Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 32. Sonntag im Lesejahr A 2005 (Buch der Weisheit)

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6. November 2005 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Weisheit

  • Das Buch der Weisheit ist optimistisch: "wer sie liebt, erblickt sie schnell, und wer sie sucht, findet sie". Keine Spur, dass Weisheit eine esoterische Sache wäre, nur wenigen Auserwählten zugänglich. Kein Pessimismus, dass der Mensch zu dumm, zu oberflächlich, zu verderbt oder unter den Einfluss der Medien zu abgestumpft sei, um Weisheit zu erwerben. Ja, die Weisheit selber geht umher, sie bietet sich dem Menschen an, heiter und freundlich. Gott will uns seine Weisheit schenken, seinen Geist!
  • Weisheit ist etwas anderes als Intelligenz. Wenn ein Ufo von einem anderen Stern käme und wir mit unserem Gehirn alle Intelligenz der entferntesten Galaxien anzapfen könnten, wenn wir intelligenter wären als Einstein und findiger als alle Erfinder, wenn wir die komplizierten mathematischen Rätsel lösen könnten - es wäre noch keine Weisheit.
  • Weisheit ist zugleich umfassend und ganz einfach. Deswegen verwundert es nicht, dass man manchmal bei Leuten ohne viel Wissen, Studium oder Gelehrsamkeit dennoch den Eindruck hat, dass sie einen ganz einfachen und klaren Sinn dafür haben, was wichtig und richtig ist. Weisheit ist eine Prägung des Charakters, die daran gewöhnt ist, die Welt im Geist Gottes zu sehen: liebend, aufmerksam, uneigennützig.

2. Weltbild

  • Der Glaube ist kein Weltbild. In der Geschichte der Juden und Christen haben ganz verschiedene philosophische oder naturwissenschaftliche Weltbilder vorgeherrscht. Der Glaube taugt nicht dazu, uns die Mühe des Nachdenkens über die Welt und ihre Strukturen abzunehmen. Keine Zeile der Bibel nimmt ein Wissen über Biologie, Evolution oder Physik oder auch Philosophie vorweg. Was aber die Erfahrung Gottes im Glauben wohl tut, ist diese Weltbilder zu prägen, sie gleichsam zu imprägnieren.
  • Die zweite Lesung ist dafür ein Beispiel. Mit seinem Trostwort an die Christen in Thessaloniki über die Auferstehung ist Paulus ganz dem antiken "naturwissenschaftlichen" Weltbild verhaftet. Er stellte sich den Himmel oben und das Totenreich unten vor. Oben, über den Wolken, hat man sich Gott vorgestellt. Weder Paulus noch Jesus hatten Erkenntnisse späterer Naturwissenschaft oder Astronomie. Entscheidend aber ist, wie dieses vorausgesetzte Weltbild für Paulus geprägt wird. So sehr er sich die Aufnahme in die Wirklichkeit Gottes räumlich vorstellt, ausschlaggebend ist für ihn, dass dieser Moment ein Gesicht bekommt: Christus. Die Vollendung besteht nicht in irgendeinem glückseligen Zustand, sondern in erfüllter Beziehung zu dem lebendigen Gott.
  • Ob jemand Geschichte studiert oder Pädagogik, Physik oder Jura, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, ob wir in dem was wir tun und denken das Antlitz Gottes suchen und die Würde des Menschen. Geschichte erklärt sich aus historischen Ursachen, Physik aus physikalischen. Aber der Mensch, der als Banker, Physiker oder Lehrer forscht, studiert oder arbeitet ist weise nur, wenn er jeden Bereich der Wirklichkeit als Ort der Gottesbegegnung sieht.

3. Wachsamkeit

  • Solche Weisheit ist wachsam und neugierig. Dies ist mit der Klugheit der fünf Brautjungfern gemeint, von denen Jesus im Gleichnis spricht. Die anderen sind dumm. Jesus bildet dieses Gleichnis, um jeden von uns die Alternative vor Augen zu stellen und uns zu motivieren. Deswegen ist das Gleichnis vor allem am Ende sehr drastisch.
  • Die erste Ebene ist das Bild. Zehn junge Frauen sollen als Brautjungfern mit Fackeln den Bräutigam erwarten. Vielleicht ist eine Prozession vom Haus der Braut zum Hochzeitssaal geplant. Würden die klugen Jungfrauen ihr Öl mit den törichten teilen, ginge auf halbem Weg dem Brautpaar und allen das Licht aus. Die Törichten haben die Frage, worauf es im Letzten ankommt, nur vor sich hergeschoben. Im letzten Augenblick sich Öl zu kaufen funktioniert so wenig, wie kurzsichtig durch das Leben laufen und sich in den wichtigsten Fragen des Lebens auf andere zu verlassen.
  • Letztlich stehen wir selbst vor Gott. Ein Leben lang bietet uns Gott seine Barmherzigkeit an. Im Letzten aber müssen wir uns fragen lassen, womit wir die Fackel unseres Lebens gefüllt haben. Ohne Öl gehen die Fackeln schnell aus. Ohne Liebe bleibt der Glaube tot. Ohne Weisheit haben wir vielleicht viel erforscht und getan, sind aber dem lebendigen Gott nie begegnet. Im Gleichnis dauert es lange, bis der Bräutigam kommt. Für jeden von uns aber kommt der Augenblick, in dem es heißt "Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen!". Das ist nicht die Drohung mit Ende oder Tod, sondern die Einladung zum Hochzeitsmahl, zum großen Fest. Diese Freude kann das ganze Leben prägen. Amen.