Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Pfingsten 2015 (Johannes)

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24. Mai 2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Beginn der neuen Schöpfung

  • Am Abend des Ostersonntags empfingen die Jünger den Heiligen Geist, um sich in der Kraft dieses Geistes senden zu lassen. So steht es im Evangelium. In der Apostegeschichte aber steht, das sei (mit etwas mehr Phyrotechnik) erst am 50. Tag nach Ostern, dem jüdischen Pfingstfest und nicht schon am ersten Tag der Woche geschehen.
  • Offenbar hat man darin keinen Widerspruch gesehen, als beide Varianten in den Kanon der Bibel aufgenommen wurden. Die Gemeinsamkeit muss also viel grundlegender sein, als die Frage, ob es nun ein Tag oder Fünfzig Tage waren. Ich merke, dass nur mit solcherlei Fragen die Bibel auch für mich selbst fruchtbar werden kann; wenn ich statt dessen die frühe Kirche für zu dumm erkläre, so einen Widerspruch zu bemerken, bin ich nur selbst der Dumme.
  • In vorliegenden Fall braucht es allerdings eine Erklärung, um zu verstehen, worin das grundlegend Gemeinsame der beiden Datierungen ist. Denn sowohl "erster Tag der Woche" wie auch 'nach fünfzig Tagen', "als der Pfingsttag gekommen war" ist mehr als Zeitangabe. Es ist Inhaltsangabe.
    An sechs Tagen hatte Gott die Welt geschaffen; dann ruhte er. Der achte Tag, der erste Tag der neuen Woche, steht daher symbolisch für eine neue Schöpfung, die mit der Auferstehung beginnt. Diese neue Schöpfung kommt von Gott allein. Pfingsten, im Griechischen wörtlich "Fünfzigster", war das jüdische Schawuot-Fest, das Fest der Frühjahrs-Ernte. Sieben steht in der biblischen Zahlensymbolik für die Welt. Sieben Wochen, sieben mal sieben Tage, die 49 Tage stehen symbolisch für die Welt, die an ihr Ende kommt. Der 50. Tag ist daher ebenso wie der 1. Tag ganz betont: Hier beginnt Neues. Der auferstandene Christus ist der Erstgeborene der Neuen Schöpfung; durch den Geist, den er uns sendet, haben wir, die wir in der alten Schöpfung leben, Anteil an dieser neuen Dimension, der neuen Schöpfung Gottes.

2. Vergebung der Sünden

  • So weit die Theorie. Was aber geschieht hier, ganz praktisch? Da finde ich es lohnend, den Kopf von der eindrucksvollen Szenerie freizuhalten, die die Apostelgeschichte für den Pfingsttag schildert. Denn das Johannesevangelium ist überraschend knapp und präzis. Dort heißt es, dass Jesus den Jüngern den Friedensgruß bringt und sie sendet. "Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!" Das ist das Pfingstereignis. Und dann kommt eine und nur eine Verheißung: "Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert."
  • Die erste Aufgabe im Heiligen Geist betrifft die Vergebung der Sünden. Oder, anders gesagt, der Heilige Geist der neuen Schöpfung befähigt in der Gegenwart dazu, nicht mehr von der Vergangenheit bestimmt zu werden, sondern sich durch die herannahende Zukunft Gottes prägen zu lassen. Dazu sind Christen berufen, dazu empfangen sie den heiligen Geist, dazu sind sie ermächtigt. Die Zukunft ist in Christus sichtbar, der die Sünde am Kreuz überwunden hat. Dieses Evangelium von Gottes Zukunft ist uns anvertraut.
  • Natürlich hat der Satz von der Sündenvergebung von Anfang an auch den Bezug auf die drei grundlegenden Sakramente. Taufe (mit Firmung), Beichte und Eucharistie nehmen alle drei das Wort von der Sündenvergebung auf. Aber nur von Ostern, der neuen Schöpfung her, ist der Sinn von Sündenvergebung zu verstehen: Befreiung von der Last der Vergangenheit, Hinwendung zu Gottes Zukunft.

3. Geschichtlicher Neuanfang

  • Das Thema ist zentral für die Biographie von einzelnen Menschen, von Familien und ganzen Gesellschaften. Die Weise, wie es gelingt, Schuld aus der Vergangenheit zu sehen und klar zu benennen, hat viel mit pfingstlichem Glauben zu tun. Das wissen wir etwa aus dem Blick auf das Leiden, das von Männern im Namen der Kirche über andere gebracht wurde, das so lange verschwiegen wurde - und das endlich zu hören und wahrzunehmen so unendlich befreiend war. Auch den lange, keineswegs einfachen und allgemeinen Weg der deutschen Nachkriegsgesellschaft zu einer Anerkennung von historischer Schuld würde ich als Wirken des Heiligen Geistes lesen, wo dieser Weg zu Versöhnung und echtem Neuanfang geführt hat.
  • In ganz anderer Weise stellt sich diese Aufgabe für uns in Europa heute, und zwar für diejenigen, die seit Generationen hier leben ebenso, wie für diejenigen, die in erster, zweiter oder dritter Generation zugewandert sind. Wie weit gelingt es uns, die Vergangenheit mit dem Guten und Schlechten anzunehmen, aber uns für die Zukunft nicht daran, sondern an Gottes neuer Schöpfung orientieren? Einwanderer sind genauso in der Gefahr wie Alteingesessene, den 'Blick zurück' zur Norm zu erheben: So wie es früher (angeblich) war, so müsse es auch künftig sein.
  • Pfingsten steht für die Zusage Gottes, dass es auch anders geht. "Empfangt den Heiligen Geist!" ist eine ganz konkret gemeinte Zusage. Die Begegnung mit Jesus Christus, hier in den Sakramenten und in der Gemeinschaft der Kirche, das Leben aus der Gemeinschaft mit dem Auferstandenen, immer dort wo die Liebe stärker ist als der Tod, ist dies uns Auftrag, unsere Gegenwart und unsere Gesellschaft befreien zu lassen von der Vergangenheit und den Geist zu empfangen für Gottes Zukunft. Amen.