Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Neujahr 2017 (Lukas)

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1. Januar 2017 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Gefühlte Freiheit

  • Im Evangelium heißt es (fast wörtlich): "Maria bewahrte alles, was geschehen war, indem sie es in ihrem Herzen bewegte". Will man im Bild bleiben, stellt sich die Frage: Wie kommt das "alles" in das Herz hinein? Wohl die ganze geistliche Tradition würde antworten: Durch Hören.
    Maria konnte in ihrem Herzen bewahren, weil sie eine Hörende ist. Daher ist über den Gehorsam zu sprechen, jene Grundhaltung des Hörens, von der alle, die im Glauben vorangeschritten sind, die Erfahrung gemacht haben, dass sie zentral ist, um Freiheit zu erlangen. Ohne Scherz. Ohne diese bestimmte Form von bewusstem, frei gesuchtem Gehorsam, bleibt Freiheit immer gefährdet.
  • Dabei sei doch Freiheit eigentlich das andere: Sich durch die Wirklichkeit bewegen wie durch eine Game-Landschaft, in der sich alles nach meinem Willen formt und bewegt, Widerstände von mir kraftvoll ausgeschaltet werden, und ich alles, sogar mein eigenes Aussehen, mein Geschlecht, alles, wie die anderen mich sehen, unbehindert bestimmen kann. Und wenn es mir beliebt, kann alles auch im nächsten Augenblick noch einmal ganz anders sein. Ist das nicht wahre Freiheit?
  • Ist es nicht. Es ist letztlich nur ein Gefühl von Freiheit, und zwar ein trügerisches. Es ist wie bei dem König, der seinen Thronsessel gen Osten aufstellt, zur exakt richtigen Zeit Platz nimmt und pathetisch ausruft: 'Die Sonne möge aufgehen' - und siehe da, die Sonne geht auf. Aber wenn der König meint, das sei auf seinen Befehl hin geschehen, dann ist er noch ärmer dran, als die Menschen, die meinen, ihre Entscheidungen in Bezug auf Mode hätten etwas mit Freiheit zu tun, ganz individuell. Und doch ist es nicht Freiheit, sondern nur ein Gefühl davon, das immer mehr aufgeheizt wird, weil andere damit viel Geld verdienen, dass sie dieses Gefühl verkaufen und die Menschen vergessen machen, was wahre Freiheit ist, nämlich: Die Dinge, wie sie sind, im Herzen bewahren und bewegen und von dort her offen zu werden für das, was daraus folgen kann.

2. Wahre Freiheit

  • Am Anfang dieses neuen Jahres gibt es vielleicht weniger gute Vorsätze als gute Ratschläge im Privaten, aber vor allem auch im Politischen. Da sind sicher auch viele dabei, die es wert sind, gehört zu werden. Deswegen wäre mein Ansatz für das neue Jahr: Sich neu im Gehorsam üben.
  • Das Gefühl der Freiheit ist darauf angewiesen, ständig Wirklichkeit zu ignorieren. Gefühlsjunkies können gar nicht anders, sonst würde ihre Scheinwelt zusammenbrechen. Warum sonst ist bei den Pop-Idolen der große Freiheitsgestus immer mit jämmerlicher Drogenabhängigkeit verbunden?
    Wahre Freiheit wäre im Gegenteil, wenn es wirklich gelänge, die Wirklichkeit in ihrer Fülle uneingeschränkt wahrzunehmen, zu durchleben und notfalls zu durchleiden. Die Wirklichkeit anzunehmen heißt ja keineswegs, alles gut zu heißen. Im Gegenteil. Ein wirklich freier Mensch wird Ungerechtigkeit viel intensiver wahrnehmen als ein nur Gefühls-Freier. Eine Gesellschaft, die wahre Freiheit gefunden hat, blendet keine Probleme aus und kaschiert keine Schwierigkeit mit Phrasen und Scheinlösungen, sondern sieht sie. Sie trägt die Lasten wirklich gemeinschaftlich, statt sie nur Gruppen aufzubürden - und wird gerade dadurch fähig Lösungen zu finden, Frieden und Gerechtigkeit zu befördern. Denn all dies geht nur, wenn und soweit wir uns auf die Wirklichkeit der Anderen einlassen, an ihrer Welt teilhaben wollen und auch bereit sind, sie zumindest ein Stück weit (hier passt der ansonsten unsägliche Stückweit-Ausdruck tatsächlich) mit zu tragen.
  • Kommt dadurch automatisch Freiheit? Ich kann es nur ausprobieren, indem ich mich darauf einlasse. Ich muss riskieren, dass ich an meine eigenen Grenzen stoße. Ich werde versagen. Ich werde vor mir selbst erschrecken, weil ich entdecke, von welchen Kleinigkeiten ich mich emotional abhängig gemacht habe, es ist kein leichter Weg. Aber ich kenne Menschen, denen man diese Freiheit anmerkt und an ihnen lese ich ab, dass das nicht reine Theorie ist, sondern Verheißung. Jesus sagt das gerne in Formulierungen wie "sich selbst verleugnen" (z.B. Mt 16,24) oder "sich selbst erniedrigen" (z.B. Mt 23,12), und dass dadurch allein wahre Größe gefunden werden könne. "Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben" (Joh 12,25).

