Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 26. Sonntag im Lesejahr B 2012 (II.Vatikanisches Konzil)

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30. September 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg


Predigtreihe im Kleinen Michel September/Oktober 2012

aus Anlass der Eröffnung des Konzils vor 50 Jahren

 

1. Was heute wichtig ist

  • Papst Johannes XXIII wusste nicht, was das Konzil bringen würde. Als er am 11. Oktober vor 50 Jahren die Versammlung von über 2.000 Bischöfen und Ordensoberen eröffnete, da hatte er kein fertiges Konzept dafür, was das Ergebnis der Versammlung sein würde. Wahrscheinlich ahnte er, dass er selbst das Ende des Konzils nicht mehr auf Erden erleben würde.
    Aber Papst Johannes wusste eines: Wenn Christen zusammenkommen, zusammen beten, zusammen auf das Wort der Heiligen Schrift hören und darum wissen, wie der Geist Gottes die Kirche in nun schon bald 2.000 Jahren geführt hat, dann kann sich die Kirche auch heute auf den Heiligen Geist verlassen. Johannes vertraute darauf, Gott würde diese größte Bischofs-Versammlung aller Zeiten mit seinem Geist erfüllen.
  • "Gaudium et Spes", "Freude und Hoffnung" heißt das Dokument, das wie kaum ein anderes deutlich gemacht hat, woran sich das Zweite Vatikanische Konzil von allen anderen 20 Allgemeinen Konzilien der Kirchengeschichte seitdem unterscheidet. Das Dokument ist eine "Pastorale Konstitution", das heißt es ist eine verbindliche Lehre, aber mit pastoralem Ziel. Viele im Vatikan hatten zuvor gedacht, die Kirche habe zeitlos gültig alle Antworten; das Konzil müsse diese nur bestätigen. Papst Johannes jedoch vertraute darauf, dass der Heilige Geist die Bischöfe zu den Fragen führen würde, die heute Menschen bewegen.
  • "Gaudium et Spes" spricht von der Welt von heute und davon, was unsere Aufgabe als Kirche für diese Welt ist. Ganz bewusst ist das Dokument vorsichtig mit fertigen Antworten. Statt dessen lädt es "alle Menschen guten Willens" (Nr. 22) zum Dialog ein. Die Kirche besteht aus Menschen, die in der selben Welt und Zeit leben, wie alle anderen auch. "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi." Das Konzil wusste, dass unsere Sendung als Kirche heute sich nicht in zeitloser Lehre erschöpft, sondern den Menschen von heute gilt, in ihrer "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst".

2. Kirche für heute

  • Das Konzil ist von manchen viel kritisiert worden. Es sei der Beginn vom Niedergang der Kirche gewesen. Diese Kritik ist, wie ich meine, ganz sicher falsch. Sie ignoriert die dramatischen Veränderungen unserer Kultur, die schon vor dem Konzil begonnen hatte, und der die Katholische Kirche ohne das Konzil völlig hilflos gegenüber gestanden wäre.
  • Dennoch waren die Jahrzehnte nach dem Konzil nicht leicht. Im Rückblick lässt sich leicht feststellen, dass es oft einseitig rezipiert wurde. Das gilt besonders für das Dokument "Gaudium et Spes", von dem manche heute noch behaupten, es sei im Stil der 60er Jahre naiv fortschrittsgläubig. Solchen Kritikern sei empfohlen, den Text selbst zur Hand zu nehmen: "Gewiss ist die Menschheit in unseren Tagen voller Bewunderung für die eigenen Erfindungen und die eigene Macht; trotzdem wird sie oft ängstlich bedrückt durch die Fragen nach der heutigen Entwicklung der Welt, nach Stellung und Aufgabe des Menschen im Universum, nach dem Sinn seines individuellen und kollektiven Schaffens, schließlich nach dem letzten Ziel der Dinge und Menschen."
  • Nicht naiv, sondern aufmerksam waren die Konzilsteilnehmer: Aufmerksam für das Wort Gottes und aufmerksam für das Doppelgesicht des Fortschritts. In der Zeit, wie sie ist, mit allem Positiven, aber auch allem Zweifelhaften sind wir als Kirche berufen "Zeuge und Künder des Glaubens" zu sein. Die Welt mit ihren medizinischen Fortschritten und ihren verheerenden Kriegen, ihrem Bewusstsein für die unveräußerlichen Rechte aller Menschen und ihren globalen sozialen Verwerfungen, diese Welt braucht die Christen und braucht uns als Kirche, weil das Evangelium für alle Zeiten eine befreiende Botschaft ist.

