem Gott selbst aufscheint. "JHWH, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!" Amen.