Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Ökumenisches Gedenken an die in Bagdad ermordeten Christen

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20. November 2010 - Kleiner Michel, Hamburg

Vor drei Wochen starben bei einem Mordanschlag auf eine Kirche in Bagdad über 40 Gottesdienstbesucher. Seitdem vergeht kaum ein Tag mit weiteren Anschlägen auf Christen. Zusammen mit den orientalischen und orthodoxen Christen in Hamburg trauern wir um die Toten und setzen ein Zeichen gegen die zunehmende Gewalt gegen Christen.

Der Gottesdienst wurde mit Elementen aus den verschiedenen christlichen Traditionen gefeiert zusammen mit Erzbischof Mar Gewargis Sliwa, Bagdad und Bischof Julius H. Aydin, Patriarchalvikar Syrisch-Orthodoxe Kirche

 1. Zeugnis des Glaubens

  • "Es kommt die Stunde, in der jeder, der euch tötet, meint, Gott einen heiligen Dienst zu leisten." Jesus spricht zu seinen Jüngern am Abend vor seiner eigenen Hinrichtung. Auch er wird ermordet. Die Verantwortlichen meinen, damit nicht nur dem Kaiser in Rom, sondern sogar "Gott einen heiligen Dienst zu leisten."
  • Jesus spricht darüber, um die Seinen darauf vorzubereiten, dass es nicht nur ihm so ergehen wird. Dabei hat er sicher nicht gemeint, dass alle Christen um ihres Glaubens willen getötet werden. Er wusste aber, dass die Gemeinschaft derer, die er seine Freunde nennt, mit Tod und Verfolgung rechnen muss.
    Es wird Jünger Jesus geben, die getötet werden, weil sie Christen sind. Dass Jesus dies am letzten Abend so betont zeigt, dass es dabei nicht um eine Randerscheinung geht, die nur die unmittelbaren Opfer betrifft. Es betrifft vielmehr immer die ganze Kirche. Christen werden zu Blutzeugen, weil sie zu uns gehören, dem einen, unteilbaren Leib Christi. Wie der Leib Jesu Christi am Kreuz, so leidet der Leib Christi Jesu in seiner Gemeinde. "Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen".
  • Wir trauern und klagen um Menschen, die von Terroristen um ihres christlichen Glaubens willen ermordet wurden. An ihnen erfüllt sich das Wort: "Auch ihr sollt Zeugnis ablegen". Zugleich gilt das Wort aber auch uns als Aufforderung: "Auch ihr sollt Zeugnis ablegen!" In dieser Stunde sind wir gefragt, Zeugnis abzulegen nicht nur von Trauer, nicht von Zorn und Hass, nicht von politischer Klugheit oder militärischer Strategie, sondern davon, was unser Glaube ist. Das sind wir auch denen schuldig, die um dieses Glaubens willen ermordet wurde.

2. Gegen Vereinfachungen

  • Wenn Jesus von seinen Jüngern hie und "der Welt" dort spricht, dann ist das keine äußere Grenzziehung, nicht zwischen Völkern und nicht zwischen Menschen. Es ist eine innere Grenzziehung. Wo gegen die Liebe Gottes, die in Christus offenbar wurde, der "Hass"vorherrscht, der in der Gewalt gegen Menschen sichtbar wird, dort ist die gottfeindliche "Welt" (nach der Sprache des Johannesevangeliums). Die Grenze verläuft nicht nur mitten durch die Menschheit, sondern auch mitten durch unser Herz. Die "Freundschaft" mit Christus ist daher kein äußeres Merkmal: "Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage." Daran muss angesichts der großen Vereinfacher, die gern schwarz-weiß malen, erinnert werden.
  • Es ist auffällig, wie selbstverständlich im Westen von "islamischen Ländern" gesprochen wird. Dass Christen und das Christentum zu den Nationen des Nahen und Mittleren Ostens von Ägypten bis Iran gehören, wird häufig schlichtweg übersehen. Dabei gilt das nicht nur für die Geschichte dieser geradezu Ursprungsländer des Christentums, sondern auch für die Gegenwart - noch, muss man leider sagen.
    Für manche von denen, die protestiert haben, als Bundespräsident Wulff die schlichte Tatsache ausgesprochen hat, dass der Islam auch zur Wirklichkeit in Deutschland gehört, passt es vielleicht insgeheim oder unbewusst ins Weltbild, dass Christen in den so genannten muslimischen Ländern nichts zu suchen hätten.
  • Wenn eine Kultur wirklich durch den christlichen Glauben geprägt ist, dann wäre ihr Merkmal, dass nicht eine Kultur und Geschichte sich absolut setzt. Diesen Verdacht habe ich gegenüber manchen, die hierzulande das unglückliche Wort von der Leitkultur benutzen.
    Ist das nicht das, was derzeit in vielen Ländern islamistische Bewegungen machen? Sie setzen eine Religion, ja eine extreme Auslegung nur einer Religion und Kultur absolut. Dieses Denken ist dann der Nährboden für die Gewalt. Terroristen morden und verfolgen diejenigen, die nach ihrer Meinung von der "wahren Religion" abweichen. Daher richtet sich die Gewalt im Irak nicht nur gegen Christen und Juden, sondern auch und vielfach zuerst gegen Muslime, die da nicht mitmachen wollen.

3. Zeugen der Liebe

  • Um der Menschen willen sind wir nach unserem Glauben gefragt. Ist das Christentum einfach nur unsere Gruppenidentität, die wir dann gegen andere abgrenzen und verteidigen? Jesus hat die Jünger mit einem Ziel ausgewählt und zu seinen Freunden gemacht. "Ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt". Daran müssen wir uns messen lassen, wenn es um unser Engagement für die Christen im Irak und anderen Ländern geht.
  • Bundespräsident Wulff konnte in der Türkei glaubwürdig für die christliche Minderheit eintreten, weil er zuvor in Deutschland deutlich gemacht hat, dass er gleiches Maß auch hier anlegt. Uns als Kirchen kann es nicht nur um die Glaubwürdigkeit vor einer weltlichen Öffentlichkeit gehen. Christus hat uns würdig gemacht, glaubende Jünger zu sein. Er gibt uns das Maß: Wir erheben unsere Stimme angesichts des Terrors gegen unsere Schwestern und Brüder im Glauben. Wir rufen die Verantwortlichen der Welt auf, der Unterdrückung, Vertreibung und dem Morden ein Ende zu machen. Als Christen aber tun wir dies in gleicher Weise für alle Menschen, die Kinder Gottes sind und ein Recht haben, in Sicherheit und Freiheit zu leben und ihre Religion zu praktizieren.
  • Das Geschehen im Irak ist schrecklich. In Hamburg sind wir scheinbar weit davon entfernt. Dass wir als christliche Kirchen dennoch heute hier sind, die Trauer mit einander teilen und im Gebet zusammen kommen, verdanken wir dem einen Herrn, der uns berufen hat. Jede und jeder ist berufen, sich aufzumachen und sich nach Kräften zu bemühen, unserer Bestimmung zu folgen: Früchte des Friedens und der Gerechtigkeit zu bringen, die keinen ausschließt. Amen.