Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 11. Sonntag im Lesejahr C 2001

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17. Juni 2001 - khg Göttingen, Universitätskirche St. Nikolai

1. Keine Nebensache

  • Simon, der Pharisäer, bei dem der Herr zu Gast ist, meint, Jesus durchschaue die Sache nicht. Er hält Jesus für einen Naivling. Jesus ist zu Gast in vornehmem Haus. Eine Frau wäscht Jesus die Füße und salbt sie ihm mit Öl, ganz nach orientalischer Sitte. So weit ist es eine normale Szene. Aber das Wasser, mit dem die Frau Jesus die Füße wäscht, sind ihre Tränen, und die Frau, von der Jesus sich berühren lässt, ist eine stadtbekannte Prostituierte. Simon, der Gastgeber hält Jesus für einen Naivling.
  • Wer ist hier naiv? Die eigentlichen Fragen werden ja gar nicht gestellt. Wer fragt, welche wirtschaftliche Not die Frau zur Prostituierten gemacht hat? Wer fragt nach der Sünde der Freier, die sich des Körpers dieser Frau bedienen, weil sie das Geld haben, sie auszuhalten? Die ganzen Umstände sind nicht geklärt. Von Sünde ist hier die Rede, und von einer Sünderin. Ebenso pauschal wie beiläufig.
  • Ja, beiläufig ist davon die Rede. Die Gelehrten, damals wie heute, zeichnen sich dadurch aus, dass sie bis zum letzten i-Tüpfelchen die Umstände diskutieren können. Ethik-Kommissionen werden eingesetzt. Jeder halbwegs Halbgebildete kann das Wort Sünde aus seinem Leben herausdefinieren, herausdifferenzieren oder herausbagatellisieren. Es wird so lange definiert und differenziert und bagatellisiert, bis das Zentrum verloren ist, der Mensch um den es geht.
    Das Revolutionäre des Evangeliums ist die Beiläufigkeit, mit der es von der Sünde spricht. Das Evangelium spricht davon. Und es tut es nüchtern, beiläufig. Menschen dürfen von Menschen nicht für Eigenzwecke missbraucht werden. Punkt. Jesus klagt nicht pathetisch an. Er stellt nüchtern fest - Sünde ist Sünde - und kommt zum Punkt. Der Punkt aber ist der Mensch.

2. Durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht

  • Die Lesung aus dem Galaterbrief und das Evangelium von der Begegnung Jesu mit der Sünderin im Haus des Pharisäers Simon, sind sich inhaltlich ganz nahe. Paulus spricht die Sprache der Theologie, Lukas berichtet aus dem Leben Jesu. Beide aber reden von demselben.
  • Der Pharisäer Simon ist die modernere Gestalt. Er vertritt eine moralische Religion. Mag er sich auch in Bezug auf Prostitution als naiver Chauvi erweisen, von der Weise, wie er denkt, ist er modern: Für ihn bestimmt sich der Wert der Religion danach, ob sie ethische Qualität hat. Wer am meisten Weltethos vertritt, schneidet am besten ab. Simon ist der, der versucht ethisch zu leben. Er wird nicht von sich sagen, dass er vollkommen ist. Aber er wäre auch nicht in der Lage von sich zu sagen: Ich bin ein Sünder. Eher schon würde er die Sünde wegdefinieren, wegdifferenzieren, wegbagatellisieren. Ob die moralischen Ansprüche sehr hoch oder sehr niedrig sind, ist letztlich egal. Im Ergebnis kann nur Verlogenheit und Heuchelei stehen, wo Menschen das Heil der Welt von der Erfüllung der Gesetze der Moral abhängig machen.
    "Durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht", heißt es im Galaterbrief. Bestenfalls wird man hochmütig, möchte ich hinzufügen. Der Hochmut derer, die sich für gerecht halten, ist besonders unerträglich. Wir bieten in unserer eigenen Kirche genug Anschauungsmaterial, um das feststellen zu können. Für mich als "Professionellen" ist es die ständige Gefahr.
  • Auch bei der Frau, die Jesus begegnet, wird es um die Sehnsucht gehen, in Gerechtigkeit zu leben. Aber von Hochmut ist keine Spur. Die Frau nämlich hat die eine, die einzige Größe, die nicht hochmütig macht. Sie hat die Größe, sich beschenken zu lassen. Der Selbst-Gerechte hat sein Leben im Griff. Er tut die Gerechtigkeit. Zumindest meint er das und verkauft sich entsprechend gegenüber anderen. Es mag sein, dass er jemandem mal fünfzig Denare geschuldet hat. Ein viertel Jahreslohn, ein stattlicher Betrag, gewiss, aber eines Tages wird er ihn schon zurück bezahlen. Er möchte nichts schuldig bleiben. - Die Frau aber lässt sich das ungeheure Vermögen der fünfhundert Denare schenken. Jesus sagt von ihr: Sie zeigt Liebe. Und: Sie glaubt.

3. Christus lebt in mir

  • Was denken wir eigentlich, geschieht in der Taufe? Dass man dadurch zu einem moralisch höherwertigen Wesen würde, glaubt wohl kaum jemand (mehr). Aber ist es dann nur die feierliche Einschreibung in die Mitgliederliste des "Kirche e.V."? Glaube ich an Gott, weil dieser oder jener Priester oder Bischof oder Papst besonders glaubwürdig, sympathisch oder "authentisch" ist? Sagt mir das Programmangebot zu? Die Predigt? - Egal, was es sei, es ist auf der Ebene des Uneigentlichen. Es ist alles richtig und alles wichtig, aber wenn davon die entscheidende Frage meines Lebens abhängt, ob der Pfarrer ein netter Kerl ist, dann habe ich den Kern meines Menschseins verfehlt.
  • Paulus spricht in der heutigen Lesung von der Taufe - auch wenn das Wort dort nicht vorkommt. Er schreibt: "Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat." Hören Sie diesen Satz zwei mal.
  • In der Taufe geschieht das Geschenk der fünfhundert Denare. Gott schenkt. Er bedient sich dazu der Kirche, weil dies der Ort ist, an dem der Glauben verkündet wird. Insofern bindet sich Gott an Menschen. Gott ist naiv, könnte man meinen. Die Frau im Evangelium weiß es besser: Gott liebt. Gott schenkt bedingungslos. Die Gerechtigkeit, unser Wohlverhalten und unsere Ethik sind für Gott nicht Voraussetzung.
    "Mit Christus gekreuzigt werden", wie Paulus schreibt, ist das Aussteigen aus der Selbstgefälligkeit. "Christus lebt in mir", schreibt Paulus, und meint damit die Erfahrung, beschenkt zu sein mit der Gegenwart Gottes, der in diesem Jesus Christus erfahrbar wird. Wenn Christen beginnen, aus dieser geschenkten Gerechtigkeit zu leben, dann wird Gottes Heil sichtbar. Amen.