Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zur Hochzeit - Gott entdecken und lieben

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28. Mai 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Eine Falle oder ein hilfreicher Hinweis

  • Benjamin hat freundlich und dankbar zustimmend gelächelt, als Nataly sagte, welches Evangelium sie für ihre Hochzeit ausgewählt haben. Mit "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" kann man vermutlich nichts falsch machen, wird Nataly sich gedacht haben, und Benjamin war dankbar, dass er nicht entscheiden musste.
  • Dabei fängt der Abschnitt aus dem Matthäusevangelium, den sie ausgesucht haben, mit einem Hinweis an, der hätte stutzen machen können. Von dem Gesetzeslehrer und Pharisäer, der Jesus die Frage nach dem Großen Gebot stellt, heißt es, er "wollte Jesus auf die Probe stellen". Das griechische Wort kann man aber auch übersetzen: Er wollte Jesus in Versuchung führen, oder: Er wollte Jesus eine Falle stellen. Es könnte also sein, dass hinter dieser ungefährlich aussehenden Frage doch etwas Spannendes lauert: Was ist eigentlich das Wichtigste, das wirklich Große und Tragende im Leben, das, was Gott uns als Fundament gegeben hat? Ist das "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" nicht so selbstverständlich, dass jeder darauf kommen müsste?
  • Was Nataly nicht ahnt, ist was Martin Luther dazu sagt - und Benjamin ist ja Lutheraner. Luther sagt: Die Selbstliebe sei die Wurzel allen Übels, sie sei die "sündige Liebe" (Luther-Vorlesung zu Röm 15,2). Um diese Selbstsucht zu heilen, gebe Gott das Gebot, wir sollten den Nächsten lieben, wie wir in uns verkrümmte Menschen uns selbst lieben.
    Das klingt nun auf einmal nicht mehr nett und selbstverständlich: in sich verkrümmte Selbstliebe! So habe ich weder Benjamin noch Nataly kennen gelernt. Ihr beide, die Ihr Euch besser kennt, würde das wahrscheinlich auch nicht einander vorwerfen, bei aller Freundschaft zu Luther. Als Katholik würde ich ja auch nicht so ganz zustimmen. Aber vielleicht steckt da doch ein Gedanke drin, ein Satz, den jeder von Euch still für sich manchmal sagen würde: Ohne Dich, Nataly, ohne Dich Benjamin, bin ich in mich verkrümmt und vereinsamt. Lass die Liebe zu Dir ein Heilmittel sein, das mich aus der Verkrümmung befreit und ganz macht. Nun vielleicht wäre das übertrieben und würde den andern auch überfordern. Aber es reicht ja auch: Mir geht es gut, wenn Du zu mir hältst!

2. Gott entdecken und lieben

  • Es ist aber auch erst der Nachsatz, der von der Selbst- und Nächstenliebe handelt. Zuvor antwortet Jesus: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken." Der Pharisäer hatte gefragt nach dem "Gebot im Gesetz". Das klingt nach Müssen und Sollen und Pflicht. Aber Jesus antwortet ganz in jüdischer Tradition: "Das wichtigste und erste Gebot" ist nicht Pflicht sondern Geschenk: Liebe.
    Gebote handeln davon: Was du tun musst. Die Antwort Gottes ist: Wie du leben kannst, "mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken".
  • Man stelle sich vor: Benjamin hätte jeden Tag im Herzen, in der Seele und in den Gedanken, dass er nur ja nichts falsch machen dürfe, damit ihm Nataly nicht zum Ende des Tages mit der Bratpfanne eine strenge Strafe zukommen lässt.
    Sollte er aber erkennbar freiwillig und gerne Nataly sein Ja-Wort geben, dann ist die Bedeutung vielleicht doch: Ich will dich lieben "mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken", weil es ein großes Geschenk ist, dich an meiner Seite zu wissen, weil du nun zu mir gehörst und ich zu dir und es wunderbar ist, wenn meine Gedanken bei dir sind.
  • In diesem Sinn aber haben die Großen der christlichen Tradition, nicht zuletzt der Heilige Bernhard, Co-Patron des Kleinen Michel, dies verstanden: Aus dem Gebot wird ein Geschenk. Gott zu lieben ist reiner Genuss: "Mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit allen Gedanken" genießen, dass Gott uns liebt, uns geschaffen hat, an unserer Seite geht, unverbrüchlich. Psalm 27 sagt ganz unverblümt: " Wenn mich auch Vater und Mutter verlassen, Gott nimmt mich auf." Auch wenn ich die Erfahrung gemacht hätte, dass Vater oder Mutter nicht die Kraft hätten, treu zu sein: Gott kann ich ohne Einschränkung lieben, weil Gott mich treu und ohne Einschränkung liebt.

3. Getragen den Nächsten zu lieben

  • Deswegen stehen die beiden Gebote von Gottesliebe und Nächstenliebe auch nicht irgendwie gleichwertig neben einander: vormittags 3 Stunden Gott lieben, nachmittags 3 Stunden den Nächsten lieben und abends habe ich frei. Die unverbrüchliche Gottesliebe ist vielmehr der Grund von allem und trägt alles.
  • Wer es lernen will, den anderen zu lieben, tut gut daran, mit ihm zusammen zu lernen, aus der Liebe Gottes und der Liebe zu Gott zu leben, denn diese Liebe gibt den Halt in guten und schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit. Erwachsen zu werden bedeutet eben auch zu erfahren, dass aus der unbestimmten und unbewussten Ahnung eines Kindes ein erwachsener Glaube werden kann. Einen Gottesdienst wie diesen heute feiern, sich in die Bibel vertiefen, Stunden still für sich und vor Gott verbringen oder am Sonntag in der großen Gemeinschaft der Kirche Loblieder singen, das sind Übungen, um die Liebe zu entdecken, die alles trägt.
  • Wenn ihr, Nataly und Benjamin, euch heftig und innig lieben wollt, dann beginnt zu üben, heftig und innig miteinander zu beten. Betet nicht erst, wenn euch etwas fehlt und ihr bei Gott eine Beschwerde einzureichen habt. Betet in Dankbarkeit. Spürt wo immer ihr seid, welche Freude es ist, Gottes Gegenwart zu genießen, wenn ihr die Gegenwart des anderen genießt. Erlebt, dass Gott jede Faser an euch liebt, in euch vernarrt ist und nicht loslassen will von seiner Liebe. Gott liebt euch mehr, als jeder von euch sich selbst. Getragen von dieser Erfahrung könnt ihr einander und jeden Menschen, der eure Liebe braucht, lieben wie euch selbst.