Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 2. Adventssonntag Lesejahr B 2023 (Jesaja)

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10. Dezember 2023 - St. Peter, Sinzig

1. Unzeitgemäß

  • Dass man unzeitgemäß sei, gilt meist als Tadel. Schon das Wort "unzeitgemäß" ist so unzeitgemäß, dass man es vermeiden möchte, als solches zu gelten.
    Allerdings stellt sich die Frage, ob es nicht auch Zeiten geben kann, in denen es höchst angemessen wäre, sich nicht dieser Zeit gemäß zu verhalten. Vor fünfzig Jahren über Grenzen der Belastung unserer Umwelt zu sprechen, wurde als unzeitgemäß empfunden. Es war dieselbe Zeit, in der wir überall noch neue Kirchen gebaut haben und meinten, Dorfkirchen vergrößern zu müssen, weil es ja alles immer besser werde und Geld kein Thema sei. Das mag damals zeitgemäß geklungen haben. War es das?
    Deswegen sollte als zeitgemäß eigentlich das gelten, was der Zukunft gemäß ist. Und zwar einer Zukunft, von der wir hoffen, dass sie klüger geworden ist! Nur dann kann ich an der Zukunft entscheiden, was zeitgemäß ist. Doch da die Zukunft bekanntlich noch nicht da ist, bleibt nichts anderes übrig, als sich im Handeln und Denken nach dem zu richten, was ich für hier und jetzt richtig halte. Machen wir uns also frei von dem Urteil anderer, was als zeitgemäß gilt - oder wie man zeitgemäß vielleicht sagen würde: was als cool gilt.

2. Der Zeit entgegen

  • Der Prophet Jesaja und die nach ihm benannte Schriftensammlung in der Bibel ist - zu verschieden Zeiten - unzeitgemäß.
    Jesaja ist unzeitgemäß, weil er inmitten von Elend von Herrlichkeit spricht. Jesaja ist unzeitgemäß, weil er dort, wo alle nur Probleme sehen, klar sieht; wo Berge die im Weg stehen und unüberwindliche Abgründe jedes Vorwärtskommen behindern, sieht er eine Straße, breit, geradeaus, ein Prachtboulevard mitten durch die Wüste. Vor allem aber: Wo in Jerusalem keiner mehr mit Gott rechnet, da verheißt Jesaja, dass gerade von dieser Stadt aus für alle Völker Gott sichtbar werden wird. Wo das Land durch Terror und Gewalt gekennzeichnet ist und niemand einen Ausweg zu sehen scheint, verheißt Jesaja Frieden.
    Aber derselbe Jesaja, der Gott in einander überschlagenden Bildern von Macht und Herrlichkeit zeichnet, lässt diese Bilder kippen zu einem ganz anderen: Dem Bild eines Hirten, der seine Arbeit gut macht: Er kümmert sich um die Schwachen und ist sich nicht zu schade, bei seiner Herde zu sein. Das Gegenteil des über dem Volk erhabenen Herrschers. - Auch darin ist Jesaja noch einmal unzeitgemäß. Er bricht auch die eigenen Selbstverständlichkeiten auf.

3. Advent

  • So bleibt von dem Wort "unzeitgemäß" eigentlich nur eines: Wir sollten uns davon nicht beeindrucken lassen. Es ist nicht entscheidend, wer was für angesagt und zeitgemäß hält. Entscheidend ist zu jeder Zeit, den eigenen Kopf zu gebrauchen und das eigene Herz zu fragen: Was bedeutet es heute und in dieser Situation, auf Gott zu vertrauen, statt ängstlich auf die Zustimmung von Menschen zu schielen.
  • Es ist heute verbreitet, schon im Advent überall Weihnachtsbäume stehen zu haben. Dabei ist Weihnachten erst am 25. Dezember. Die Verwischung der Zeiten - Adventszeit, Weihnachtszeit - dient vielleicht dazu, die Vorbereitung auszublenden. Als sei Weihnachten schon da, klingen jetzt schon die Lieder und stehen überall die Weihnachtsbäume.
  • Wer in diesen Wochen unzeitgemäß ist, dem geht das zu schnell. Dem sind da zu viele Selbstverständlichkeiten drin. Jesaja lässt sich Zeit für die Trauer. Und lässt sich doch von ihr nicht bestimmen. Jesaja meditiert die Vergänglichkeit. Und bekommt gerade dadurch einen Blick für das Unvergängliche. Es hat alles seine Zeit, und gerade dann ist es richtig, sich davon nicht gefangen nehmen zu lassen, sondern zu rufen: Jetzt, gerade jetzt bereitet Gott einen Weg! Amen.