Predigt zu Pfingsten 2010 (Apostelgeschichte)
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23. Mai 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Seit Ostern
- Das Kreuz am Karfreitag war nicht das Ende, obwohl alles danach
aussah. Jesus war öffentlich
gescheitert und als Verbrecher von der geistlichen und der politischen
Justiz verurteilt und durch
die Römer hingerichtet worden. Die Reaktion der Jünger hätte nicht
eindeutiger sein können. Für
sie war alles zu Ende. Demotiviert und verängstigt hielten sie sich
versteckt. Und dennoch war
Karfreitag nicht das Ende.
- Auch mit Ostern kommt die Geschichte nicht an ihr Ende. Die Jünger
machen Erfahrungen, die sie
kaum einordnen können. Noch während sie sich in Jerusalem angstvoll
versteckt halten, durchbricht der Auferstandene die Mauern, die sie um
sich herum aufgebaut haben, und begegnet ihnen.
Die Ostererlebnisse der Jünger sind nicht vorhersehbar gewesen. Sie
haben alle Erwartungen
durchbrochen. Aber diese Erfahrungen haben die Jünger nicht von jetzt
auf gleich zu neuen
Menschen gemacht. Es ist gerade nicht so, dass mit einer einzigen
Erfahrung, dass der Gekreuzigte
lebt, die Jünger aus einem verzweifelten, schwachen, orientierungslosen
Haufen augenblicklich zur
Schar der Apostel werden.
- Vielmehr schickt der Auferstandene die Jünger zunächst zurück in
ihre Heimat nach Galiläa. Dort
gehen sie wieder ihren Berufen nach. Zumeist arbeiten sie wieder als
Fischer. Man könnte denken,
es wäre alles wie vor der Zeit, als sie Jesus zum ersten Mal begegnet
waren und bevor er sie
gerufen hatte. Aber dem ist nicht so. Vielmehr waren die Wochen nach
Ostern für die Jünger eine
Zeit, in der sie in ihrer alten Umgebung und ihrer alten Arbeit neue
Erfahrungen machten: Der
Auferstandene begegnete ihnen auch dort. (Es ist bezeichnender Weise das
Johannesevangelium,
das in den geographischen Details so zuverlässig berichtet, das uns dies
schildert; ich folge daher
nicht der Schilderung des Lukas, die Jünger seien in Jerusalem
geblieben, denn dort hätten sie
weder einen Broterwerb gehabt noch wären sie sicher gewesen). Die Jünger
sind im Alltag, und
dort wächst in ihnen der Glaube an die Auferstehung. Sie werden oft
zusammen gesessen und über
all das gesprochen haben, was sie erlebt haben. Sie werden in der
Heiligen Schrift gelesen haben,
um zu verstehen. Es kamen andere dazu, die Jesus aus seiner Zeit in
Galiläa kannten und jetzt von
den Jüngern hörten, was in Jerusalem passiert war an Karfreitag und an
Ostern. Langsam erst
begreifen die Jünger, was passiert ist.
2. Pfingsten
- Dann kehren sie nach Jerusalem zurück. Sie tun dies wie immer zu
den hohen Festen. Fünfzig Tage
nach Ostern ist das jüdische Wochenfest Schawuot, das an den Empfang der
zweiten Zehn Gebote
am Berg Sinai erinnert. Zu diesem Fest kehren die Apostel und mit ihnen
bereits einige weitere
Jünger, die in Galiläa zu ihnen gestoßen waren, nach Jerusalem zurück.
Fünfzig Tage nach Ostern -
griechisch: pentekost hmera - und davon abgeleitet deutsch:
Pfingsten.
- Hier haben die Jünger Christi ein einschneidendes Erlebnis. "Plötzlich
kam vom Himmel her ein
Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt, und erfüllte das ganze
Haus, in dem sie waren.
Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf
jeden von ihnen ließ sich
eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in
fremden Sprachen zu
reden, wie es der Geist ihnen eingab."
- Das neue und besondere an Pfingsten ist nicht der Heilige Geist.
