Predigt zum 33. Sonntag im Lesejahr B 2009 (Markus)
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15. November 2009 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
Die Predigt ist inspiriert durch den außergewöhnlichen SF-Roman "Sperling" (1996) von Mary Doria Russell. Eine Verfilmung ist für 2010 angekündigt; Brad Pitt soll im Gespräch für die Hauptrolle sein. In eine spannende Geschichte der Entdeckung einer außerirdischen Kultur packt die Autorin die Jeremia-Klage um einen Gott, der seinen Propheten packt, überwältigt und in das persönliche Unheil zieht. Das Ringen darum, warum der Weg Gottes über das Kreuz geht, durchzieht die Erzählung um den Linguisten P. Emilio Sandoz SJ, der als einziger Überlebender von der Weltraummission zurück kommt, auf die ihn sein Orden geschickt hat. Über diesen Pater Sandoz sagt im Roman der Generalobere der Jesuiten, "Im Moment ist er Gott näher, als ich es jemals im Leben gewesen bin. Und ich habe nicht einmal den Mut, ihn zu beneiden." |
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1. Glaubenszweifel
- Ist es erstrebenswert, Gott ohne jeden Zweifel und unverhüllt zu erkennen? Gemeint ist nicht ein abstrakter Beweis, dass es irgendwie ein höheres Wesen geben müsse, dass die Welt erschaffen hat. Gemeint ist vielmehr der lebendige Gott, den die in der Bibel niedergelegten Erfahrungen bezeugen. Es lohnt sich, einen Augenblick darüber nachzudenken, wie wir wählen würden, wenn uns angeboten würde, dass jede Hülle weggenommen würde und wir Gott mit uneingeschränkter Gewissheit erkennen könnten.
- Mit uneingeschränkter Gewissheit erkennen wir noch nicht einmal einen anderen Menschen. Wir können andere identifizieren. Aber erkennen können wir noch nicht einmal uns selbst. Nur ein technischer Apparat mag uneingeschränkt erkennbar sein (solange das Betriebssystem nicht von Microsoft ist). Person zu sein, bedeutet hingegen immer auch, dass ein Geheimnis bleibt. In einer gemeinsamen Geschichte können wir uns für einander öffnen und dabei auch uns selbst besser kennen lernen. Da wir Person sind, sind wir nach dem Abbild Gottes geschaffen (Gen 1,26). So begegnet uns auch Gott als Geheimnis (1).
- So betrachtet möchte ich das nicht ändern. Glauben ohne Geheimnis und Zweifel kann es nur gegenüber der Mechanik einer Maschine geben. Gott gegenüber aber liegt ein Weg vor uns, den zu gehen wir eingeladen werden. Zu Glauben bedeutet nicht, eine Betriebsanleitung zu akzeptieren, sondern sich auf eine Beziehung der Liebe einzulassen auf den anderen, dem ich mich öffne und den ich immer noch mal tiefer erkennen und erfahren kann - und doch bleibt das Geheimnis gewahrt.
2. Apokalypse
- "Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen." Dies ist der Kern der biblischen Apokalypse. Am Ende der Bibel findet sich darüber das Buch der "Offenbarung des Johannes". In knapper Form aber findet sich diese Vision bereits in den Reden Jesu in Jerusalem kurz vor seinem Tod am Kreuz.
- Der Kern der Apokalypse am Ende der Zeit ist eine Erkenntnis. Jesus sprich von sich als "der Menschensohn" und greift damit ein Bild aus dem Buch Daniel im Alten Testament (Dan 7,13) auf. 'Der Menschsohn' ist die Verkörperung von Gottes Reich auf Erden. Bislang hat Jesus aber von sich als Menschensohn dort gesprochen, wo er sein Leiden am Kreuz ankündigte (Mk 8,31). Da ist von Gottes Herrlichkeit nichts zu sehen. Die Jünger stehen voll Zweifel vor dem Kreuz und fragen sich: Sieht so Gott aus? Die Antwort auf diese Frage werden sie nur bekommen, wenn sie sich selbst auf den Weg Jesu einlassen. So erkennen sie, was offenbar wird.
- Christen hoffen auf diese Apokalypse (griechisch für "Offenbarung"), denn "dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen." Das wird die Erfüllung unserer Hoffnung sein: Unverhüllte Begegnung mit Gott. Jesus lässt aber keinen Zweifel daran, dass damit dann auch die Geschichte der Welt, wie wir sie kennen, zu Ende ist. Weder Sonne und Sterne, noch all die Betriebsanleitungen der Schöpfung werden dann noch gelten. Es wird das Ende der Geschichte sein, wenn der Menschensohn in Herrlichkeit erscheint. Wir werden Gott und einander unverhüllt sehen. Das ist das Gericht, der 'Tag des Herrn' (1Thess 5,1f).
3. Martyrium
- Manche Menschen machen schon in diesem Leben eine solche unvermittelte Erfahrung der Wirklichkeit Gottes. Jedem von uns ist Gott nah. Aber diese erfahren es mit großer Intensität. Ich wage es nicht, sie darum zu beneiden. Denn Gott wird auf dieser Welt nicht im Wellness-Tempel oder der Glücksoase erfahren, sondern als der Gekreuzigte.
- Wer sich über Glaubenszweifel beschwert, ahnt vermutlich nicht, worum er da bittet. Solange es Leid gibt, das Menschen einander antun, ist Gott dort zu finden, wo das Dunkel ist. Je mehr wir in dieser Welt Gott erkennen, desto mehr halten die beschwichtigenden Gewissheiten des Alltags, dass es so schlimm auf der Welt doch nicht sei, nicht mehr. Die Nähe Gottes treibt Menschen in die Nähe der Opfer von Ausbeutung, Armut und Ungerechtigkeit. Gott gibt sich seinen Lieblingen mehr zu erkennen, als mir. Ich wage es nicht, sie darum zu beneiden.
- Mir bleibt, zu beten "Dein Wille geschehe", denn ich weiß nicht, welche Gnade mir Gott in diesem Leben schenken will. So weit ich aber offen bleibe für die Weise, wie Gott mich in seine Nähe führt, so weit bereite ich mich nicht nur für die Überraschungen dieses Lebens vor, sondern auch für die große Offenbarung, am Ende dieser Welt und dem Ende ihrer Gewissheiten, wenn der Menschensohn für alle sichtbar erscheint in all seiner Herrlichkeit. Amen.
Anmerkung
1. Am Rande bemerkt sei, dass umgekehrt dass der Unterschied zwischen Geschöpf und Schöpfer, Urbild und Abbild ist, dass Gott uns restlos kennt (Psalm 139). Nur Gott gegenüber, der Liebe ist, kann das Geheimnis, wer ich, Mensch, bin, offenbar werden, ohne dass dadurch die Beziehungs-Geschichte an ihr Ende gekommen wäre.