Predigt zum 32. Sonntag im Lesejahr B 2012 (Markus / Martin von Tour)
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11. November 2012, Fest des Hl. Martin von Tour - St. Elisabeth (Englischsprachige Gemeinde), Hamburg
1. Zwei kleine Münzen der Witwe
- Eine Witwe gibt das Wenige, das sie hat, in den Opferkasten im Tempel. Zwei kleine Münzen hatte sie besessen, um an diesem Tag etwas zu essen zu kaufen. Jetzt wird sie hungern müssen oder auf eine milde Gabe hoffen. Das ist alles, was wir von ihr wissen. Und, dass diese Frau von Jesus vor versammelter Menge denen gegenüber gestellt wird, die vor dem Volk um ihr Ansehen bemüht sind, den "Schriftgelehrten", die es lieben "wenn man sie auf den Straßen und Plätzen grüßt" und die "bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben" wollen.
- Wir wissen sonst nichts über diese Frau. Aber das Evangelium öffnet uns damit den Raum, über sie nachzudenken. Ganz sicher war für diese Witwe die Gabe nicht ohne Bedeutung; schon allein materiell war dies für sie ein Moment der Bedeutung.
- Vielleicht war es sogar ein Moment der Hingabe, der sie selbst überrascht hat. Witwe zu sein, konnte damals bedeuten, ohne Perspektive zu sein. Vielleicht war diese Frau in den Tempel gekommen, über und über mit ihren - berechtigten! - Sorgen beschäftigt. In einem spontanen Beschluss hat sie alles gegeben, was sie hat - und darin ein Zeichen gefunden, was ihrem Leben Sinn geben kann.
2. Der geteilte Mantel des Martin
- Bei Martin, dem römischen Soldaten, der zum Heiligen wurde, wissen wir mehr. Sein Freund und Schüler Sulpicius Severus hat in seiner um 420 entstandenen Schrift "Vita sancti Martini" das Leben des Heiligen berichtet und gedeutet. Er hat uns auch die berühmte Szene überliefert, in der Martin seinen Soldatenmantel teilt, um damit in der Eiseskälte vor dem Stadttor von Amiens einen zitternden Bettler vor dem Erfrieren zu bewahren.
- Martin war zu dieser Zeit noch nicht getauft, hatte aber schon begonnen, sein Leben auf Christus auszurichten. Daher war dieser Akt der Nächstenliebe vorbereitet und doch spontan. Vorbereitet, weil Martin seinen Sold schon zuvor an Arme verschenkt hatte; daher besaß er in diesem Augenblick nichts weiter als seinen Mantel und sein Schwert. Das Schwert nutzte er, nicht um Krieg damit zu führen, sondern den Mantel zu teilen und die Hälfte dem Bettler zu schenken. Martin war vorbereitet durch seine Aufmerksamkeit für das Evangelium. Doch der Akt, in dem er den halben Mantel verschenkte, war ganz spontan.
- Dieser Akt wird nicht nur bis heute erzählt, er sollte auch sein eigenes Leben prägen. Denn einerseits hat seine spontane Großzügigkeit das Gelächter der Umstehenden zur Folge: Dieser Soldat mit halben Mantel schien seine ganzen Stolz und seine Ehre verloren zu haben; Martin war der Lächerlichkeit preis gegeben. Andererseits aber hat einer ihn bestärkt: In der folgenden Nacht ist ihm im Traum Christus selbst erschienen, bekleidet mit dem halben Mantel des Bettlers. So hat Martin erfahren, dass Christus ihn darin stärkt, nicht auf das Ansehen unter den Leuten zu achten, sondern seinem Herzen zu folgen - und darin Christus zu begegnen.
3. Sakramente des Alltags
- Der eine Augenblick wurde zum Schlüssel für Martins weiteres Leben. Immer wieder kam er in Situationen, in denen Andere das höhere Ansehen suchten und ihn angefeindet haben, weil er nicht mitschwamm im großen Strom. Selbst nachdem er zum Bischof von Tour gewählt worden war, blieb Martin der einfache Mann, asketisch und in ständiger Gemeinschaft des Gebetes. Es war die Zeit, in der die Kirche zur Reichskirche der Caesaren wurde - endlich frei, und doch in größter Gefahr zu verweltlichen.
- Vor allem war es die Auseinandersetzung mit der Irrlehre des Arianismus, die Martin in Gegensatz zu den meisten seiner Bischofskollegen brachte. Der Arianismus nahm vor allem Anstoß daran, dass Gott selbst in der armseligen Gestalt eines Menschen erschienen sein soll. Der Gekreuzigte und Arme, das könne doch bestenfalls ein Abbild, aber nicht Gott selbst sein. Martin aber war am Stadttor von Amiens genau diesem Gott begegnet. Ein kleiner, spontaner Augenblick war es nur, und doch hat es sein Leben geprägt.
- Es sind diese Augenblicke, die wir nicht hoch genug schätzen können. Anderen mögen sie lächerlich und abwegig erscheinen. Aber es sind solche Augenblicke, in der wir Menschen erleben und erfahren, dass Gott uns fähig macht, über uns selbst hinaus zu wachsen. Die zwei Münzen der Witwe, der halbe Mantel des Martin, das sind die Sakramente der Gegenwart Gottes im Alltag. Sie können ausstrahlen auf das Ganze. Amen.