Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 27. Sonntag im Lesejahr B 2012 (II.Vatikanisches Konzil)

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7. Oktober 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg


Predigtreihe im Kleinen Michel September/Oktober 2012

aus Anlass der Eröffnung des Konzils vor 50 Jahren

 

1. Kein Dialog mit Götzendienern

  • Vor fünfzig Jahren, am 11. Oktober 1962, wurde das Zweite Vatikanische Konzil in Rom eröffnet. Woran wird man sich in 500 Jahre erinnern, wenn diese Versammlung von über 2.000 Bischöfen und Ordensoberen aus aller Welt in einem Kapitel der Kirchengeschichte erwähnt werden sollte? Vermutlich wird dieses Konzil schon allein deswegen ein Einschnitt bleiben, weil es nach Jahrhunderten eines rein europäischen Katholizismus zum ersten Mal so etwas wie eine globale Perspektive gab. Vielleicht wird in Erinnerung bleiben, dass dieses Konzil einen Aufbruch gewagt hat, und die Katholische Kirche in mancher Hinsicht erstmals in der Gegenwart angekommen ist. Ganz sicher aber bin ich mir, dass im Rückblick etwas anderes als das Wichtigste gelten wird: Die Neubestimmung des Verhältnisses der Kirche zu den anderen Religionen. Das war - eigentlich ungeplant - die bemerkenswerteste Revolution.
  • Wer versucht, das Verhältnis der Kirche zu anderen Religionen zu bestimmen, würde in der Bibel erst einmal viel Angrenzung und Ablehnung finden. Exodus 20,3: "Du sollst neben mir keine anderen Götter haben." 1. Buch der Chronik 16,26: "Alle Götter der Heiden sind nichtig, der Herr aber hat den Himmel geschaffen." Israel, das Volk Gottes, hat erfahren und erkannt, dass es eben nicht viele Götter geben kann, sondern alles, was man Götter nennt, nur geschöpfliche Kräfte sind. Wenn Menschen andere Götter als Gott verehren, dann bedeutet das, etwas Geschaffenes zu verehren, Menschenwerk und Menschenkult. Der Dienst für andere Götter war für Israel immer mit Unterwerfung unter andere Völker und mit einer Abkehr von der von Gott geforderten Gerechtigkeit verbunden. Wer sich seinen Gott nach Opportunitätsgesichtspunkten aussucht, hat sich seinen Gott selbst geschaffen und ist davon abhängig - und das ist eben nicht Gott, sondern Menschenwerk nach Menscheninteressen.
  • In der Bibel gibt es das Thema "Verhältnis der Weltreligionen" nicht. Immer geht es dort um die konkrete Situation, wie wir, als Volk Gottes, Gott treu bleiben. Israel war ein kleines Volk am Rande der Welt und oft genug ein Spielball der Großmächte und ihrer Götzenkulte ringsum. Die Abgrenzung hatte da ihren guten - bis heute guten! - Sinn: Wir bleiben immer versucht, eigenen Göttern nachzulaufen. Daher braucht es für die Gemeinschaft der Glaubenden eine Kultur, die sich um Reinheit im Glauben und im Kult bemüht.

