Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest der hl. Familie (Lesejahr B) 2014

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28. Dezember 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Familienskeptische Katholiken

  • Als vor etwa hundert Jahren in der Katholischen Kirche das Fest der Heiligen Familie eingeführt wurde, hätte man sagen können: ausgerechnet die Katholiken! Denn während die Protestanten seit der frühen Neuzeit bereits ein Familienideal pflegten - Luthers Haushalt war das Vorbild -, hatte sich die Katholische Kirche eigentlich über die Jahrhunderte bis dahin eine Skepsis gegenüber dem Ideal der Familie bewahrt. Klösterliche Gemeinschaften, Gott geweihte Jungfrauen, zölibatäre Priester, das ist typisch katholisch und alles eher ein Gegenmodell zur herkömmlichen Familie.
  • Daran ist Jesus schuld. Er verführte die Leute dazu, Gott ihren Vater zu nennen, was nicht alle irdischen Väter lustig fanden (Mt 23,9: "Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel.").
    Jesus lebte nicht nur selbst abseits seiner Familie, sondern brachte auch andere dazu, ihre Familien zu verlassen und einander "Schwester" und "Bruder" zu nennen, abseits aller Blutsverwandtschaft. Auf diesem Boden ist der gefährliche Grundsatz genährt worden: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen" (Apg 5,29).
  • Damit hat sich die junge Kirche vom Mainstream des Judentums abgesetzt. Wir haben als Beispiel die Lesung aus dem späten Buch Jesus Sirach des Alten Testamentes gehört. Hier ist eine Hochachtung der Familie selbstverständlich, allerdings auch ganz nüchtern gesehen im Blick auf die Verantwortung der (erwachsenen) Kinder, sich um ihre alt und schwach gewordenen Eltern zu kümmern, damit diese nicht verhungerten. Im Blick auf die Christen war man sich nicht so sicher, ob die in ihrer familienskeptischen Bewegung diese Pflichten noch im Auge hätten.
    Überhaupt galten in der ganzen antiken Kultur die Christen als gefährliche Sekte, die die Menschen ihrer Familie entfremdeten und - horribile dictu - die Familienväter ihrer Rechte auf die Arbeitskraft der Söhne und auf die Entscheidung über die Hochzeit der Tochter beraubte.

2. Familienmoral mit Einschränkungen

  • Deswegen gibt es in den Paulusbriefen Ermahnungen an die Familien. Die Christen hatten genug mit Anfeindungen und Missverständnissen zu kämpfen. Sie hatten ja nichts gegen respektvollen und liebevollen Umgang miteinander auch in der Familie. Aber es stand für sie nicht an erster Stelle - und dort wo die Familie mehr einer Mafia oder einer väterlichen Tyrannei gleicht, ist für Christen eigentlich klar, dass die Familie nicht der höchste Wert ist.
  • Wer sich heute an solchen Formulierungen stört, der sollte um den genannten Hintergrund wissen: "Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, wie es sich im Herrn geziemt. Ihr Männer, liebt eure Frauen, und seid nicht aufgebracht gegen sie! Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern..., ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein." Ja, das steht da im Kolosserbrief. Aber es steht da gleichsam als Nachtrag zu den eigentlichen christlichen Tugenden: "Aufrichtiges Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld", einander vergeben und in allem dankbar sein.
  • Dann erst folgt als Nachtrag, dass auch Christen angehalten sind, einander in der Familie in den Rollen, die ihnen gesellschaftlich zugewiesen sind, zu respektieren. Das allerdings immer nur in den Grenzen, die aus dem Glauben rühren: "Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, wie es sich im Herrn geziemt", ist eine Einschränkung: Jeder weiß, dass bei den Christen die Frauen eine unerhört starke Stellung haben - und damit im Widerspruch zur antiken Gesellschaftsordnung stehen. Also heißt es: soweit und insofern es "im Herrn" möglich ist, sollen Frauen diese Ordnung respektieren. Mehr aber auch nicht.

3. Wende in gewendeten Zeiten

  • Wenn im 19. Jahrhundert in der Katholischen Kirche sich die Wertschätzung der Familie ändert, dann hat das damit zu tun, dass die Situation der Familien sich geändert hat. Aus der den Menschen beherrschenden Institution wird eine gefährdete Lebensform. Die industrielle Moderne, die die Menschen vereinzelt, um sie besser wirtschaftlich nutzbar zu machen, hat vor allem die Familienstrukturen völlig verändert. Das erklärt, warum Katholiken auf die Idee kommen konnten, ein Fest der Heiligen Familie einzuführen.
    Ob das den Zeitgenossen so bewusst war, weiß ich nicht. Es kann sein, dass die Kirche einfach nur das richtige Gespür für die drängenden Fragen der Zeit hatte und deswegen dieses an der Basis entstandene Fest in den 1920er Jahren vom Papst für die ganze Kirche eingeführt wurde.
  • Wir sind mittlerweile einige Modernisierungsschübe weiter. Gerade in den letzten Jahren hat sich eine mächtige gesellschaftliche Bewegung als Spätfolge der 68er-Bewegung quer durch alle gesellschaftlichen Institutionen stark gemacht, der es längst nicht mehr nur um eine Emanzipation der Frau, sondern letztlich oft um eine Emanzipation des Menschen von allen Bindungen überhaupt geht, seien diese durch das natürliche Geschlecht eines Menschen, seien sie durch die Familie bedingt (in diesen Kontext gehört letztlich auch das Gender-Mainstreaming).
    Es gibt ein berechtigtes Anliegen hinter der Gender-Diskussion; gerade in kirchlichen Kreisen ist vielen nicht bewusst, wie stark unsere Vorstellung davon, was es bedeutet Mann oder Frau zu sein von zeitbedingten Vorstellungen geprägt ist - immer zum Nachteil derer, die diesen Vorstellungen nicht entsprechen. Aber wir wären naiv, wenn wir nicht sehen würden, dass es auch eine Strategie gibt, das nachvollziehbare Anliegen als Hebel zu nehmen, um nicht zuletzt der Konzeption der Familie den Garaus zu machen.
  • Deswegen schäme ich mich nicht sonderlich für die altbacken klingenden Ermahnungen aus den Paulusbriefen. Sie erklären sich aus ihrer Zeit und haben dadurch ihre Bedingtheit, aber auch ihr Recht. Ich mache mir aber Sorgen darum, dass wir als Kirche heute anderes bräuchten als Ermahnungen.
    Papst Franziskus hat das Thema Familie deswegen zu einem Schwerpunkt seines Pontifikates gemacht, weil wir als Kirche geistlich viel zu wenig tun, um Menschen zu helfen, als Partner und Familien in treuer Liebe ihren Weg zu gehen. Das ist das Thema, das uns begleiten wird, wenn die Bischofssynode in Rom im Herbst in die zweite Runde gehen wird. Das ist aber auch für uns am Kleinen Michel in Hamburg ein Thema, wo so viele Paare mit ihrer Hochzeit in die Ehe starten, und von uns so wenig spirituelle echte Hilfe bekommen, diese Berufung zu leben. Da bleibt noch viel zu tun. Amen.