Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest der hl. Familie (Lesejahr C) 201

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26. Dezember 2021 - St. Georg, Sinzig Löhndorf

1.

  • Weihnachten ist die Zeit der Geselligkeit. Viele Menschen sind an Heiligabend und Weihnachten allein. Das ist schade, aber nicht wirklich gefährlich.
  • Denn andere sind an Weihnachten mit ihrer Familie zusammen. Wenn es gut geht, sind sie genug beschäftigt mit Essen und Auspacken von Geschenken. Danach aber droht das Gespräch. Glücklich, wer das hohe Alter vorschieben kann und schon einmal ins Bett geht. Andere rettet das Fernsehprogramm. Denn worüber sollen wir miteinander sprechen?
  • Wenn man nicht gemeinsam über den Bundeskanzler, den Bischof oder den Papst und die Kirche im Allgemeinen schimpfen kann, bleiben vielleicht nur die Nachbarn. So haben schon manche Kriege angefangen. Deswegen behelfen sich Familien gerne damit, dass sie Anekdoten aus der Familiengeschichte erzählen. Weihnachten in der Familie eben.

2.

  • Als Christen begonnen haben, ihre frohe Botschaft von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, zu erzählen, durch den Gott den Menschen nah gekommen ist, da haben sie das verkündet, was für alle sichtbar öffentlich geschehen war. Deswegen beginnt auch das Markusevangelium mit der Taufe Jesu am Jordan: Ein erwachsener Mann tritt auf und verkündet, das Himmelreich ist nahe.
  • Es waren erst etwas später die Fassungen von Matthäus und Lukas, als das Evangelium eine Vorgeschichte bekommen hat.
    Für Matthäus war es der Versuch, das große Thema einzuleiten mit einer symbolischen Geschichte, die Jesus eng mit seinem Volk Israel verbindet. Zugleich hat er das großartige Bild geschaffen, dass die Weisheit der Welt in Gestalt der Magier aus den Osten zur Krippe kommt, um hier dem neuen König zu huldigen, den das Evangelium als König der Welt verkündigen wird. Das sind wunderbare Bilder, aber immer schon erkennbar auch nur symbolische Erzählungen. Bitte verraten sie das nicht den Kölnern, die denken es wären drei Könige gewesen und ihre Gebeine lägen im Kölner Dom.
  • Auch Lukas in seinem Evangelium benutzt die Vorgeschichte, um viele Verbindungen zur Geschichte Israels und im Alten Testament herzustellen. Zugleich aber möchte ich nicht ausschließen, dass gerade im Lukasevangelium die eine oder andere Familienanekdote eingeflossen ist, die Maria erzählt hat.
    Ob man gerne in der Familie erzählt, wenn eine Geburt unter erbärmlichen Umständen stattgefunden hat? Spricht man gerne davon, dass in der Herberge kein Platz für sie war? Oder eignet sich das zum Ruhm der Familie zu erzählen, das dreckige Hirten vom Feld die ersten und vielleicht einzigen waren, die die große Geburt zur Kenntnis genommen haben?
  • Eine Familie, die solche Anekdoten erzählt, hat offensichtlich ein Gespür bereits entwickelt für das, was Jesus in seinem Leben gelebt und verkündigt hat. Das erzählt nur eine Familie, die in der geistlichen Welt Israels und des Alten Testamentes zu Hause ist: Gott nicht in den Palästen, sondern ein Freund der Armen. Singen Sie einmal das Magnificat, in dem Lukas die Geisteshaltung Marias zusammenfasst, und Sie merken den Geist dieser Familie. Das ist tief jüdisch und entspricht der Botschaft des Christus - und kann an Weihnachten erzählt werden. Soweit so gut.

3.

  • Dann aber erzählt Maria noch eine andere Geschichte. Es war 12 Jahre später. Nach damaligem Verständnis ist das das Alter, in dem Jungs zu Männern werden und eigentlich erwachsen sind. Heute freut man sich ja, wenn Männer vor der Pensionierung erwachsen werden. Damals war es mit 12.
  • Maria erzählt von der Wallfahrt, zu der sie gemeinsam mit dem halben Dorf und der ganzen Familie in Jerusalem waren. Jesus war einer von vielen. Wie gute Eltern, so haben auch Josef und Maria sich nicht dauernd um Jesus gekümmert, sondern schon darauf vertraut, dass er irgendwo ist. Keine Helikopter-Eltern, die dauernd in Sorge leben, und ihren Kindern das Leben dadurch vermiesen. – Aber diesmal ist Jesus nicht irgendwo, wo sie ihn erwartet haben, bei den Freunden oder Verwandten. Tagelang suchen sie ihn, nachdem sie zurückgegangen sind nach Jerusalem.
    Die Gefühle bei Maria dürften irgendwo zwischen Sorge, Verzweiflung und richtig dicker Wut gelegen haben. Das spürt man selbst noch in der zurückhaltenden Formulierung, wie sie heute im Lukasevangelium steht. Als sie Jesus endlich finden, wie er munter im Tempel sitzt und mit den Theologen dort Diskussionen führt, bricht es aus Maria heraus: Kind, wie konntest du uns das antun?
    Wäre Jesus katholisch gewesen, hätte er geantwortet: „Gegrüßet seist du Maria voll der Gnade“. War er aber nicht.
  • An dieser Stelle, so denke ich mir, ist die Stimmung in der Heiligen Familie, wenn sie an Weihnachten abends zusammen sitzt und diese Anekdote erzählt, etwas zwiespältig. Denn ein gutes Vorbild gibt der zwölfjährige Jesus erst mal nicht ab. Auch wenn irgendwo klar ist, dass Josef nicht sein leiblicher Vater ist, so sollte er doch wenigstens auf seine Mutter hören. Aber leider scheint schon bei diesem Knaben durch, was später typisch werden sollte für Jesus. Reihenweise hat er Menschen aufgefordert, Vater und Mutter zu verlassen und ihm nachzufolgen. Nur Gott im Himmel sollen sie ihren Vater nennen. Später werden Christen selbst den Statthalter des Kaisers ins Angesicht sagen: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Und das schon hier beim Zwölfjährigen im Tempel, der seiner Mutter frech ins Angesicht sagt: Wusstet ihr nicht dass ich im Haus meines Vaters sein muss?
  • Zur Beruhigung aller Eltern künftiger Generationen notiert Lukas, dass Jesus anschließend mit nach Nazareth gegangen ist und sich in die Familie eingefügt hat. Aber eben erst, nachdem er deutlich gemacht hat, wo die Glocken hängen, wer einzig sein Vater ist. Erst dort, wo die Familie gemeinsam immer wieder nach dem Willen Gottes fragt und lieber die Armut im Stall wählt, als egoistisch das Wohl der Familie über alles zustellen, erst dort ist die heilige Familie.
  • Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Familienkreisen von Jesus in Nazareth leicht gewesen war, diese Anekdote zu erzählen. Vielleicht ist mancher Streit an heiligen Abenden darüber entstanden. Vielleicht sind es aber auch diese Anekdoten, die später, einige Zeit später, auch eine ganze Reihe Mitglieder der Familie von Jesus zum Glauben geführt haben: Wahrhaftig, er ist Gottes Sohn, Gott für uns, geboren in Armut, um den Armen eine frohe Botschaft zu bringen. Amen.