Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Weihnachtsfeiertag/Stephanus 2022

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26.12.2022 - Sinzig-Bad Bodendorf

1. Stephanus in der Weihnachtskrippe

  • Stephanus gehört in die Weihnachtskrippe. Trotzdem findet man ihn wahrscheinlich nirgendwo in der lieblichen Landschaft rund um den Stall von Betlehem. Und dennoch gehört Stephanus zur Krippe, auch wenn es eher ein Zufall des liturgischen Kalenders ist, dass der zweite Tag der Weihnachtsoktave (der Woche von Weihnachten) zugleich das Fest des ersten Märtyrers der Kirche ist.

  • Stephanus ist der Praxistest auf Weihnachten. Angesichts seiner Figur werden wir gezwungen uns zu fragen, was uns Weihnachten in einer Welt bedeutet, in der die Gewalt häufig die besseren Argumente zu haben scheint. Gerade wenn ein bewaffneter das Haus überfällt oder ein Tyrann die Menschen im Nachbarland mit Krieg überzieht und daher Widerstand gegen den Aggressor bedeutet, zu den Waffen greifen zu müssen – gerade dann ist die Frage wichtig, ob wir uns in die Logik der Gewalt fügen müssen und ihr die Herrschaft über unser Denken und Fühlen überlassen wollen.

  • In den USA zieht die Waffenlobby aus dem Massaker in der Grundschule in Newtown die Konsequenz, man müsse halt auch die Lehrer bewaffnen, um die Kinder zu schützen. Ich frage mich, ob sie dann auch Bodygards mit Schnellfeuerwaffen an die Krippe stellen würden - mit der Theorie, man müsse die Hirten bewaffnen, um das Jesuskind vor der Gewalt in der Welt zu schützen.

    Stephanus schützt das Jesuskind vor der Gewalt. Aber er macht das nicht auf dem Weg des bewaffneten Gegenschlags, sondern auf dem einzigen Weg, der dem Glauben an Gottes Menschwerdung im Stall von Betlehem angemessen ist: Durch den radikalen Verzicht auf Gewalt. Gegen den blindwütigen Hass seiner Gegner hat Stephanus einzig das Vertrauen, dass Gewaltanwendung den Tod bedeutet, und Gewaltverzicht uns an die Seite dessen stellt, der allein das Leben schenken kann. Dafür ist Stephanus 'Märtyrer' - denn das griechische Wort bedeutet einfachhin 'Zeuge'

2. Menschensohn zur Rechten Gottes

  • Stephanus gehörte zu den allerersten Christen. Er war Jude, aber geprägt durch die griechische Kultur der Antike. Auch sein Name ist griechisch und nicht hebräisch. Er gehörte zu den Sieben, die in der Gemeinde in Jerusalem die Aufgabe übertragen bekommen hatten, sich um die Armen zu sorgen. Auf diese Sieben wird das Amt des Diakons in der Kirche zurückgeführt.

  • In der Apostelgeschichte wird aber vor allem darüber berichtet, dass Stephanus in Gesprächen und Diskussionen dafür eingestanden ist, dass sich in Jesus Christus die Verheißungen Gottes erfüllt haben. Das macht Stephanus zum Anstoß und Skandal, denn dieser Jesus ist erst wenige Jahre zuvor als Verbrecher hingerichtet worden. Die Apostelgeschichte führt eine lange Rede des Stephanus an, die in der heutigen Lesung übersprungen wurde. Unser Ausschnitt setzt erst dort wieder ein, wo die Reaktion der Gesprächspartner geschildert wird: Sie ersetzen Zuhören durch Geschrei und Argumente durch Gewalt: "Sie erhoben ein lautes Geschrei, hielten sich die Ohren zu, stürmten gemeinsam auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn."

  • Der Punkt aber, der die Zuhörer so erbost ist: Stephanus sieht "den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen". – "Menschensohn" ist das Wort, mit dem sich Jesus häufig selbst bezeichnet hat. Das Wort findet sich im Alten Testament und beschreibt den, der von Gott her in diese Welt kommt, um die Geschichte zu ihrem Ziel zu führen. Jesus sah sich selbst als diesen "Menschensohn". Stephanus sieht "den Himmel offen" und erkennt: Von nun an ist die Herrlichkeit Gottes nicht mehr zu sehen und zu denken, ohne den an seiner Seite, der im Stall von Betlehem geboren wurde, der die Gewaltlosigkeit nicht nur gepredigt, sondern bis an das Ende gelebt hat - eine Gewaltlosigkeit, die aus dem festen Vertrauen kommt, dass Gott allein mein Leben bewahren kann, und dass er dafür keine Schnellfeuerwaffen braucht.

3. Gebet durch Christus

  • Konsequenzen hat all das für unser Gebet zu Gott. Damit meine ich nicht nur diese Feierabend- und Sonntagsbeschäftigung, für die wir in die Kirche oder in das stille Kämmerlein gehen, sondern die Lebenshaltung, die versucht, in allem Denken, Fühlen und Handeln mit Gott in Verbindung zu sein. Diese Lebenshaltung des Gebetes, eines Lebens mit Gott, ist der Ort, an dem der Menschensohn zur Rechten der Herrlichkeit Gottes steht.

  • Stephanus betet in seinem letzten Atemzug: "Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!". Das erinnert an den Psalm 31: "In deine Hände lege ich voll Vertrauen meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott." Auch Jesus selbst hat am Kreuz gebetet: "Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist." Stephanus richtet dieses Gebet jetzt an Jesus selbst. Zu Gott beten ist für ihn nur denkbar als Gebet zu Gott, der sich im Stall von Betlehem, in der Bergpredigt und in der Hingabe am Kreuz geoffenbart hat. Es ist das Gebet zu Gott, der machtvoll ist nicht in Gewalt und Zerstörung, sondern in der treuen Liebe und in dem Leben, das nur durch Hingabe zu gewinnen ist.

  • Der Praxistest findet in unserem Alltag statt. Dort werden wir kaum mit Kreuzigung und Steinigung bedroht. Aber wir sind in der Situation, das nach Menschenermessen in der Ukraine Unrecht und Angriff mit Gewalt zurückgewiesen werden muss. Aber eben nicht Unrecht mit Unrecht zu beantworten. Denn das hieße, Gott zu verlassen und das Gebet einzustellen. Dadurch würde der Himmel verschlossen. Geöffnet aber wurde dieser Himmel durch die Menschwerdung im Stall von Betlehem. Deswegen gehört Stephanus in die Weihnachtskrippe. Amen.