Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Karfreitag 2000

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21. April 2000 - Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt Slavgorod (Altai/Sibirien)

1. Unempfindlich

  • Bei vielen Filmen im Fernsehen hat man das Gefühl, dass es ohne die Darstellung von Gewalt nicht abgeht. Aber auch im wirklichen Leben sehen wir Gewalt und Tod, nicht nur am Fernseher. So stumpft mancher ab, lacht krampfhaft über den Schmerz, sieht zu, wie die Kreatur gequält wird, ohne mit einer Wimper zu zucken. - Nicht nur Kinder können ungerührt zuschauen, wie ein Tier leidet und qualvoll stirbt, ohne auch nur einen Gedanken darauf zu verwenden, dass es ein Mitgeschöpf Gottes ist.
  • Andere bevorzugen das Wegschauen. Für den, der die Augen aufmacht, ist das Leid dieser Welt gegenwärtig. [Im Westen bemühen sich die Menschen, Schmerz und Leid wegzusperren, in Isolierstationen, Altersheime, Beratungszentren]. Manches Mal fällt das Wegschauen leichter, weil die, die Leiden keine Kraft mehr haben zu schreien. Das ist das stille Leid und der lautlose Schmerz. So kommt zum Schmerz der Krankheit oder des erlittenen Unrechts noch der Schmerz der Einsamkeit: alle anderen schauen weg.
  • Dagegen steht das Mitleid. Mit leiden, wenn andere leiden. Das ist nicht immer einfach. Das ist sogar nicht immer möglich. Wer als Pfleger oder Ärztin im Krankenhaus arbeitet, muss sogar aufpassen, dass nicht das Mitleid die ganze Arbeit unmöglich macht. Aber dennoch gibt es genug Menschen, denen die gesunde Fähigkeit zum Mitleid fehlt. Sie haben Angst vor dem Leid und verschließen sich daher auch vor dem Leid der anderen. Nach außen sieht das aus wie gelassene Unempfindlichkeit. Im Innneren ist Angst.

2. Am eigenen Leib

  • Mit Jesus steht der Mensch vor Gott. Das meint die Hl. Schrift, wenn sie von ihm als unserem "Hohenpriester" spricht. Zugleich steht mit ihm auch Gott vor uns Menschen und zeigt uns sein Angesicht. "Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat."
    Das Mitleid des Menschen versagt zumeist schon an der Oberfläche: Wir lassen den Schmerz der Schöpfung nicht an uns heran, wir ignorieren die von der Schuld geschlagene Wunde so lange als möglich. Der Gekreuzigte hat diesen Schmerz ertragen. Gottes Mit-Leid geht sogar noch weiter. Der Hebräerbrief hebt hervor, dass Christus nicht nur den Schmerz, sondern auch die Versuchung zur Sünde an sich herangelassen hat. Wir Menschen erliegen der Sünde und meiden den Schmerz. Christus erliegt dem Schmerz und meidet die Sünde.
  • Es ist Gottes Angesicht, das wir in Christus sehen. Wir spüren nur unseren ureigensten Schmerz und versuchen den Schmerz des anderen von uns fern zu halten. Nicht so Gott. Den Schmerz am Leib des anderen spürt Gott an seinem eigenen Leib. Gott lässt nicht einen anderen leiden. "Ich und der Vater sind eins", hatte Christus gesagt. Der Vater leidet im Sohn. Wenn wir sehen, wie einem Menschen neben uns eine Verletzung beigebracht wird, können wir vielerlei Gefühle haben - seinen Schmerz fühlen wir nicht. Mit Gott ist es so, dass der Vater den Schmerz im Fleisch des Sohnes als eigenen Schmerz spürt, und in der Einsamkeit und Verlassenheit des Verurteilten Gott selbst Einsamkeit und Verlassenheit erleidet.
  • Damit hat Gott ein für alle Mal die Schranke niedergerissen, die der Mensch seit dem Sündenfall zwischen sich und Gott aufgerichtet hatte. "Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt...", wird der Weltenrichter sagen. Gott fühlt den Schmerz eines jeden Menschen und erleidet selbt die Armut seiner Kreatur. Das und nur das berechtigt uns, das Kreuz zu zeigen und zu verehren. Weil wir an die Gegenwart Gottes glauben, können wir die Grausamkeit des Kreuzes uns zum Zeichen des Glaubens machen [- statt den geschundenen Corpus des Herrn durch die Harmlosigkeit des Bildes spielender Kinder zu ersetzen, wie das in Deutschland ganz ernsthaft vorgeschlagen wurde].

3. Der Gerechte leidet

  • Dieser Blick auf das Kreuz lässt uns auch die Beantwortung einer Frage ahnen, die den religiösen Menschen schwer erschüttern kann und auch in der Hl. Schrift - etwa im Buch Ijob - oft ein Thema ist. Warum muss der Gerechte leiden? Wenn das Leid Folge der Sünde ist, dann sollte es doch den Ungerechten und nur ihn treffen. Warum leidet der Gerechte, manches Mal so viel mehr als die Verbrecher, die ihn dafür verspotten? Dies kann zu Recht erschüttern. Am Ölberg hat Christus gebetet: "Vater, lass diesen Kelch an mir vorüber gehen!" Das können wir im Angesicht des Schmerzes aus ganzem Herzen mitsprechen. Den zweiten Teil werden wir dagegen immer nur mit Zittern am abgründigen Rande unseres Glaubens sprechen können: "Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe!" Es erfüllt uns schon mit banger Furcht, weil ein Leben Gerechtigkeit vor Leid nicht schützt. Uns ganz in Gottes Hände geben zu können, ist ein unglaubliches Geschenk des Glaubens.
  • Der Gerechte am Kreuz leidet, weil, nicht obwohl er gerecht ist. Denn je mehr ein Mensch aus Gott lebt, desto mehr spürt er das Unrecht der Welt - mehr jedenfalls als der abgestumpfte Ungerechte. Wenn wir nach den Großen Fürbitten auf das Kreuz zugehen werden und es verehren, sollten wir daran denken: das Kreuz öffnet auch uns für das Leid dieser Welt.
  • Das Kreuz öffnet uns für das Leid der Welt, es macht uns fähig zum Mitleid nicht aus eigener Kraft, sondern an der Seite Gottes, der dieses Kreuz getragen hat. Deswegen nur gehen wir auf das Kreuz zu, weil wir ganz der Verheißung Gottes vertrauen, dass im Durchgang durch den Tod das Leben ist. Nicht diejenigen haben das Leben in sich, die sich dem Leid verschließen, sondern die, denen der gekreuzigte Gott ein mitleidiges Herz schenkt. Amen.