Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 2. Adventssonntag Lesejahr A 1989 (Matthäus)

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9./10. Dezember 1989 - St. Evergislus Bonn-Bad Godesberg

Zielsatz: Johannes kündet die Unterscheidung, damit wir uns entscheiden.

1.

  • Wie viel von dem, was wir tagein tagaus tun, ist eigentlich Routine. Wir handeln aus Gewohnheit. Und die vielen kleinen Entscheidungen treffen wir nach Schema F.
    Das ist auch gut so. Stellen Sie sich nur vor, wir müßten ständig grundlegende Entscheidungen treffen. Wir wären hoffnungslos überfordert.
    Und doch gibt es Punkte in unserem Leben, an denen müssen wir uns entscheiden. Es gibt Punkte, an denen ist Schema F die schlechteste mögliche Lösung. Es gibt schlechte Gewohnheiten, die wir allein deswegen nicht ändern, weil die dazu nötige Entscheidung Anstrengung kostet.
  • Da sollte uns das heutige Evangelium zu denken geben.
    Johannes, der Täufer, der letzte der Propheten, ruft zur Entscheidung. Er ruft heraus aus gewohntem Trott, aus gewohnter Sicherheit, aus Schema F.
    Johannes ruft zur Entscheidung. Aber dieser Aufruf ist nicht harmlos gemeint. Johannes ruft zur Entscheidung, weil es um Entscheidendes geht. Bereitet dem Herrn die Wege heißt: Gott selbst kommt.
  • Hier geht es nicht um irgendeine belanglose Entscheidung, hier geht es um mich. Gott selbst kommt - und wie sehe ich dabei aus? - Das ist die Frage.

2.

  • Damit wird ein zweites klar: Um entscheiden zu können, muss ich unterscheiden.
    Nachts sind alle Katzen grau. Aber im Licht zeigt sich, was ist. Es kommt ans Licht. Die Gottesferne ist vielleicht gar nicht mal nur das Böse, sondern vor allem das Gleichgültige, dem alle Katzen grau sind. Gott aber ist das Licht. Wenn er kommt, tut Umkehr not, dass mein Leben im Licht besteht. Denn das Licht wirkt unterscheidend.
    Das ist die Botschaft des Johannes: Entscheidet Euch, kehrt um, denn jetzt wird unterschieden. Jetzt gehen wir auf das Ende der Zeit zu, an dem nichts bleibt. Mit dem Kommen Christi geht die Zeit der Unentschiedenheit zu Ende und läuft alles auf die große Unterscheidung zu ("Die große Scheidung nennt C. S. Lewis das für mich faszinierenste Buch über Himmel und Hölle).
  • Wenn unterschieden wird, wenn die Zeit der Unterscheidung kommt, zeigt sich, wer sich entschieden hat.
    Schauen Sie auf die Vorgänge der letzten Tage in der DDR. Welcher der SED-Bonzen hätte denn vor wenigen Wochen noch gedacht, dass er sich verantworten muss. Bis zur letzten Woche hat doch ein Herr Krenz geglaubt, er könne sein Lob auf das Massaker von Peking vergessen machen.
    In der DDR ist jetzt die Zeit der Unterscheidung.
    Ich bin fest davon überzeugt, dass die meisten derjenigen, die jetzt wegen Korruption angeprangert werden, ganz langsam und unmerklich dort hinein geschlittert sind. Aber das macht die Sache nicht besser.
    "Wenn ich das früher gewusst hätte..." , mag sich so mancher dort drüben jetzt sagen, hätte ich mich früher schon für das Volk und gegen die Privilegien entschieden.
  • Darin zeigt sich wer Gott ist: Er sagt uns jetzt, das die Zeit der Unterscheidung nahe ist, jedem hautnah, damit wir uns entscheiden. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt. Schon hält er die Schaufel in der Hand; er wird die Spreu vom Weizen trennen und den Weizen in seine Scheune bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen. Tun wir nicht so, als hätten wir es nicht gewusst.

3.

  • Vor Gott wird mir eine Entscheidung möglich, weil sein Licht unterscheidend wirkt.
    Das sieht in jedem Leben anders aus. Beim einen geht es um die Entscheidung, eine schlechte Gewohnheit aufzugeben. Beim anderen geht es darum, sich aufzuraffen, endlich mit jemand das Gespräch zu suchen, mit dem ich schon lange nicht mehr rede, weil ich ihn oder sie abgeschrieben habe, gar innerlich verachte.
  • Ich glaube schon: Jeder von uns kennt in seinem Leben diesen Trott, dieses Schema F, das schon längst unter der Hand so unerträglich geworden ist - für mich wie für andere.
  • Johannes ist in seinem Urteil hart. Die Unterscheidung, die er ankündigt ist einschneidend. Auch in der Wortwahl ist er nicht zimperlich, wenn er die Frommen und Kleriker seiner Zeit mit Ihr Schlangenbrut! begrüßt. Johannes ist hart, zu anderen wie zu sich.
    Aber er weiß auch, dass er nicht der Entscheidende ist. Der aber, der nach mir kommt ist stärker als ich und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen. Nach ihm kommt einer vom Heiligen Geist getragen. Und dieser kommt, uns zu retten. Uns zu helfen. Uns nahe zu sein.
    Dadurch, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden sind, haben wir einen Mittel, in unserem Leben zu guten Entscheidungen zu kommen. Ich muss nur immer wieder das Evangelium lesen, um mit der Lebensweise, dem Stil, dem Gottvertrauen und der Nächstenliebe Jesu vertraut zu werden. Und mich dann in meinem Leben fragen: Und wie hätte Jesus jetzt gehandelt?
    Jesus selbst ist die helfende Hand Gottes. Die Botschaft Jesu ist die Zusage Gottes, dass er jedem nahe ist, der sich auf den Weg zu Gott macht. In der Entscheidung sind wir nicht allein. Er will uns Kraft geben zur Umkehr, zum Neuanfang, zur Versöhnung.
    Tun wir das Unsere. Und überlassen wir die Unterscheidung, überlassen wir das Scheiden der Spreu vom Weizen Gott, voll Glauben und Vertrauen. Amen.