3. Unsere Kirche für morgen

  • Es mag Zufall sein, aber dann einer mit hohem Symbolgehalt. Die 70er Jahre hatten einen Horror vor hohen Räumen. In Altbauwohnungen wurden die Decken abgehängt und viele Betonbauten sind gleich schon mit niederdrückend niedrigen Eingängen versehen worden. Bei der letzten Sanierung des Kleinen Michel hat dieses Zeitgefühl Spuren hinterlassen. Die schweren Leuchten und die als Linie umlaufenden Goldkassetten halbieren optisch die Raumvertikale. Nicht nach oben sollte der Blick gehen, sondern in die Horizontale.
    Heute spüren wir, dass damals nicht nur in der Architektur der Blick nach oben zu schwach ausgefallen ist. Auch in der Liturgie und in den Aktivitäten der Gemeinden stand oft zu sehr das Bemühen im Vordergrund, zeitgemäß für die Menschen da zu sein, ohne genug nach oben zu schauen. Aber so wichtig der Blick in der Horizontale ist, ohne den Blick nach oben geht der Kern aller Dinge verloren. Daher ist die Sanierung des Kleinen Michel, die morgen beginnt, ein Stück Programm: Wir wollen die Höhe des Kirchenraumes wieder erlebbar machen und diese "Zwischendecke" aus Lampen und Zierrat herausnehmen.
  • Es wird aber auch anderes herausgenommen werden. Wir wissen, dass das für manche nicht leicht sein wird. Ein Beispiel dafür ist die Figur des Hl. Joseph. Sie ist ein Geschenk der Kolpingfamilie an unsere Kirche gewesen. Sie stammt aus der Zeit, als diese Gruppe ein junger, lebendiger Teil unserer Gemeinde war. Zumindest hier für Kolping Hamburg-Zentral ist diese Zeit vorbei.
    Die Josephsfigur ist Erinnerung. Wenn wir sie nach der Sanierung nicht wieder aufstellen wollen, dann ist das nicht eine Geringschätzung der Vergangenheit. Im Gegenteil. Wir wollen das, was in der Zeit des Aufbruchs nach dem Konzil auch der Kolping-Gruppe wichtig war, was sie inspiriert und motiviert hat, ernst nehmen.
  • Die Kirche darf nicht zur Hüterin vergangener Zeiten werden. Wir haben damals wie heute von Christus selbst den Auftrag, das Evangelium im Dialog mit der Gegenwart zu verkünden. Vieles im Kleinen Michel hat sich über die Zeiten angesammelt. Vieles ist aber auch einfach heruntergekommen. Diese Kirche hat den Charme eines Wohnzimmers, in dem viel herumsteht, was mit Erinnerungen verbunden ist, die ihren Wert haben. Aber es ist an uns heute, im Blick auf unsere Stadt und ihre Menschen, vor allem die jüngere Generation, wieder eine Klarheit zum Ausdruck zu bringen, die nicht Vergangenes betrauert, sondern die für heute sagt: "Gaudium et Spes", "Freude und Hoffnung" bringt Gottes Gegenwart. Dies zu verkündigen sind wir als Kirche berufen, auch hier in Hamburg am Kleinen Michel. Amen.