Predigt zum 12. Sonntag im Lesejahr C 2010 (Lukas)
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20. Juni 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Priester
- Der neue Bundespräsident soll ein Priester sein. So ließe sich die Erwartung Vieler an das Amt
zusammenfassen. Da wird kein Politiker gewünscht, der in der Realität verwurzelt auch für
unpopuläre Positionen streitet, und der Kompromisse eingeht, um auch andere dafür zu gewinnen.
Vielmehr wird ein quasi priesterlicher Bundespräsident gewünscht, der Mittler ist zwischen dem
Volk und der unnahbaren Sphäre von Globalisierung, Finanzmärkten und "echten" Werten. Daher
rührt die Sympathie für das Salbungsvolle und die Abneigung gegen einen, der die Kunst des
Möglichen beherrscht. Zwar ist keiner der derzeitigen drei Kandidaten für das höchste Staatsamt
Priester; aber einer ist immerhin Pfarrer.
- Zugegeben: Die Erwartungen auch an einen Bundespräsidenten sind wahrscheinlich insgesamt trotz
aller derzeitiger Diskussion nicht sehr hoch. Zu Recht erwartet niemand, dass er nun alle Probleme
löst. Er ist kein souveräner König, sondern Repräsentant des Staates mit begrenzten Befugnissen.
Dennoch aber scheint mir die Diskussion "Gauck versus Wulff" etwas von dieser Sehnsucht nach
dem priesterlichen König zu haben: Der Wunsch nach dem, der vermittelt zwischen dem, was
unser Leben von oben her bestimmt, und dem, was unser Leben da unten ist.
- Vielleicht können wir uns auf diese Weise an das herantasten, was zur Zeit Jesu die Erwartung an
den Messias bedeutet: "Gauck hoch x".
Messias heißt: der Gesalbte; griechisch: Christos. Die Salbung wird sowohl an Priestern wie an
Königen vollzogen. Durch die Salbung wird der priesterliche König oder königliche Priester zum
Mittler zwischen Gott und dem Menschen, Mittler zwischen dem, was von oben unser Leben
bestimmt, und dem, was unser Leben hier unten ist. Nur, zwischen den Bestimmungsmächten der
Märkte heute und Gott zu allen Zeiten besteht ein Unterschied. Zumindest damals haben die
Menschen von Gott erwartet, dass er wirklich etwas bewirkt, auch in der Politik. Gott trauten sie
zu, dass er Schluss macht mit Korruption, Ungerechtigkeit und Klientelpolitik. Gottes Mittler, der
Messias, der Gesalbte, Christos würde das bringen können.
2. Geheimnis
- Jesus hatte ganz konkrete Menschen aufgefordert, mit ihm zu gehen. Wir nennen sie seine Jünger.
Sie hatten Träume und Ideen, Hoffnungen, Befürchtungen und Erwartungen. Jesus wollte, dass sie
verstehen, warum und wozu er vom Vater in die Welt gekommen ist. Dazu verwendet er die
Sprache und Bilder, die seine Jünger verstehen.
Er weiß aber auch, dass Bilder missverstanden werden können. Das ist das Risiko, wenn ich
jemanden vertraue und versuche, etwas von mir selbst zu offenbaren. Jeder Satz und jedes Bild
kann nur andeuten, was ich sagen will. Das weiß auch Jesus.
- Es scheint, dass Jesus das Bild des Messias für sich nicht abgelehnt hat. Denn in der Tat ist er vom
Wesen seiner Sendung her Mittler zwischen Gott und den Menschen. Er bringt Gott in unsere Welt.
Er will es Menschen ermöglichen, Gott zu erkennen und Gott in ihrem Leben hier unten zu
erfahren. Und Jesus ist überzeugt, dass das glaubende Vertrauen in diese Gegenwart Gottes etwas
auf dieser Erde bewirken kann, im Kleinen wie im Großen. Insofern stimmt das Bild des gesalbten
priesterlichen Königs.
- Zugleich aber geht Jesus einen ganz anderen Weg, als alle erwarten, die meinen, der Messias werde
dreinschlagen und hier mal so richtig aufräumen. Deswegen untersagt es Jesus den Jüngern "streng,
es jemand weiterzusagen" dass er der Messias ist. "Und er fügte hinzu: Der Menschensohn muss
vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen
werden." Jesus ergänzt also das Bild vom Messias: Dieser Messias ist der "Menschensohn"; damit
greift er aus dem Buch Daniel die Vision dessen auf, der von Gott her in Menschengestalt kommt.
Vor allem aber: Dieser Messias kommt nicht nach Menschenart zu herrschen, sondern ohnmächtig.
3. Getauft
- Das müssen die Jünger erst einmal verstehen. Da hilft kein theoretisches Studium. Was der Messias
ist, lerne ich erst zu verstehen, wenn ich es tief in mein eigenes Herz hineinkommen lasse und in
die Wirklichkeit eintauche, wer Christos Jesus, der Messias Jesus ist. Das ist ein Weg, der das
ganze Leben umfasst. Für Jünger Jesu damals und heute ist es vor allem der Weg, von allen
Erwartungen an schnelle Lösungen "von oben" Abschied zu nehmen, und selbst den Weg "von
unten" mitzugehen.
- "Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus als Gewand angelegt", schreibt Paulus den
Neugetauften in Galatien. Christos, den Gesalbten wie ein Gewand anzulegen, bedeutet sich ganz
von dem umhüllen zu lassen, was sein Wesen als Messias war: Der Gekreuzigte ist der zum
priesterlichen König Gesalbte. Dieses Gewand anzulegen bedeutet, nicht nur durch eigene Worte,
sondern durch eigenes Leben diesen Christos sichtbar zu machen, der Rettung und Heil bringt,
indem er ganz und gar Gott, seinem Vater, vertraut und dadurch fähig wird, nicht über andere zu
bestimmen, sondern ihnen in ohnmächtiger Liebe zu begegnen.
- Mit diesem Christos sind alle Getauften berufen, Priester und Könige zu sein. Sie werden daher
Christen genannt. Sie sind berufen Gott zu vermitteln und Gottes Herrschaft auf Erden aufzurichten. Wir sind aber Christen immer unter dem Zeichen des Kreuzes. Das bedeutet, dass wir
versuchen, wie Christus Jesus aus dem Vertrauen zu leben, dass Gott uns durch den Tod und das
Leben trägt. Das kann Kraft geben für die Mühsal der kleinen Schritte, für die Kunst, mit anderen
Kompromisse einzugehen, für die Geduld, dass große Probleme im Privaten wie in der Politik nicht
durch einfache Lösungen zu haben sind, sondern nur dadurch, dass viele einzelne Menschen sich
auf den Weg machen. Amen.