Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Palmsonntag im Lesejahr B 2000 (Markus)

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16. April 2000 - Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt Slavgorod (Altai/Sibirien)

1. Teilnehmer und Beobachter

  • Es lohnt sich, das Publikum zu Palmsonntag in Jerusalem näher zu betrachten. Man lernt dabei viel und es könnte sogar sein, dass man dabei sich selber unter den dort versammelten Menschen wiederfindet. Der Einzug Jesu in Jerusalem mag vor 2000 Jahren stattgefunden haben. Seit dem aber Gott in der Welt sichtbar geworden ist, kommen wir Menschen nicht umhin, uns Gott gegenüber zu verhalten: dem Gott der einzieht in die heilige Stadt Jerusalem, der Gott der vor den Richtern und Statthaltern zur Verhandlung steht, der Gott der das Kreuz trägt, an das er geschlagen und an dem er getötet werden soll. Wir treten heute in die letzte Woche des irdischen Lebens Jesu ein und hören die Berichte der Evangelisten. Wir sehen die Menschen in Jerusalem - es könnte sein, dass wir dabei uns selber unter den dort versammelten Menschen wiederfinden.
  • Da sind die Jünger, die schon seit drei Jahren mit Jesus umhergezogen sind. Manches Begeisternde haben sie erlebt. Manches Mal waren auch sie kurz davor, sich mit einem Kopfschütteln von Jesus abzuwenden. Aber sie sind geblieben, die auserwählten Zwölf ebenso wie andere, darunter viele Frauen. Sie ziehen mit Jesus - hinter Jesus - nach Jerusalem ein. Sie sehen ihn auf dem jungen Esel reiten, dem Symbol des Friedensfürsten, hören den Jubel der Menge: "Hosanna dem Sohn Davids!" - und haben Hoffnung, dass nach all den Jahren sich jetzt jeder Zweifel zerstreut und die Hoffnung erfüllt: Jesus ist der Christus und wird in Jerusalem siegreich seine Herrschaft antreten.
  • [Da sind aber auch die Skeptiker. Die gebildeten, weltgewandten Menschen[1], die an keinen Gott glauben und an kein Wunder. Sie sind Beobachter dessen, was sich da abspielt. Irgendwo auf einer Balustrade oder an einem Fenster in sicherer Entfernung stehen sie mit einem zynischen Lächeln im Gesicht. Sie studieren die Masse, beurteilen die Menschen, erheben sich über das, was da geschieht, wie ein Ameisenforscher interessiert aber erhaben sich über den wimmelnden Haufen beugt. Sie werden Jesus nicht zujubeln, ihm wahrscheinlich auch nicht einmal zuhören. Zumindest sind sie sich sicher, dass da nichts Neues geschieht, nichts zu lernen ist, schon gar nicht etwas, dass ihr Leben verändert. Bestenfalls erwarten sie amüsiert den Unterhaltungswert der Ereignisse.]

2. Die Masse

  • Und da sind die vielen Menschen, die Masse, die Jesus zujubelt. "Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt ihm Namen des Herrn!" Diese Menschen sind nicht dumm, sie sind auch nicht böse. Es sind ganz normale Menschen. [Sie gehören nicht zu den Gebildeten, den Weltgewandten, die sich aus allem Jubel heraus halten.] Sie gehören nicht zu Schriftgelehrten und Pharisäern, denen, die schon lange sich Sorgen machen, ob dieser Jesus nicht gefährlich werden könnte. Sie haben gehört, was man sich von Jesus erzählt und zählen eins und eins zusammen. So vieles, was wir aus den Heiligen Schriften wissen, erfüllt sich an diesem. Er heilt Kranke, er verkündet das Reich Gottes, er spricht mit Autorität die Worte der Verheißung. Er reitet auf dem Füllen in die Stadt ein, ganz so wie es für den kommenden Herrscher Israels verheißen ist. Er wird das Reich wieder aufrichten. Er wird die Römer vertreiben. Mit ihm beginnt eine neue, eine bessere Zeit. Wer wollte da nicht einstimmen in den Jubel und den kommenden Herrscher begrüßen, wie es sich gehört: "Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt ihm Namen des Herrn!"
  • Wir haben in der langen Lesung des Markus-Evangeliums gehört, dass diese Stimmung nicht lange vorgehalten hat.
    - Zwar hat auch in Jerusalem Jesus gesprochen, wie einer der mit göttlicher Autorität sprechen kann. Pilatus sagt er offen ins Gesicht: "Du sagst es, ich bin der König der Juden!". Aber Jesus erfüllte die von den Menschen in ihn als König gesetzten Erwartungen nicht. Er setzte sich nicht auf den Thron. Er befreit nicht von der Herrschaft der Römer. Er ergreift nicht die Macht.
    - Zwar hat er vor dem Hohen Rat die atemberaubende Antwort gegeben: "Ja, ich bin der Messias, der Sohn des Hochgelobten!", aber kein göttlicher Blitz fährt vom Himmel, keine Heerscharen von Engeln bekräftigen seine Gottessohnschaft. Er wird am Kreuz gehenkt, wie ein Verbrecher.
    - Zwar war Christus Jesus wie Gott, "hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz."
  • Wenn ein einzelner Mensch enttäuscht wird, kann er sich still abwenden. Wenn eine Masse von Menschen enttäuscht wird, wendet sich der geballte Zorn gegen den, der nicht die Erwartungen erfüllt, die man in ihn gesetzt hat. Je höher man ihn gehoben hat, desto tiefer soll er jetzt gestoßen werden. So tief man sich vor ihm verbeugt hat, als man ihn oben wähnte, so erbarmungslos tritt man auf ihn, wenn er am Boden liegt. Die Menschen sind wie Fahrradfahrer: nach oben buckeln, nach unten treten!
    Dass Jesus ihnen nie versprochen hatte, was sie in ihn hinein projizierten, das merkt keiner und will niemand wahrhaben. Die Menschen hatten Jesus in den höchsten Olymp ihrer Erwartungen erhoben und waren letztlich gar nicht interessiert, was Jesus selbst sagte. Er sollte eine Rolle spielen.
    Die Sehnsucht ist zu groß nach dem guten Zar (nach all den korrupten Politikern), nach dem der blühende Landschaften zaubert (nach dem Terror der Bürokraten), nach dem Messias-König (nach der erniedrigenden Zeit der Abhängigkeit und Steuerpflichtigkeit). Doch wehe, wenn die Erwartungen enttäuscht werden. "Hosanna" und "Kreuzige ihn"; dazwischen gibt es nichts.