Wo immer Gott in und unter
Menschen in dieser Welt Glaube, Hoffnung und Liebe wirkt, da war und ist
Gott selbst als Heiliger
Geist am wirken. Das besondere an Pfingsten ist, dass die in einem Haus
versammelten Jünger Jesu
nun rausgehen. Fünfzig Tage nach Ostern sind sie vorbereitet und mit dem
Geist der Sendung
ausgerüstet, raus auf die Straßen Jerusalems zu gehen und das zu
verkünden, was sie erfahren und
erkannt haben: Jesus Christus, der Gekreuzigte lebt. Waren zum Fest in
Jerusalem bereits Pilger
aus vielen Ländern und Weltgegenden angereist, so ist das erst die
Ouvertüre auf das was kommt:
Gottes Geist selbst wird die Apostel zu den Menschen aller Völker
senden. In wenigen Jahren
schon werden an vielen Orten christliche Gemeinden sein. Schon im
folgenden Jahrzehnt wird
Paulus nach seiner Bekehrung zum Apostel der Völker. Simon Petrus selbst
wird in Rom Zeugnis
ablegen für das, was er geschaut und erkannt hat.
3. Kirche
- So weit die Ereignisse von damals. Es gibt einen guten Grund,
warum wir noch heute zusammen
mit Karfreitag und Ostern auch Pfingsten feiern. Die Feste zeichnen den
Weg vor, auf dem bis
heute das glaubende Vertrauen in Gott wächst. Keiner von uns war in
Jerusalem dabei. Wir haben
aber mehr, als nur den Text der Evangelien und der Apostelgeschichte,
die dreißig Jahre nach den
Ereignissen verfasst sind. Wir haben das Lebenszeugnis derer, die dabei
waren: Die Apostel haben
in der Verfolgung ihr eigenes Leben drangegeben für das, was sie an sich
erlebt hatten. Manche von
uns haben sehr intensive eigene Erlebnisse, die das bestätigen, was die
Apostel bezeugen. Aber
auch wir vielen Anderen können den Weg nachgehen.
- Es beginnt mit dem Karfreitag. Er gehört in das dunkle Kapitel
dessen, was Menschen einander
antun, um ihre Macht zu sichern. Dies ist heute so real wie damals. Nur
scheint mir, dass wir Gott
überall suchen, nur nicht unter denen, die gekreuzigt werden, damals wie
heute. Die Jünger hätten
niemals verstanden, was die Bedeutung von Ostern ist, wenn sie nicht
erlebt hätten, was das Kreuz
ist - und wie ihr eigener bisheriger Glaube daran zerbrochen ist.
Deswegen ist ihr Zeugnis über die
Begegnungen mit dem Auferstandenen für mich glaubwürdig, weil es nichts
mit Theorie zu tun hat
und nicht ihren Erwartungen entsprungen ist, sondern darin Gott alle
Theorie und alle Erwartungen
durchbrochen hat. Fünfzig Tage haben die Jünger gebraucht, das zu
verstehen und anzunehmen.
- Der Heilige Geist ergreift die so vorbereiteten Jünger. Er erfüllt
sie mit Mut und lässt sie zu den
Menschen sprechen. Die Mutlosigkeit des Glauben heute mag viele Ursachen
haben. Eine davon
dürfte aber sein, dass wir das, wofür die fünfzig Tage stehen, nicht
haben: Das Ringen mit der
Osterbotschaft mitten in "unserem Galiläa", unserem Alltag. Wir sprechen
zu wenig miteinander
über das Evangelium und bringen Sonntag und Werktag immer nur schwer
zusammen. Und doch
gibt es auch bei uns Pfingsten: Es gibt die Christen unter uns und die
Augenblicke bei uns selbst,
wo wir trotz Zittern und Zagen, an Orten und mit Menschen, die so gar
nicht passend scheinen,
etwas davon weitergeben, was anfangshaft auch unsere eigene
Glaubenserfahrung ist. Das sind
dann die Augenblicke, in denen der Heilige Geist auch uns pfingstlich
erfasst und zu Zeugen des
Glaubens gemacht hat. Amen.