Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2023 (1 Petrusbrief)

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22. April 2023 - St. Michael, Sinzig-Franken

1. Zweifel an der Freiheit

  • Der Physiologe und Gehirnforscher Benjamin Libet hat eine interessante Beobachtung gemacht. Nach dem "Libet-Experiment" sieht es so aus, als würde zwischen der Vorbereitung einer Handlung im Gehirn und der Ausführung eine kurze Zeit liegt: Demnach würde zuerst das unbewusste Wollen stehen und dann erst die Gehirnregion aktiv, durch die ein Mensch das Gefühl hat, willentlich zu entscheiden. Diese Beobachtung könnte darauf schließen lassen, dass das Gefühl, wir könnten etwas selbst entscheiden, trügerisch wäre; unser Unterbewusstsein hätte ja schon davor entschieden.
  • Schnell wurde behauptet, der Mensch habe keine Freiheit , sondern bilde sich das nur ein. Ja, unsere Freiheit ist begrenzt.  Das sind äußere Zwänge: Andere und anderes hindert uns zu tun, was wir wollen. Doch oft merken wir auch, dass das, was wir 'irgendwie eigentlich' wollen, nicht das ist, was wir tun. Da sind also auch innere Abhängigkeiten, Gewohnheiten und Zwänge, die Einfluss auf unser Handeln haben.  Das geht unter Umständen weit zurück. Der 1. Petrusbrief spricht von der "von den Vätern ererbten Lebensweise". Das ist auch eine Denkweise. Das kann sehr bestimmend sein.
  • Wer deswegen einfachhin sagt, es gäbe keine Freiheit, dürfte genauso daneben liegen wie alle, die meinen dass jeder Mensch in jeder Entscheidung frei sei. Einerseits will ich uneingeschränkt an der grundsätzlichen Freiheit des Menschen festhalten, nicht zuletzt um der Verantwortung und Würde des Menschen willen. Andererseits muss ich nüchtern feststellen, dass wir auch Zwängen und Bedingungen unterliegen und uns nicht alles möglich ist.

2. Gottes Unfreiheit

  • Erstaunlich ist, dass es auch für Gott keine absolute Freiheit zu geben scheint. Den Emmausjüngern erklärt der Auferstandene: "Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?" Ein Müssen, dem der Messias unterworfen ist. Und in der Pfingstpredigt des Petrus hören wir: "Es war unmöglich, dass er vom Tod festgehalten wurde". Es gibt also offensichtlich auch bei Gott so ein "müssen", Dinge die "unmöglich" und alternativlos sind, weil sie "schon vor Grundlegung der Welt" (1 Petr) so bestimmt sind.
  • Gott offenbart sich als ein Gott, der nicht "alles kann". Vielmehr kann er manches nicht wollen - oder will es nicht können. Christus, der Messias, "musste all das erleiden", weil er sonst sein ganzes Leben verraten hätte: Jedes gute Wort, das er einem Menschen gesagt hat, jede Verkündigung von Gottes Herrschaft und damit all das, woraus und wofür er gelebt hat, hätte er verraten, wenn er sich vor der Macht des Pilatus gebeugt hätte. Am Kreuz ist die Herrlichkeit sichtbar geworden, weil Jesus seiner Sendung treu geblieben ist. Deswegen und nur deswegen war es ihm möglich "in seine Herrlichkeit zu gelangen".
  • Im 2. Timotheusbrief lesen wir: "Wenn wir untreu sind, bleibt er doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen." Das göttliche Müssen durchzieht wie ein roter Faden die ganze Heilige Schrift. Der selbstgewählte Zwang, unter dem Gott im Verhältnis zu uns Menschen steht, wird angezeigt durch das Wort Treue. Es ist ein aus dem Inneren Gottes kommendes Müssen und Nicht-anders-Können. Das Erste Testament schildert es manchmal als dramatisches Geschehen, in dem Gott sich in gerechtem Zorn versucht, um festzustellen, dass er nicht anders kann als seinem Volk - geradezu zwanghaft - treu zu bleiben. Ebenso war es dann auch "unmöglich", dass der himmlische Vater der Gewalt und dem Tod das letzte Wort überlässt. Weil Gott ein - sagen wir es so - 'zwanghaft Liebender' ist, war es für seinen Sohn "unmöglich, dass er vom Tod festgehalten wurde".

3. Freiheit zum Willen Gottes

  • So paradox es zunächst klingt: Meine Freiheit als Christ ist mir gegeben, um mich abhängig zu machen.
    Es ist so wie in der Ehe, dort versprechen sich zwei Partner, sich von einander abhängig zu machen. Treue wird in dem Maße möglich, in dem sich jeder der beiden aus Liebe dazu entscheidet, nicht anders leben zu wollen und dann auch nicht anders leben zu können als mit dem Partner. Das kann dennoch eine konfliktreiche Beziehung sein. Es ist aber ein Geschenk, wenn die "Unfähigkeit" wächst, das Leben anders als in dieser Ehe auch nur zu denken, geschweige denn zu wollen.
  • Was von der Treue in der Ehe gilt, gilt auch für das ganze Leben. Freiheit des Christenmenschen bedeutet dann, sich gezielt und wachsend anzugewöhnen, aus dem Evangelium zu leben. Entschiedenheit für das Gute braucht Einübung. Wer die Kraft hat, den Mund aufzumachen, wenn alle über das Unrecht Schweigen, und aufzustehen, wenn alle sich verbündet haben zum Unrecht, der dürfte einen Lebensweg hinter sich haben, in dem er sich durch viele kleine Erfahrungen und Taten darauf vorbereitet hat. Aus der von der "von den Vätern ererbten Lebensweise" zu der frei gewählten Denkungsart Christi..
  • Das widerspricht auch nicht der Schlussfolgerung, die Benjamin Libet aus seinen Beobachtungen zieht. Am Anfang einer Handlung mag ein unbewusster Impuls stehen. Dieser stellt sich aber anschließend vor das bewusste Entscheiden des Willens. Je mehr und je öfter wir uns richtig entscheiden und richtig handeln, desto mehr wird unser Gehirn sich darauf einstellen und schon das unbewusste, intuitive Wollen uns auf den richtigen Weg führen. Das zutiefst innerste Wollen und das Entscheiden wären eins. Eine größere Freiheit ist für mich nicht denkbar. Amen.