3. Freiheit der Kinder Gottes

  • Zukunft. Europa. Die Diskussion geht immer wieder angesichts von ökonomischer und politischer Auflösung und der inneren wie äußeren Bedrohung durch Gewalt darum, was diesen Kontinent ausmache. Auch im neuen Jahr wird das das Thema sein und viele werden ihre Lösungen anbieten. Es wird schwer sein, dabei zu unterscheiden, was Europa wirklich von innen her neu aufbaut und was es durch falsche Haltungen und Antworten auch von innen her noch zerstört.
    Ich denke nicht, dass es dabei nur eine Antwort, eine Leitkultur, eine Idee gibt. Vielmehr müssen alle aus ihren eigenen Ressourcen heraus neu suchen und fragen. Und das gilt auch für uns Christen. Wir haben als christliche Kirchen und wir haben als globale katholische Kirche insbesondere ein Potential, das unserem Auftrag vom Evangelium her entspricht. Mein Gedanke an diesem Neujahrstag ist der, dass wir versuchen sollten, uns neu in Freiheit zu üben, echter Freiheit, die nach realen Handlungsoptionen sucht, statt sich in der Verteidigung der Illusion gefühlter Freiheit zu erschöpfen.
  • Eine ganz konkrete Frucht echter Freiheit kann ich sofort benennen. Sie bringt uns den Armen unter uns, in unserer Stadt und in der einen Welt näher. Wirklich Arme sind diejenigen, die keine Illusion darüber haben, dass andere über sie bestimmen und ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten streng begrenzt und die Versprechungen der Werbung nicht für sie gemeint sind.
    Wenn vergangenen November viele von der gemeinsamen Pilgerfahrt mit Obdachlosen fratello zurück gekommen sind, und überrascht, beglückt und beeindruckt waren von der tiefen Spiritualität, und der Freiheit darüber zu sprechen, bei vielen von denen ohne Obdach, dann belegt das meine Überlegung.
  • Letztlich ist Gott um dieser Freiheit willen Mensch geworden, weil sie allein uns den Blick öffnet für Wege, auf denen es nicht wieder nur um Eigeninteressen und Abschottung geht. Deswegen ist Gott unter den Armen Mensch geworden. Deswegen lohnt es sich, jedem Zentimeter seiner Gegenwart das Herz zu öffnen, um die Geheimnisse der Menschwerdung im Herzen bewegend zu bewahren. Gehorsam meint: Mit Gott die Wirklichkeit zu umarmen, selbst das Kreuz, um sie, immer mehr frei von Eigensucht mit Gott zu verwandeln zu dem, was in jeder Faser dieser Welt an göttlicher Gegenwart angelegt ist. Amen.