2. Für und wider

  • Wer will findet in der Bibel 'Belegstellen', die gegenüber anderen Religionen nur eine Haltung zu fordern scheinen: Abgrenzung. Im katholischen Raum hört man dagegen eher andere Argumente, die damit argumentieren, dass der christkatholische Glaube die Wahrheit sei, und dem Irrtum kein Recht und kein Raum einzuräumen sei; mit dem Irrtum könne man nicht verhandeln. Diese Haltung ist vor allem geprägt von einer katholischen Kirche des 19. Jahrhunderts, die sich im Unterschied zum Protestantismus, der sich der Moderne allzu oft völlig auslieferte, kämpferisch gegen die Moderne abgrenzte, auch gegen Demokratie, Menschenrechte und Toleranz.
  • Die Piusbruderschaft, die das Zweite Vatikanische Konzil gerade in den zentralen Punkten bis heute ablehnt ("...von Irrtümern durchzogen"), lehnt vor allem die Lehre von der Religionsfreiheit ab und damit überhaupt die Weise, wie das Konzil das Verhältnis der Kirche zu den Weltreligionen bestimmt hat. Auf der offiziellen Webseite wird gefordert "Andere Religionen kann der Staat dulden - insbesondere dann, wenn ihre Anhänger zahlreich sind -, aber er kann sie nicht in gleicher Weise anerkennen wie die katholische" - denn diese allein sei doch die wahre Religion. Nicht die alte lateinische Liturgie ist der eigentliche Grund der Abspaltung dieser Bruderschaft von der römischen Kirche, sondern die Fragen des Verhältnisses zu den Religionen, wie sie im Konzil bestimmt wurden. Dabei muss man eingestehen, dass die Erklärung "Nostra Aetate. Über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen" besonders viele Gegenstimmen bekommen hatte: 88 Bischöfe waren dagegen. Aber 2.221 Bischöfe waren dafür!
  • Die Gründe, warum dem Konzil das Thema aktuell und wichtig erschien, werden klar benannt: Die Fortschreitende Globalisierung ("Zeit, da sich das Menschengeschlecht von Tag zu Tag enger zusammenschließt und die Beziehungen unter den verschiedenen Völkern sich mehren") und die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns angesichts der globalen Bedrohung durch Kriege und soziale Ungerechtigkeit - da es die Aufgabe der Kirche ist "Einheit und Liebe unter den Menschen und damit auch unter den Völkern zu fördern".

3. Der christliche Glaube und die Religionen

  • Wer mit der Bibel in der Hand gegenüber anderen Religionen nur Abgrenzung gelten lassen will, kennt nur die Hälfte dessen, was er da in Händen hält. Denn schon das Alte Testament weiß von Anfang an - das heißt: von der Berufung des Abraham an - dass die Berufung zum Glauben immer auch die Perspektive auf andere Menschen und Völker beinhaltet: "durch ihn sollen alle Völker der Erde Segen erlangen" (Gen 18,18). So sehr für das Volk Gottes gilt, dass es "keine anderen Götter" haben soll, so sehr finden sich auch im Alten Testament durchaus Stellen, die mit Respekt von anderen Völkern und ihrem Glauben sprechen. Und im Neuen Testament begegnet uns dieser Respekt just an der Stelle, an der Paulus in Athen anderen Religionen begegnet; er findet in dieser Stadt viele Altäre und beginnt die Predigt, in der er Christus verkündet, mit dem Satz: "Athener, nach allem, was ich sehe, seid ihr besonders fromme Menschen" (Apg 18,18).
  • In diese Tradition stellt sich die Katholische Kirche im Zweiten Vatikanum: "Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet." Gott hat sich in der Geschichte offenbart; in Jesus Christus ist er sicht- und erkennbar geworden. In eben diesem Christus sind aber alle Menschen erschaffen und daher können alle Menschen in ihrer Kultur Spuren dieses Gottes finden, der der Urgrund von allem ist.
  • Das anzuerkennen ist kein falscher Realtivismus. Auch darin ist das Konzil klar: "Unablässig aber verkündet die Kirche und muss sie verkündigen Christus, der ist »der Weg, die Wahrheit und das Leben« (Joh 14,6), in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat". Aber mit dem Dokument "Nostra Aetate" über die Weltreligionen hat die Katholische Kirche den Weg geöffnet, um anderen Religionen und Völkern mit Respekt zu begegnen, mit ihnen in Dialog zu treten, und durch diese respektvolle Weise den Glauben zu bezeugen.
  • Das Bild zu diesem Thema des Konzils hat 1986 Papst Johannes Paul II ermöglicht. Er hat Vertreter der Weltreligionen nach Assisi zum Friedensgebet eingeladen. 150 Vertreter von 12 verschiedenen religiösen Gruppierungen sind der Einladung gefolgt. In den Jahren 1993, 2002 und 2011 folgten drei weitere Treffen. Die Bilder sind welt- und religionsgeschichtlich sensationell: An einem Ort, in gegenseitiger Achtung betet jeder gemäß seiner Religion: dass die Menschen dieses Planeten gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit eintreten und wirken. An dieses Bild, so bin ich mir sicher, wird man sich noch lange als Einschnitt in der Weltgeschichte erinnern. Amen.