Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 13. Sonntag im Lesejahr C 2022 (Lukas)

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26. Juni 2022 - St. Peter, Sinzig-Westum

 

1. Provokateur

  • Provozieren heißt wörtlich: Herausrufen. Das gehörte offenbar zum Stil Jesu, wenn er seinen Schülern – junge Erwachsene – etwas zutraute. An anderer Stelle ist er vorsichtig, behutsam. Aber wo er es für geraten hält, provoziert Jeus ohne Hemmung.
  • Davon zeugen die drei Begegnungen, die Lukas zusammenträgt, um sie an den Anfang des Weges zu stellen, den Jesus mit der wachsenden Gruppe seiner Schüler – seiner Jünger – von Galiläa nach Jerusalem geht. Es ist sein Marsch auf die Hauptstadt: Der zum König Gesalbte – der Christus, der Messias – wird in die Königsstadt auf dem Berg Zion einziehen. Und immer mehr Männer und Frauen schließen sich ihm an.
  • Das sind die Menschen, die Jesus provoziert: Er spricht von seinem Schicksal und macht keine Hoffnung, dass es seine Jünger bequemer haben würden als er, der heimatlos ist. Sie sollen – provoziert Jesus – sich nicht mehr um die Vergangenheit und die bisherige Umgebung sorgen. Brüsk sagt er: Lass doch die Toten ihre Toten begraben. Das Reich Gottes ist anders nicht zu haben. Wer immer nur zurückschaut, wird nie erleben, dass Gott mächtig ist in seinem Leben.

2. Gotteserfahrung

  • Lukas hat für sein Evangelium wohl nicht zufällig diese Begegnungen ausgewählt. In ihnen finden wir die beiden Grund-Weisen der religiösen Erfahrung.
  • Die eine Weise ist von Innen her. "Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst."  Ohne dass schon feststeht, wohin es geht, entdeckt ein Mensch in sich die großherzige Bereitschaft, sich aufzumachen. Für mich ist das Unbedingte in der Bereitschaft – "wohin du auch gehst!" – ein Hinweis darauf, dass es nicht um Zwecke, Strategien oder Nützlichkeitserwägungen geht. Das ist – zumal bei jungen Menschen – durchaus eine Erfahrung der Wirklichkeit Gottes, wenn sie diese Bereitschaft in sich entdecken. Ich denke, auch ältere könnten sich diese Fähigkeit zum Abenteurertum Gottes bewahren.
  • Neben dieser Erfahrung Gottes in der eigenen Bereitschaft zum Unbedingten steht der Ruf. "Zu einem anderen sagte er: Folge mir nach!". Wir wissen nicht, in welcher Situation Jesus ihn kennen gelernt und angesprochen hat. Es ist auch selten so, dass Gottes Stimme erschallt: "Folge mir nach!" Wohl aber ist es so, dass wir in Situationen kommen, in denen wir genau erfassen können: Hier bist Du gefragt. Dafür hat Dein Leben Dich vorbereitet. Vielleicht mit Zittern und Zagen, doch es ist Deine Berufung.
    Man kann dem entgehen, wenn man sichzeitlebens hinter dem Ofen versteckt oder nichts, als sich selbst, Bedeutung zumisst. Dort aber, wo ich ein Gespür für Gottes Wirken habe, tritt in solchen Situationen das Unbedingte hervor. Unberechenbar, unkalkulierbar, unabsehbar in den vielleicht sehr unangenehmen Konsequenzen für mich selbst. Denn häufig ist es, dass wir dies Berufung haben im Angesicht von Ungerechtigkeit, die jemanden angetan wird. Das erfordert das Vertrauen, dass Gott meine Kraft ist – ein Vertrauen, dass ich überhaupt erst entdecken muss, entdecken kann! Unzählige Erlebnisse vor allem in schweren Zeiten bestätigen das – für Deutsche stehen uns vor allem die mutigen Menschen vor Augen, die der Gewaltmaschine des Nazi-Reiches Widerstand geleistet haben: die Verfolgte beschützt, die Waffe verweigert, die Wahrheit gesagt, dem Tyrannen widerstanden haben.

3. Perspektive

  • Gerade das letzte erinnert: Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem, wo sich seine Berufung erfüllt. Wir wissen um den Preis, den er zahlen muss. Auch ihm wird es nicht leichtgefallen sein, alles bleiben zu lassen und nach vorne zu schauen.
  • Doch das "nach vorne schauen" bedeutet radikal: nicht nach hinten schauen. Die Provokation Jesu ist deutlich: "Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes!" Und: "Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes." Das Reich Gottes – die Erfahrung der Mächtigkeit Gottes in dieser Welt – setzt die radikale Perspektive voraus: Nicht aus den alten Bindungen, Familie, Tradition, Bekanntes sollen wir leben, sondern aus dem Kommenden.
  • Das sollte nicht mit einer Allerweltsweisheit verwechselt werden, man möge optimistisch nach vorne schauen. Nach kalkulierenden Menschen-Maßstäben besteht kein Anlass zum Optimismus. Auf Jesus wartet das Kreuz. Der Blick nach vorne ist der Blick auf Gottes Mächtigkeit wider alle Macht der Finsternis. Der Blick nach vorne geht über die Zeitlichkeit hinaus, auf eine alle Zeit überragende Macht. Menschen nehmen eine Berufung an wider alle Hoffnung, weil sie über alle Hoffnung vertrauen, dass das letzte Wort bei Gott ist. Seine Macht wird wirksam in den Menschen, die sich rufen lassen. Diese Liebe wirkt in denen, die sich unbedingt dem Ruf Gottes anvertrauen. Oft in vielen kleinen Entscheidungen. Manchmal in Begegnungen, die das ganze Leben verändern, wenn wir uns berufen lassen - Ich will ihm nachfolgen, wohin es auch geht.