3. Vor ihm das Knie beugen

  • Wir stehen am Anfang der Karwoche. Wir hören die Texte. Wir erleben den Jubel - aber wissen auch um den Umschwung. [Dass wir hier in der Kirche sind, ist ein gutes Zeichen, dass wir nicht zu den abgeklärten, abseits stehenden Beobachtern gehören, die sich selbst wie die Götter fühlen, gebildet und unnahbar, unberührt durch die Ereignisse.] Wir sollten das Risiko des Jubels eingehen. Aber wir sollten Gott zujubeln, nicht dem, was wir uns erträumen. Wir sollten auf Jesus Christus schauen.
  • Die große Heilige der Passionsgeschichte hat keinen Namen, der uns überliefert wäre. Aber von ihr sagt Jesus selbst "Überall auf der Welt, wo das Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat". Diese Frau hat Jesus geliebt. Als Zeichen dieser Liebe hat sie Jesus mit Öl gesalbt. Sie wusste dabei nicht, wofür sie Jesus salbte: zum König oder für seine Beerdigung. Aber sie ist das Bild eines glaubenden Menschen, der dem Herrn nachfolgt. Nicht, weil dieser meine Erwartungen erfüllt, sondern weil es Gott ist, vertraue ich Christus. Die Frau nimmt das kostbare Öl und salbt Jesus. Dazu braucht sie kein einziges Wort. Es ist ein Zeichen des Glaubens. "Sie hat getan, was sie konnte".
  • Wir stehen am Anfang der Karwoche. Diese Tage sind für uns Gelegenheit, uns neu auf den Weg der Nachfolge zu machen. Wir dürfen, wir sollen Jesus zujubeln. "Heilig ist der, der kommt im Namen des Herrn!". Aber wir sollten der stillen Geste des Vertrauens dieser Frau eingedenk sein, dass es Gottes Wille ist und nicht unsere Luftschlösser, denen unser Lob gilt. Für Jesus war es der Wille Gottes, dass er das Leid der Welt annimmt und auf seinen Schultern trägt.
    "Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr - zur Ehre Gottes, des Vaters." Amen.

 


 

Anmerkung:

Siehe Werfel, Franz: Das Lied von Bernadette, Roman. Freiburg (Herder) 1963

[Seite 320 XXVIII. Kap.] Über den Dichter Hyacinthe de Lafite:

"Der Literat würde niemals zugeben, dass die Erregung, die seit dem elften Februar Lourdes schüttelt, auch ihn nicht unberührt gelassen hat. (...) Es gibt auf der Welt keinen größeren Stolz als den des geistigen Menschen. Dieser mag hungern und obdachlos sein, dennoch fühlt er sich von Gott nicht auf die Bühne des Lebens gestellt, sondern in die Hofloge geladen. Das Bewusstsein, nicht zu den Spielern der Komödien zu gehören, sondern zu ihren teilnahmslosen Beobachtern, gibt ihm eine berauschende Überlegenheit, die selbst ein entbehrungsreiches Leben erträglich macht. Der Geistige sieht in sich nicht das Geschöpf Gottes, sondern den Gast Gottes. Mit dieser erhabenen Stellung kann sich freilich kein Kaiser und kein Papst messen. Und dass sie den Menschen meist verborgen bleibt, das mehrt noch ihre heimliche Köstlichkeit. Deshalb betrachtet Hyacinthe (...) die Affäre, die sich zwischen Bernadette, der Dame und den Mächten dieser Welt abspielt, von der unermesslichen und eisigen Höhe des absoluten Geistes herab, der das menschliche Leben nur mit dem spielerischen Lichtstrahl der Ironie berührt. Lafite dünkt sich, mit einem Wort, selbst wie Gott, an den er nicht zu glauben meint."